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Schwanger in Deutschland: "Die Wahl zwischen Kind und Karriere ist wie die zwischen Pest und Cholera"

Wie Deutschlands Wirtschaftspolitik die Geburtenrate senkt
© Africa Studio / Shutterstock
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Katrin, ich bin 30 Jahre alt, schwanger und habe einen befristeten Arbeitsvertrag. Warum ich meinen Kinderwunsch nicht dem deutschen Wirtschaftsdiktat unterordne.

Zahlreiche Frauen fangen um die 30 an, sich die Frage aller Fragen zu stellen: Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Baby? Und, um Richard David Precht zu zitieren: Wenn ja, wie viele?

Für mich stand von vorne herein klar, dass ich mehr als ein Kind haben möchte. Ich bin mit einer Schwester aufgewachsen, mein Partner mit einem Bruder. Wir möchten diese Erfahrung weder missen noch es unserem Kind verwehren (wobei das jetzt kein Plädoyer gegen Einzelkinder sein soll – jede Frau, jedes Paar soll bitte selbst entscheiden, wie viele Kinder es sich wünscht).

Kinderwunsch: Beginn der großen Rechnerei

Sobald die Kinderplanung konkret wird, beginnt die große Rechnerei. Bei mir lief das etwa wie folgt ab: Wenn ich mit 30 schwanger werde, bekomme ich mit etwa 31 das erste Kind. Anschließend muss der Körper sich erholen, man will nach der ein- bis zweijährigen Elternzeit zurück in den Job, bevor man mit (frühestens) 33 erneut schwanger wird und etwa mit 34 Jahren das zweite Kind bekommt.

Mir erschien diese grobe Rechnung plausibel und dieser Plan verfolgungswürdig. Eine spätere Mutterschaft kommt für mich persönlich eher nicht in Frage.

Das Zauberwort lautet "abwägen"

Und da wären wir auch beim Zauberwort für Frauen der Neuzeit: "abwägen". Nicht nur in Deutschland ist es immer noch schwierig, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Doch gerade hier, in demWirtschaftsland Europas, fällt es nun mal am dringlichsten auf.

Dabei geht es mir hier gar nicht mal um den Mangel an Hebammen, ErzieherInnen und Kitas (sowie deren dürftige Öffnungszeiten). Auch nicht um die oft noch unflexiblen Arbeitskonditionen von Unternehmen, für die etwa Home Office oder Gleitzeiten Fremdwörter sind (da kann ich mich mit meinem Arbeitgeber wohl sehr glücklich schätzen!).

Finanzielle Sicherheit oder Kinderwunsch?

Was in meinen Augen die größte Hürde bei der Familienplanung darstellt sind befristete Arbeitsverträge. Sie schüren Verunsicherung, Zukunftsängte, Ungewissheit.

In Deutschland gilt: Zwei mal darf ein Arbeitsvertrag befristet ausgestellt werden, erst beim dritten Vertrag wird er entfristet – oder eben gar nicht mehr verlängert. Für zahlreiche Frauen stellt das ein Problem bei der Familienplanung dar. Womit können sie kalkulieren? Worauf können sie sich verlassen? Was werden sie ihrem Kind bieten können, wenn es auf der Welt ist?

Verunsicherung, Zukunftsängste, Ungewissheit

In der Regel sieht es nämlich so aus: In den 20ern widmet man sich der Ausbildung und / oder dem Studium, sammelt Arbeitserfahrung im ersten Job. Mit Ende 20 / Anfang 30 wechselt man schließlich zu einem anderen Arbeitgeber mit aussichtsreicheren Konditionen. Das einzige Manko: Ein neuer, in den meisten Fällen besserer, allerdings erneut befristeter Arbeitsvertrag.

Man arbeitet erneut ohne Sicherheit. Wer jetzt an ein eigenes Kind denkt, findet sich in einem Dilemma wieder. Man muss sich entscheiden zwischen finanzieller Sicherheit und Kinderwunsch. Ich kenne viele Frauen, die sich für die Sicherheit entscheiden und mit dem Kinderwunsch warten. Sie warten so lange, wie es das Arbeitsverhältnis nun mal erfordert, um entfristet zu werden. Ob sie dann tatsächlich entfristet werden, ist dabei nicht garantiert. Worauf sie bauen ist Hoffnung. Sie bauen Schlösser aus Sand.

Unsere biologische Uhr richtet sich nicht nach der Wirtschaft

Eine erfolgreiche Familiengründung ist im Anschluss an die jahrelange Warterei auf möglichst "ideale" Arbeitskonditionen nicht garantiert. Unsere biologische Uhr richtet sich nicht nach der Wirtschaft. Erstgebärende über 35 Jahren gelten medizinisch als Risikoschwangere:

  • Statistisch gesehen erhöht sich das Risiko genetisch bedingter Fehlbildungen beim Kind
  • Das Risiko einer Fehl- oder Frühgeburt steigt
  • Komplikationen während der Schwangerschaft treten häufiger auf (z.B. Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck, Thrombosen)
  • Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nimmt ab – es dauert in der Regel länger, bis man tatsächlich schwanger wird

Das alles sind bloß erhöhte Risiken und keine unabwendbaren Zukunftsprognosen. Natürlich muss es keine Schwierigkeiten bei einer späten Geburt geben. Aber es kann.

Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für ein Baby

Immer mehr Frauen setzen trotz Kinderwunsch zunächst auf die Karriere – und stellen irgendwann mit Entsetzen fest, dass sie nie Mutter werden können. Andere Frauen setzen auf den Kinderwunsch – und finden sich dafür auch noch mit 40 in einem befristeten, mäßig bezahlten Job wieder.

Je mehr man über den richtigen Zeitpunkt für ein Kind nachdenkt, desto mehr kommt man zu dem Ergebnis, dass es ihn nicht gibt. Es wird immer Vor- und Nachteile geben, immer äußere Bedingungen, die einem das Muttersein erschweren werden.

Karriere und Kind, Pest und Cholera

In Deutschland ist die Wahl zwischen Karriere und Kind wie die zwischen Pest und Cholera: Egal, wofür man sich entscheidet, man wird mit großer Wahrscheinlichkeit etwas Essentielles verlieren.

Ich für meinen Teil habe mich nach langem Abwägen für den Kinderwunsch entschieden. Mir ist es wichtiger, eine Familie zu gründen, als mich dem wirtschaftlichen Diktat zu beugen – und das, obwohl ich einen Job habe, der mir Spaß macht und mit dessen Konditionen ich zufrieden bin. Mein Vertrag wird zu Beginn meiner Elternzeit auslaufen. Vielleicht darf ich danach wieder einsteigen. Vielleicht aber auch nicht.

Was bei mir ausschlaggebend war für diese Entscheidung? Die Gewissheit, dass meine biologische Uhr endlich ist. Mein Arbeitsvertrag ist das zwar auch – doch der lässt sich erneuern. Meine Fruchtbarkeit nicht.

Videotipp: So ungerecht werden Frauen im Job behandelt

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