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Wohnen mit Kind "Seit wir in einer WG leben, geht es uns viel besser!"

Wohnen mit Kind: "Seit wir in einer WG leben, geht es uns viel besser!"
© Eric Audras/Onoky/Corbis
Alleinerziehend? Da kann Pia Volk nur lachen. Denn wenn sie und ihr Kind eins nicht sind in ihrer WG, dann allein. Darum kann der Junge auch Schach spielen. Und Klavier.

Ein ganzes Dorf, so heißt es, braucht man, um ein Kind zuerziehen. Auf dem Papier wird mein Sohn nur von einer Person erzogen: von mir, der alleinerziehenden Mutter. Aber in Wirklichkeit habe auch ich das Dorf, ohne das es nicht geht. Ein kleines Dorf: Es besteht aus vier anderen Erwachsenen, alles berufstätige Menschen. Im Volksmund sagt man zu uns Wohngemeinschaft. Ich sage: unser kleiner Stamm, und mein Sohn Paul ist der heimliche Häuptling.

Paul ist elf Jahre alt und hat zehneinhalb Jahre seines Lebens in Wohngemeinschaften verbracht. Das liegt vor allem daran, dass auch ich vorher nie allein gelebt habe. Ich habe drei Geschwister, in meinem Elternhaus waren ständig Austauschschüler, promovierende Wissenschaftler oder Reiter auf der Durchreise zu Gast.

Aus diesem Tohuwabohu bin ich in Studentenwohnheime und WGs gezogen. Bis Paul geboren wurde. Plötzlich hatte ich eine eigene Wohnung. Und was passierte? Ich lud mir jede Menge Menschen ein, denn ich wusste gar nicht, was man da so macht, allein in einer Wohnung. Nach einem halben Jahr erklärte ich das Vorhaben für gescheitert und zog wieder bei anderen ein.

Uns geht es um Gemeinschaft

Paul und ich haben mit Fremden, Freunden, Kindern, Müttern, Silbersurfern, Studenten, Ärzten, Philosophen und Ofenbauern zusammengelebt. Wenn ich von unserer WG erzähle, fragen mich die Leute oft: "Wie, da wohnt auch ein Arzt? Warum wohnt ein Arzt denn in einer WG? Kann der sich keine eigene Wohnung leisten?"

Doch, kann er. Aber wir wohnen nicht zusammen, weil es billiger ist (obwohl es das natürlich ist). Wir gehen alle arbeiten und unterliegen keinem finanziellen Zwang. Wir haben uns dieses, unser Leben ausgesucht. Uns geht es um die Gemeinschaft. Das ist nichts, was man kaufen kann.

Wir sind die Familie, die wir selbst gewählt haben. Sie besteht aus ebenjenem Arzt, der gern alte Lampen wieder zum Leben erweckt, und seiner Frau, einer Schauspielerin, die gerade zur Erzieherin umschult, um am Ende vielleicht beides in der Theaterpädagogik zu verbinden. Dazu kommen ein Informatiker, der eigentlich lieber im Wald leben würde und stattdessen auf unserem Balkon die Brennbarkeit getrockneter Pilze testet, und eine Musikjournalistin, mit der man sich abends Chips essend über "Spongebob" amüsieren kann.

Mein Sohn lernt eine Menge von unserer WG

Wir sind alle um die 30 Jahre alt und wohnen zusammen in einer großen Wohnung in einem Gründerzeithaus im Stadtzentrum. Natürlich hat jeder von uns darin sein eigenes Zimmer. Manchmal räumt Paul sein Zimmer für meine Übernachtungsgäste, manchmal räume ich meins für die Gäste der anderen. Manchmal schlafen wir alle nebeneinander auf unseren Küchensofas ein, während der "Tatort" läuft. Auch Paul.

Paul kann ein bisschen Klavier spielen und ein bisschen Schach. Ich kann weder noch, meine Mitbewohner haben es ihm beigebracht. Sie führen auch die Fußballfachgespräche, für die ich mich nicht interessiere. Paul lernt, dass jeder Mensch seine eigenen Grenzen hat und sich von unterschiedlichen Dingen angegriffen fühlt. Er weiß, dass niemand es mag, die Küche aufzuräumen, und alle es trotzdem tun. Und er macht mit.

In einer WG zu leben ist sicher nichts für jeden, denn es heißt auch, von anderen die eigene Erziehung infrage stellen zu lassen. Meine Mitbewohner sagen mir, wenn sie mich unfair finden oder wenn ich etwas aus einer anderen Perspektive betrachten soll.

Man muss offen sein für Ratschläge

Ich lerne, meinen engen Mutterblick zu weiten. Ratschläge geben viele, aber Mitbewohner setzen sie auch gleich um. Es ist anders, wenn einem jemand direkt vorführt, dass es auch anders geht. Das ist nicht immer einfach. Denn es gibt kaum etwas Ideologischeres als Erziehung. Man kann schlecht aus seiner eigenen Haut und tut, was man gefühlsmäßig für richtig hält - und dann muss man anderen erlauben, das Gleiche zu tun.

Schön und gut so weit. Aber was haben meine Mitbewohner davon, mit einem Elfjährigen zusammenzuleben? Zunächst mal (was schwer zu glauben ist, wenn man gerade zum hundertsten Mal gesagt hat: "Hast du dir die Zähne geputzt?") gibt es Menschen, die finden Kinder verdammt lustig und cool. Sie sehen in ihnen nicht Impftermine, Elternabende und Jugendamtsgespräche, sondern Freunde - nur in Klein. Und was könnte großartiger sein, als einem Kind beim Großwerden zuzusehen, ohne Verantwortung und unliebsame Termine übernehmen zu müssen?

Ein ehemaliger Mitbewohner von mir sagt: "Niemand akzeptiert einen Menschen so voll und ganz wie Kinder. Sie urteilen nicht, weil sie noch nicht wissen, was normal ist. Mit Paul konnte ich alle meine Macken ausleben." Was bei ihm vor allem alberne Serien und Bettentrampolin bedeutete.

"Ausziehen? Dann bist ja nur du da!"

Auch das ist ein Luxus in einer Gesellschaft, in der wir immer reibungsloser zu funktionieren haben. "Paul überrascht mich jedes Mal, er bringt mich auf andere Ideen, und wenn es nur ein Tischtennisspiel nach einem nervigen Arbeitstag ist", findet eine andere Mitbewohnerin. Kinder bereiten Freude. Sie sind eine Unterbrechung im ewig gleichen Takt. Andere erinnern sich an die eigene Kindheit und lesen mit Freude ihre Lieblingsbücher von damals vor.

Und Paul? Ich habe ihn gefragt, ob wir ausziehen sollen, in eine eigene Wohnung. Er hat mich voller Entsetzen angesehen: "Dann bist ja nur noch du da!" Ich sehe das nicht als Beleidigung für mich als Mutter. Sondern als Kompliment an unsere Wohngemeinschaft, unseren miterziehenden Stamm.

Ein Artikel aus der BRIGITTE MOM 03/2015

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