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Mutter-Sohn-Beziehung: "Ich liebe meinen Sohn mehr als meine Tochter"

Mutter-Sohn-Beziehung
© Monkey Business Images / Shutterstock
Jenny *, 39, hat eine ganz besondere Mutter-Sohn-Beziehung. Dabei hatte sie sich schon damit abgefunden, dass sie keine XXL-Muttergefühle hat ...

In welchem Moment beginnt man, sein Kind zu lieben?

Wenn es sich als zittrige Linie auf einem Teststreifen zeigt, als kaum wahrnehmbare Bewegung unter dem eigenen Nabel? Wenn es seinen ersten Schrei tut, zum ersten mal ein Lächeln erwidert?

Als meine Tochter zur Welt kam, habe ich ungeduldig gewartet, auf ein Gefühl in XXL. Das alles bisherige in den Schatten stellen würde. Aber es kam nicht, jedenfalls nicht so, wie ich dachte. Dabei fand ich Emilia rührend mit ihren winzigen Baumwollmützchen und ihren speckigen Füßen. Ich kaufte zwei Klone ihres Lieblingsstoffhasen, falls der einmal verloren gehen sollte, schlich nachts an ihr Bettchen und sah ihr beim Atmen zu.

Aber wenn sich andere Mütter unterhielten, dann wurde ich oft ganz still. Diese Superlative, diese nie da gewesene Verbundenheit, dieser Tsunami der Zärtlichkeit - damit konnte meine handfeste Alltagsliebe nicht mithalten.

Als Emilias dritter Geburtstag näher rückte, hatte ich mich damit abgefunden:

Mein Mutter-Ich war wohl einfach von der pragmatischen Sorte.

Vielleicht war dieser ganze Mutterliebe-Mythos ja auch nur ein komfortabler Selbstbetrug, um sich unruhige Nächte und die Kita-Platz-Suche schönzureden.

Eine Mutter liebt alle ihre Kinder gleich? Nicht unbedingt

Dann wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Ich sehe mich noch am Straßenrand stehen und auf das Taxi warten, das mich in die Geburtsklinik bringen sollte. Als ich meine Hand auf meinen Bauch legte, pochte es plötzlich von innen ganz zart dagegen, als wollte mein Sohn mir sagen: Mama, wir machen das schon.

In dem Moment war es um mich geschehen. Als wäre eine Tür in mir aufgegangen, die vorher geklemmt hatte. Der erste Satz, den ich Stunden später zu ihm sagte, war: "Da bist du ja." 

Simon ist jetzt sechs, Emilia zehn, aber seitdem hat sich an diesem Zustand nichts geändert. Die Wahrheit ist, und das würde ich nie laut sagen, weil man das nicht tut: Ich liebe meine Tochter. Aber meinen Sohn liebe ich mehr.

"Meinen Sohn liebe ich mehr"

Ich könnte jetzt eine ganze Reihe von Gründen dafür aufzählen. Dass Simon schon als Baby das fröhlichere Naturell hatte und leichter zu beruhigen war. Ein Anfängerbaby, das ich als fortgeschrittene Mutter bekam. Dass er so viel körperliche Ähnlichkeit hat mit meinem Mann und mir - Michaels lange Glieder, meine widerspenstigen Locken -, während Emilia sich ein paar Großeltern-Gene zusammengesucht hat, in denen ich keinen von uns wiedererkenne. Dass Simon mir von sich aus einen kalten Lappen bringt, wenn ich Kopfschmerzen habe, während Emilia oft sehr um sich selbst kreist und mich mit ihren ständigen Beschwerden auf Trab hält: Der Bauch tut weh, die Füße schmerzen, die Hausaufgaben sind zu viel - vielleicht ihre
unbewusste Reaktion, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Oft reagiere ich dann ungeduldig und fühle mich gleichzeitig schlecht dabei.

Aber das alles erklärt noch nicht die Unwucht
in meinen Gefühlen. Mittlerweile glaube ich:

Zwischen Eltern und Kindern gelten dieselben Gesetze, die auch darüber entscheiden, warum wir uns in einen Menschen verlieben und in einen anderen nicht.

Warum wir mal Freundschaften schließen und mal Zweckgemeinschaften. Es bleibt ein geheimnisvoller Rest, der entscheidet, ob unser Herz hochsteigt wie ein Langstreckenjet. Oder nur auf Hubschrauber-Höhe. Das Reiseflugniveau haben wir nicht in der Hand.

Absolute Gerechtigkeit ist eine Illusion - unsere Aufgabe ist nur, das Beste zu geben

Der große Unterschied zu anderen Beziehungen ist: Eltern können sich ihre Kinder nicht aussuchen, genauso wenig wie umgekehrt. Es ist unsere Aufgabe, das Beste zu geben, auch wenn es mal leichter fällt und mal schwerer. Aber absolute Gerechtigkeit ist eine Illusion.

Umso mehr freue ich mich über Momente, in denen ich mich Emilia besonders nah fühle. Wenn sie ihren Kinderkörper betrachtet, der langsam die ersten Anzeichen von Frausein trägt, und ich weiß, was in ihr vorgeht. Weil auch ich diese Reise hinter mir habe. Wenn sie mir erzählt, wie sie sich mit ihrer besten Freundin verkracht und versöhnt hat, und ich mich mit ihr verbunden fühle über ein weibliches Netzwerk aus Kommunikation und Intuition. Gut möglich, dass dieses Gewebe uns umso besser trägt, je älter sie wird. Ich hoffe es auf jeden Fall sehr.

*Name geändert

BRIGITTE 23/2018

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