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Sandwich-Mütter: Plötzlich muss ich mich ums Kind UND um Oma kümmern

Sandwich-Mütter: Plötzlich muss ich mich ums Kind UND um Oma kümmern
© Carr/ Getty Images
Wenn die eigenen Kinder noch klein sind und die Oma zum Pflegefall wird, gerät das Familienleben zur Belastungsprobe. Bloggerin Nina Massek beschreibt ihr Springen zwischen den Rollen.

"Hier gibt es fünfmal am Tag etwas, die Mäuse essen ja so wenig." Ich stand im Aufenthaltsraum einer Betreuungseinrichtung. An den Wänden sah ich Fotos vom letzten Sommerfest, neben mir wurde gebastelt und im ersten Stock schrie jemand. Besuch im Kindergarten? Nein. Ich stand im Pflegeheim, der neuen Heimat meiner Mutter.

Was macht man, wenn die eigene Mutter am Telefon plötzlich halluziniert, vergisst zu essen, zu trinken und mehrfache Zusammenbrüche erleidet?

Ich wusste, dass es kommt - doch nicht, was es bedeutet

Meine Mutter war erst 71, als sie nach mehrjähriger Parkinson-Erkrankung und einem kurzen Gastspiel im betreuten Wohnen sehr schnell einen Platz im Pflegeheim brauchte. Ich bin Einzelkind, meine Eltern getrennt.

Ich wusste, dass ich irgendwann vor der Situation stehen würde, dieser Verantwortung war ich mir bewusst. Aber wusste ich auch, was es wirklich bedeutet? Ich habe selbst noch eine kleine "Maus" zu Hause, meine Tochter ist drei, mein Sohn acht Jahre alt.

Bis an die Grenzen der Belastbarkeit

Diese Zeit hat mich an meine Grenzen gebracht. Die Sorge um meine Mutter, Job, Haushalt, Kinder, und warum wurde jetzt auch noch die Pflegestufe abgelehnt? Was muss ich jetzt wo, wann und wie machen? Meine Mutter lebte zu diesem Zeitpunkt in Koblenz, wir in Berlin. Es war mehr als suboptimal. Ich habe glücklicherweise kurzfristig meine Arbeitsstunden reduzieren können, um mich um Ärzte, Gutachten, notarielle Vollmachten und die drängende Frage "Was nun?" kümmern zu können.

Wie bei der Kita-Suche

Und dann ging es los wie damals bei der Suche nach dem Kita-Platz. Pflegeheime abklappern. Wartelisten ausfüllen. Einen guten Eindruck machen. "Was bieten Sie denn für Aktivitäten an?" "Ist das Essen vom Caterer oder hausgemacht...und bio?" "Ist das hier nach Montessori? Pardon, katholisch oder evangelisch?" "Wie ist der Betreuungsschlüssel?" Auch musste ich meine Mutter "anpreisen" wie bei den Vorstellungsgesprächen im Kindergarten. "Also meine Mutter singt gerne, hat viel Humor und ein offenes Wesen." "Ich kann Ihnen nicht sagen, wann ein Platz frei wird. Es muss ja schließlich erst jemand sterben." Schluck. Auf den Punkt gebracht. Dazu kommt, dass meine meine Mutter eigene Vorstellungen hatte.

Die große, zusätzliche Verantwortung ist nicht mal der schwierigste Part

Bitte keine Villa (viel zu großkotzig), ein eigenes Zimmer mit Bad (teuer und selten) und bitte nicht so viele alte Leute... Ähm, ja. Zu unserem großen Glück fand ich eine Einrichtung in Laufnähe von uns. Im Haus wurde gerade ein Zimmer frei und wir konnten uns auf ein "Probewohnen" einigen, "Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich gehe dann nach drei Wochen zurück in meine alte Wohnung", bestimmte meine Mutter. "Wenn das irgendwie gut ist, mache ich den Vertrag klar", bestimmte ich.

Und von da an übernahm ich das Leben meiner Mutter. Die große, zusätzliche Verantwortung ist noch nicht mal der schwierigste Part. Aber die emotionale Ebene. Meine Mutter hat nach wie vor Schwierigkeiten damit, dass ich die Verantwortung übernommen habe. Geldgeschäfte, gesundheitliche Entscheidungen, sogar die Frage, ob man einen Föhn besitzen darf oder nicht - all das wird für sie bestimmt.

Vorwürfe von Oma

Ich sehe meine Mutter abbauen und das ist nicht einfach als Tochter. Damit ich das alles stemmen konnte, habe ich eine andere Haltung zu ihr eingenommen. Ich musste mich von meiner "früheren Mutter" verabschieden und auch von unserer Beziehung, wie sie einmal war. Die Beziehung zu meiner "neuen Mutter" muss erst noch neu gefunden werden. Das merkt sie auch und macht mir Vorwürfe. "Du bist so distanziert. Alles regelst Du, ohne mich zu fragen... Wann gehen wir endlich wieder mal alleine in die Stadt bummeln?"

An manchen Tagen weiß ich nicht, mit welchem meiner Schutzbefohlenen ich gerade spreche.

In dieser Situation muss ich viele Rollen ausfüllen. Ich bin ihre persönliche Assistentin, ihre Betreuerin, ihre Seelsorgerin und dann bin ich immer noch die Tochter. Oft genug "falle ich aus der Rolle" und bin Assistentin, wenn ich Seelsorgerin sein soll und Tochter, wenn die Betreuerin gefragt ist. Aber "eine gute Tochter" kann ich wohl trotzdem nicht sein, weil ich es ihr schwer recht machen kann. Dabei ist mein Leben herausfordernd genug.

Ich muss doch eigentlich in erster Linie eine gute Mutter für meine Kinder sein, und dann würde ich auch mal gerne ganz alleine durch die Stadt bummeln. An manchen Tagen weiß ich nicht, mit welchem meiner Schutzbefohlenen ich nun gerade spreche.

"Der Johann war heute blöd"

"Neben Frau Müller will ich nicht sitzen."

"Die Antonia hat eingepullert."

"Der Herr Weiss muss jetzt Windeln tragen"

"Ich ESSE keinen Reis, wie oft soll ich das noch sagen?"

"Will Nudeln mit Butter."

"Du doofe Mama"

"Nie hast Du Zeit."

Leider gibt es häufig Auseinandersetzungen, die viel schwerer zu lösen sind als früher. Bei einer unserer letzten Konfrontationen war auch meine kleine Tochter dabei. Als wir nach Hause gingen, fragte sie mich:

image "Hast Du die Oma nicht lieb, Mama?" "Doch, natürlich. Wir streiten nur manchmal." "Du bist meine beste Freundin, Mama", sagte sie und nahm meine Hand. Ich wünsche mir so sehr, dass sie das noch lange denkt. Vor allem, wenn sie irgendwann mal ein Pflegeheim für mich aussuchen muss.

Text: Nina Massek

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