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Streiten vor den Kindern - ja oder nein?

Streiten vor den Kindern - ja oder nein?
© CandyBox Images / Shutterstock
Viele Mütter halten Ärger von ihren Kindern fern. Sandra nicht: Sie streitet mit ihrem Mann, dass die Fetzen fliegen – auch vor den Kindern.

Ganz nebenbei lässt der Mann beim Abendessen mit den Kindern fallen, dass er ja morgen nach der Arbeit diesen Termin hätte. Was? "Aber da bin ich doch seit Wochen verabredet!" Hab ich ihm doch gesagt. "Hab ich vergessen", sagt er.

Ich spüre meinen Puls. "Ist das so schlimm?", fragt er. Reflexartig balle ich die Fäuste, atme sehr tief ein – und dann passiert, was passieren muss: Ich rege mich auf. Fürchterlich. Meine Augen werden zu schmalen Schlitzen, die Ader auf meiner Stirn schwillt an, meine Stimme wird hart und kalt: "Da habe ich ein einziges Mal etwas vor, und dann hast du da natürlich einen furchtbar wichtigen Termin!" Der Mann verteidigt sich. Wir werden beide laut, die Mädchen (1 und 5 Jahre) leise. Das fühlt sich nicht gut an, aber was meine Töchter von ihren aufbrausenden Eltern halten, darauf kann ich gerade keine Rücksicht nehmen. Ich bin zu wütend.

Ja, wir streiten uns vor den Kindern. Auch wenn es aus pädagogischer Sicht in Situationen wie diesen wahrscheinlich besser wäre, tief durchzuatmen und die Diskussion freundlich lächelnd auf später zu verschieben.

Eltern sollen sich nicht vor den Kindern streiten, das höre ich immer wieder. Auch von einer Bekannten, die aus Kenia stammt. Sie glaubt, ein Grund, warum die Kinder in ihrem Heimatland den Eltern gegenüber respektvoller seien als die deutschen, sei der, dass man dort nicht vor den Kindern streite. "Und wie macht ihr das dann?", fragte ich sie. "Wir gehen zum Streiten ins Schlafzimmer", sagt sie. Oha.

Ich finde es verlogen, den Kindern vorzuspielen, man hätte sich als Paar immer nur furchtbar lieb und nie falle ein böses Wort. Den Mann für ein Wortgefecht plötzlich aus dem Zimmer weg von den Kindern zu zerren, um ihm die Meinung sagen zu können, käme mir albern vor. Außerdem halte ich meine Töchter für zu schlau und die Wohnung für zu hellhörig, als dass eine Tür sie daran hindern könnte, unseren Ärger mitzubekommen. Und meine Wut herunterzuschlucken, bis die Luft kinderrein ist, klingt für mich so ungesund wie Zähneputzen mit Cola.

Eltern sollen Vorbilder sein - das gilt auch fürs Streiten

Es mag Mütter geben, die im Kreißsaal zu unfehlbaren Wesen mutieren. Ich nicht. Ich habe nicht alles – und schon gar nicht mich – immer im Griff. Mir rutscht auch mal ein "Scheiße" heraus. Ich bin auch nur ein Mensch, noch dazu einer, der Kinder hat. Sprich: der latent übermüdet und meistens an der Grenze seiner Kräfte ist. Und natürlich meckere ich auch mal die Kinder an. Sollen die etwa denken, sie wären die Einzigen, die mich auf die Palme bringen? Oh nein, das schafft ihr Vater auch sehr gut.

Einen tieferen psychischen Schaden scheint zumindest die Ältere durch die elterlichen Dispute noch nicht davongetragen zu haben. Auf die Frage "Was denkst du, wenn Mama und Papa sich streiten?" antwortet sie schlagfertig: "Da freut sich der Dritte." Und überhaupt: Eltern sollen doch Vorbilder sein. Gilt das dann nicht auch fürs Streiten? Mein Freund und ich versuchen, uns wenigstens so nachahmenswert wie möglich zu zoffen. Wir bleiben – soweit es geht – sachlich, die Worte "nie", "schon wieder" und "immer" sind tabu (na ja: meistens), Handgreiflichkeiten und Geschirrwürfe sowieso.

Außerdem nehmen wir uns jedes Mal, nachdem der Ärger verraucht ist, vor den Kindern in den Arm – und lächeln. Fand ich am Anfang irgendwie befremdlich. Ein bisschen so wie früher, als man sich im Kindergarten oder der Schule demonstrativ die Hand geben musste. Aber wenn sich die Mädchen vielleicht etwas davon abgucken, nehme ich die Harmonie-Inszenierung gern in Kauf. Guckt mal, Kinder: Kein Streit dauert ewig, und das Schönste ist die Versöhnung danach.

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