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Ja, ich bin eine Rabenmutter - na und?

Rabenmutter Marlene Hellene
© Shutterstock / Yulia Grigoryeva
Eigentlich ist Marlene Hellene nur eine ganz normale Mutter. Doch wenn sie in sozialen Netzwerken unterwegs ist, fühlt sie sich plötzlich wie die schlechteste Mama der Welt. Muss das sein?

Dieser Text ist ein Auszug aus dem E-Book "Man bekommt ja so viel zurück" von Marlene Hellene (Rowohlt). Das Buch könnt ihr hier für 2,99 Euro downloaden.

Ich, 36. Rabenmutter.

Ich bin keine gute Mutter. Ich diene nicht als Vorbild. Ich bin sogar eine sehr schlechte Mutter. Katastrophal, dem Jugendamt zu melden, des Amtes zu entheben. Sagen Sie jetzt nichts. Es ist die Wahrheit. Woher ich das weiß? Natürlich aus dem Internet. Und das Internet weiß alles und hat immer recht. 

Es fängt schon damit an, dass ich meinen Kindern morgens Schokomüsli serviere. Müsli MIT SCHOKOLADE. Okay, ansonsten sind Haferflocken drin, und sie essen es mit Naturjoghurt vermischt, ABER SCHOKOLADE! Und abends, wenn ich es eilig habe, dann gibt es manchmal Tiefkühlpizza. 

Außerdem benutze ich hin und wieder diese Fix-Päckchen zum Kochen. Spaghetti Bolognese mögen die Kinder zum Beispiel nur in der Fix-Variante. Das Internet weiß natürlich, warum: weil ich die Kinder geschmacklich komplett verdorben und für alle Zeiten ihre Geschmacksnerven vergiftet habe, weil ich schlimmer bin als jede Assimutter bei Frauentausch.

Backen kann ich auch nicht sonderlich gut. Ich habe den Kindern noch nie eine herzförmige Regenbogentorte gebacken oder ihnen aus Pfannkuchen die Tiere des Waldes ausgestanzt. Ich habe ja nicht einmal einen Thermomix.

Meine gebastelten Schmetterlinge sehen aus wie Slipeinlagen mit Flügeln.

Und das ist noch nicht alles. Nein, ich kann darüber hinaus überhaupt nicht basteln. Schlimmer noch: Ich finde Basteln doof. Meine Schmetterlinge sehen aus wie Slipeinlagen mit Flügeln, und jeder blinde Schimpanse formt hübschere Figuren aus Knete als ich.

Ich dekoriere auch das Haus nicht jahreszeitlich. Bei uns sieht es praktisch immer gleich aus. Die Kinder müssen aus dem Fenster schauen, um zu erfahren, ob wir Sommer oder Winter haben.

Noch ein Geständnis: Ich bin pädagogisch völlig ungeschult. Ich war nie auf einschlägigen Lehrgängen und habe nicht einen einzigen Erziehungsratgeber im Regal. Auf Warum-Fragen des Zweijährigen antworte ich manchmal nur "darum", anstatt alles fallen zu lassen und ihm mit Hilfe von Flipchart und Handpuppen zu erklären, warum es allgemein unüblich ist, nur mit meiner Flamingounterhose auf dem Kopf das Haus zu verlassen. Im Winter.

"Peppa Wutz" ist voll auf meiner Seite.

Außerdem dürfen meine Kinder fernsehen. Das alleine würde ja schon reichen, um die Internetgemeinde zu Fackeln und Mistgabel greifen zu lassen. Aber es ist ja noch viel schlimmer: ICHPARKEDIEKINDERVORDEMFERNSEHER ! So nennt man das doch?! Ich kann manchmal nicht mehr, ich will manchmal nicht mehr, ich brauche manchmal zwanzig Minuten meine Ruhe. Und "Peppa Wutz" ist da voll auf meiner Seite.

Wenn die Kinder irgendwas dringend tun sollen, es aber dringend nicht tun wollen, dann kann es sogar passieren, dass ich zu einer ganz fürchterlich unlauteren Methode greife: Bestechung mittels Süßigkeiten. Nichts zeigt mein pädagogisches Versagen besser als das. Ja, die Kinder hören manchmal (oft) nicht auf mich. Sie streiten, sie schmeißen Essen durchs Zimmer, sie malen Wände an, sie wollen die Zähne nicht putzen, sie wollen nicht baden, sie wollen nicht wieder raus aus der Wanne, sie wollen nicht ins Bett, sie wollen nicht vom Boden des Supermarktes aufstehen, sie wollen, sie wollen nicht, sie tun. Und wenn ich es morgens eilig habe, weil ich zur Arbeit muss, dann erlaube ich den Kindern eben nicht, auf einem Bein zum Kindergarten zu hüpfen. Rückwärts. Dann dränge ich, dann besteche ich, dann bin ich ungeduldig und lasse sie nicht die Welt entdecken und den Zauber der Natur in sich aufnehmen. Ich beraube sie mit meiner Drängelei ihrer Kindheit. Sagt das Internet.

Meine Kinder essen Fleisch und trinken Kuhmilch.

Ich könnte noch seitenlang weiter über mein Versagen als Mutter berichten: Meine Kinder sind geimpft, sie sind nicht getauft, wenn sie einen bakteriellen Infekt haben, bekommen sie Antibiotika, sie bekommen keine Globuli, sie haben das Wort Bachblüten noch nie gehört, sie essen Fleisch und trinken Kuhmilch, sie haben Plastikspielzeug, sie hatten als Baby manchmal keine Mütze auf, sie müssen mit Besteck essen, sie dürfen nicht mit Essen spielen, sie tragen beziehungsweise trugen Windeln aus Plastik, sie dürfen im Restaurant Fanta trinken ... (Hier bitte eine endlose Liste weiterer Sünden ergänzen.)

Und trotz allem nimmt mich meine Tochter in den Arm und sagt: "Du bist die beste Mama der Welt." Und mein kleiner Sohn überhäuft mich mit Küssen.

In your face, Internet!

Und dann denke ich: "In your face, Internet. IN YOUR FACE , Elternforum!" Weil es den Kindern egal ist, was das Internet sagt, weil es ihnen egal ist, was Supermutti_Beate08 weiß. Ich lache mit meinen Kindern, nehme sie ernst, setze mich für sie ein, glaube an sie, lobe sie und ermutige sie. Ich tröste, höre zu, entschuldige mich, wenn ich etwas falsch gemacht habe, und gebe ihnen Sicherheit in einer aufregenden, großen Welt.

All das und meine große Liebe zu ihnen macht mich zur besten Mama der Welt. Für meine Kinder. Für wen auch sonst sollte ich es sein wollen?

Das Buch von Marlene Hellene

"Man bekommt ja so viel zurück"
© PR

Dieser Text ist ein Auszug aus dem E-Book "Man bekommt ja so viel zurück" von Marlene Hellene (2,99 Euro, Rowohlt Verlag). Marlene Hellene heißt eigentlich anders und hat auf Twitter eine riesige Fangemeinde wegen ihrer sehr lustigen und treffenden Tweets übers Elternsein. Dieses Buch zeigt: Auch in mehr als 140 Zeichen ist Marlene Hellene richtig gut!

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