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Expertin fordert: "Eltern müssen Babys vor dem Wickeln um ihr Einverständnis bitten"

Kinder müssen Grenzen im Umgang miteinander kennen – und für Expertin Deanne Carson beginnt das schon im Babyalter. BRIGITTE-Redakteur Henning Hönicke fragt sich, ob hinter der absurden Forderung nicht doch eine gute Idee steckt. Im Video seht ihr, wie Carson selbst ihre Idee vertritt!

Nein, das ist kein Scherz. Die Frau meint es sehr ernst: Eltern, so sagt Expertin Deanne Carson, sollten ihre Kinder um Erlaubnis fragen, ob sie ihre Windeln wechseln dürfen. Nur mit Einwilligung des Babys dürfen sie dann untenrum saubermachen, alles andere wäre für die Entwicklung des Babys schlecht.

Jetzt können die meisten Babys von Geburt an eher nicht so gut sprechen, geschweige denn eine klare Genehmigung fürs Kaka-Abwischen erteilen. Aber das ist überhaupt kein Problem, so Carson: Eltern sollen bei der Frage einfach Augenkontakt mit dem Baby halten und ihm so zu verstehen geben, dass seine Reaktion auf jeden Fall registriert wird und wichtig ist.

Was für ein Blödsinn – oder etwa nicht?

Das klingt jetzt natürlich erstmal nach einer dieser bescheuerten Ideen, mit denen Eltern angeblich täglich ihr Kind versauen. Aber Carson geht es tatsächlich um einen wichtigen Punkt: Respekt vor dem Körper des Kindes und seinem Grundrecht darauf, selbst darüber zu bestimmen, wer es berühren darf. Klar, Babys werden gewickelt, basta, da können sie schreien, so viel sie wollen (genau deshalb wickeln wir sie ja). Aber tatsächlich geht es auch gar nicht ums Baby. Es geht, wie bei vielen dieser Erziehungstipps, in Wahrheit um uns Eltern.

Auch Eltern müssen Grenzen kennenlernen

Wir sind nämlich daran gewöhnt, mit "unserem" Baby so umzugehen, wie es die Situation erfordert, ohne extra nachzufragen (das wäre ja noch schöner). Ist das Baby später ein Kind, das mit uns reden (und streiten!) kann, ist uns dieser Umgang einfach schon in Fleisch und Blut übergegangen. Und oft übersehen wir dabei den Punkt, an dem wir dem Kind erlauben, Grenzen zu setzen, die wir respektieren müssen.

Viele von uns kennen das vielleicht selbst aus unserer Kindheit, wenn wir als Kleinkind etwa ungefragt von einer fremden Oma mit den Worten "So niedlich!" abgeküsst wurden oder von einem "lustigen Onkel" durchgekitzelt, bis es schmerzte. Nichts, was wirklich "Missbrauch" wäre, aber unangenehm war es uns trotzdem. Viel schlimmer daran war und ist die Botschaft, die sich im Kinderkopf festsetzt: Erwachsene dürfen halt mit dir machen, was sie wollen, das musst du ertragen.

Schlechte Idee: Erwachsene mit automatischem "Zugriffsrecht"

Ist das jetzt dramatisch? In der Regel natürlich nicht – kein Kind stirbt daran, dass es eigentlich bei einem Erwachsenen nicht auf den Schoss will und da trotzdem sitzt. Aber: Warum sollte es das denn müssen? Wenn wir das selbst früher unangenehm fanden, warum sollten wir jetzt unseren eigenen Kindern den gleichen Quatsch abverlangen? Damit ihre Tante, die extra zu Besuch ist, nicht beleidigt ist? Warum haben andere Leute Anspruch auf Kinder-Kuscheleien und das Kind selbst umgekehrt keinen Anspruch darauf, Nein zu sagen?

Grenzen müssen gelernt werden

Denn da sind wir plötzlich am bitteren Kern der Geschichte: Ist das Kind daran gewöhnt, dass Erwachsene über seinen Körper bestimmen können (und ja, auch lieb gemeinte Gesten fallen darunter), wird es auch im Fall von tatsächlichem Missbrauch nicht den Mund aufmachen. Wie sollte es auch, wenn es gelernt hat, dass man sich nicht gegen Berührungen wehren darf, auch wenn es unangenehm ist. 

Und da sind wir wieder bei den Eltern, die um die Wickel-Erlaubnis fragen sollen. Das ist und bleibt absurd – und hat doch die ehrenhafte Aufgabe, den Eltern anzugewöhnen, auf die Grenzen und Bedürfnisse ihres Kinder Rücksicht zu nehmen.

Kein Gutenachtkuss, kein Drama

Ich habe meine Kinder nicht vor jeder Windel um Erlaubnis gefragt und das hat ihnen nicht geschadet. Aber als mein inzwischen sechsjähriger Sohn neulich nach einem Streit keinen Gutenachtkuss haben wollte (meine Schuld, ich wollte kein Nutella als Ersatz für Zahnpasta erlauben), habe ich das respektiert – genau wie den Wunsch meines anderen Sohnes, nicht ungefragt von mir den Kopf getätschelt zu kriegen (egal, wie stolz ich auf ihn bin).

Ich hoffe sehr, dass meine Kinder auch später im Leben genau wissen, dass nur sie allein darüber entscheiden, mit wem sie Zärtlichkeiten austauschen – und dieses Grundrecht auch umgekehrt ihr Leben lang den Menschen um sich herum zugestehen.

Brigitte

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