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Wie wirkt Trump auf unsere Kinder? Brief einer Mutter an ihren Sohn

In wenigen Tagen wird ein Mann US-Präsident, der alle Werte mit Füßen tritt, die BRIGITTE-Autorin Beatrix Gerstberger ihrem Sohn seit 17 Jahren zu vermitteln versucht. Der Brief einer Mutter.

Du bist jetzt 17. Du hast die gesamte Nacht, in der der neue Präsident der USA gewählt wurde, damit verbracht, die Auszählungen an deinem Computer zu verfolgen. Ich habe dein blasses Gesicht am nächsten Morgen gesehen, den Unglauben, dass das wirklich passiert ist. Dass jemand das mächtigste Amt der Welt gewinnen kann, der all das verachtet, von dem du bisher in deinem Leben geglaubt hast, dass es richtig ist. Unter anderem, weil ich es dir immer wieder erzählt habe, auch und gerade dann, wenn du es nicht unbedingt hören wolltest.

Du hast die Wahl, nicht so zu sein

Die schlechte Nachricht ist: In der Welt siegen scheinbar gerade jene Männer, die sich aus nichts anderem zusammensetzen als Hass und Dummheit. Die gute Nachricht ist: Du hast in deinem Leben immer die Wahl, nicht so zu sein oder zu werden.

Du hast das Privileg, als weißer Mann auf die Welt gekommen zu sein, als ein Mann, den Donald Trump für den Herrscher der Welt (und über die Frauen) hält.

Trumps Sieg haben viele junge weiße Männer als Aufforderung begriffen, zornig und blind gegen andere zu wüten. Aber das ist falsch.

Zeige der Welt, was ein Mann wirklich ist

Nutze dieses Privileg, um der Welt zu zeigen, was ein Mann wirklich ist:

Ein Mensch, der Weiß nicht für die beste aller Hautfarben hält und großzügig auf die Welt blickt.

Der glaubt, nicht stärker zu sein, wenn er lauter oder aggressiver als andere ist.

Der Frauen nicht nur als die Summe ihrer Körperteile betrachtet und die, die versuchen, sich die gleichen Rechte wie jeder Mann zu nehmen, nicht als "schrill" und "hässlich" abwertet.

Der Sex nicht für eine Machtdemonstration hält, sondern etwas, das von gegenseitigem Einverständnis getragen wird.

Der Eitelkeit, Protz, goldene Wohnzimmermöbel, Arroganz und vor allem die Lüge verachtet.

Der die Wahrheit sucht, ebenso wie den Kompromiss.

Der erkennt, dass es gut ist zu zweifeln, statt zu glauben, alles zu wissen.

Der Angst für keinen guten Ratgeber hält.

Der es vermeidet, zu demütigen und herabzusetzen und sich traut, Ungerechtigkeit zu benennen.

Der sich nicht in 140-Zeichen-Twitter-Wutanfällen auskotzt, sondern das Gespräch sucht.

Der andere Arten zu leben vorurteilsfrei betrachtet und Weisheit und Wahrheit auch dort entdeckt, wo andere achtlos vorbeigehen: im Gespräch mit einem alten Mann im Park, mit der seltsamen Nachbarin mit den fünf Möpsen, mit dem Straßenmusiker aus Osteuropa, mit der Frau, die den ganzen Tag vor dem Blumengeschäft gegenüber steht und offensichtlich keinen Ort hat, zu dem sie gehört.

Der den Schwachen und Verletzlichen aufhilft und nicht auf ihnen herumtrampelt.

Der die Liebe immer dem Hass vorzieht, den Mut und den Optimismus der Feigheit und dem Zynismus.

Der verletzlich und verlässlich ist, integer und ehrlich und seine Würde und die der anderen zu schützen versucht.

Der sich immer weiterbildet und Urteile nicht auf der Basis gähnender Leere im Hirn, sondern von Wissen fällt.

Der dem Universum nicht selbstgerecht sein Ego aufdrücken will.

Und ganz wichtig: Der über seine eigenen Fehler lachen kann und nicht nur über die der anderen.

Der die Höflichkeit des Herzens lebt.

Euch zu sehen, gibt mir Hoffnung

Wenn ich dich und deine Freunde sehe, eure so umgebremste Freude an der Welt und ihren unterschiedlichen Menschen, eure Freundlichkeit, Warmherzigkeit, Offenheit, euren Witz und euren Respekt den Mädels gegenüber unter all der coolen Schluffigkeit, dann bin ich voller Hoffnung und Zuversicht, dass du so ein Mann wirst - und Millionen andere Söhne auch.

Und dass du, wenn du denn eines Tages deine Haare verlierst (und das ist sehr wahrscheinlich), dies nicht mit einem schmutziggelben Eichhörnchenfell zu kaschieren versuchst.

Text: Beatrix Gerstberger, ein Artikel aus BRIGITTE Heft 2/2017

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