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Mütter-Blogs sind niedlich? Nein, politisch!

Das Netz ist voll von großartigen Mütter-Blogs, trotzdem hören die Bloggerinnen immer wieder Vorurteile: zu niedlich, zu harmlos, zu oberflächlich. Stimmt nicht, sagt Carola Ferch vom Blog "Frische Brise".

Mütter-Blogs? Mama-Blogs? Mom-Blogs? Ihr wisst schon, das sind diese bunten Seiten im Internet, wo Frauen der Mittelschicht die Ergebnisse ihrer Näh- Strick- Koch- Back- Garten- und Dekorierlust herzeigen. Dazu lustige Geschichten rund ums Kinderkriegen und -haben. Vielleicht auch noch ein paar Anekdoten von der arbeitenden Mutter und dem "alltäglichen Wahnsinn", dem Spagat zwischen Job, Kindern, Mann und Haushalt. Witzig. Niedlich. Seicht. Harmlos. Unwichtig.

Nicht ernstzunehmen.

Nicht wahr?!

Dabei sind diese Blogs politisch.

Nun aber mal halblang?!

Doch! Das Private ist politisch. Dieser Satz entstammt der Frauenbewegung in den 70er Jahren und ist aus dem Protest gegen autoritäre Gesellschaftsstrukturen entstanden. Das Bild von der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft entspringt tief verwurzelten Strukturen, die alle Bereiche unseres Lebens betreffen.

Die Art, wie ich mit meiner Familie hier und heute in Deutschland lebe, ist Ausdruck der Politik in diesem Land. Gesetze und ihre Auswirkungen sind unser aller Alltag. Politik greift in unser Familienleben ein, ob wir es wollen, oder nicht.

Beispiele:

* Ob ich als Frau einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln habe, zur Pille danach, zur Gesundheitsvorsorge, zur Möglichkeit, eine Abtreibung durchführen zu lassen und noch vieles mehr, hängt von der Gesundheitspolitik in unserem Land ab. Auch, wie schnell ich einen Arzttermin bekomme, ob ich überhaupt eine passende Praxis vor Ort habe, wie viel Zeit die Ärztin oder der Arzt schließlich für mich hat, ob ich eine Mutter-Kind-Kur oder eine Haushaltshilfe bewilligt bekomme, ob ich zeitnah einen Termin zur Psychotherapie, Physiotherapie, Ergo- oder Logopädie bekomme, hängt alles von politischen Vorgaben ab.

* Wie ich meine vier Kinder geboren habe, ohne Eingriffe von außen, an einem Ort meiner Wahl, ist Ausdruck der Gesundheitspolitik. Die Möglichkeit, selbst zu entscheiden wo und mit wem ich gebären will, soll aktuell ganz empfindlich beschnitten werden.

* Auch Pflegen und Sterben ist politisch. Bekomme ich Hilfsmittel und ausreichend Medikamente? Wer hilft mir, diese ganzen Anträge zu verstehen? Gibt es die Möglichkeit und Unterstützungen, Angehörige zu Hause zu pflegen? Gibt es ein Hospiz? Oder müssen sterbende Personen in ein Krankenhaus, wo überlastetes Personal sich nicht genügend kümmern kann?

* Elternzeit, Eltern- und Betreuungsgeld werden von der Politik gelenkt und haben Auswirkungen auf das Berufsleben der Eltern und den Betreuungsstart der Kinder.

* Können meine Kinder ihren Neigungen nachgehen und finden dafür vor Ort geeignete Gruppen? Werden diese vom Staat gefördert oder ist ein saftiger Monatsbeitrag fällig? Gibt es Vergünstigungen für Familien in Museen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln?

* Wie geht es mir als allein erziehendem Elternteil? Was machen die Rechte und Pflichten der elterlichen Sorge mit allen Beteiligten? Was, wenn ich keinen Kindesunterhalt bekomme? Gerade in diesem Fall ist die Politik gefordert.

* Kinderbetreuung und Schule sind politisch. Bekomme ich einen Betreuungsplatz für mein Kind? Für wie viele Stunden täglich? Wie ist der Betreuungsschlüssel in der Einrichtung? Was kostet mich das? Wann und wo schule ich meine Kinder ein? Muss ich Schulbücher bezahlen? Schreibschrift oder Druckschrift? Schreiben durch Sprechen? Jahrgangsübergreifende Klassen? Inklusion? Warum sind die Schulklos ständig dreckig? Warum fehlt pädagogisches Personal an allen Ecken und Enden? Gibt es Schwimmunterricht? Stadtteilschule, Gymnasium, G8 oder G9? Zentralabitur? Und warum, zum Kuckuck nochmal, ist das alles von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich???

Zu diesen Themen fällt mir noch so viel ein. Und deshalb geht mir die Hutschnur hoch, wenn die Blogs von Frauen, und vor allem Müttern, mal wieder für Spott herhalten müssen. Wenn Medien und andere Bloggerinnen und Blogger sie belächeln und ignorieren. Ja, ich fühle mich dann angesprochen.

Wenn ich hier auf meiner Seite unsere Biokiste zeige, Rezepte blogge und von unserem scheinbar banalen Alltag berichte, geschieht das vor dem Hintergrund, dass ich schon andere Zeiten im Leben erlebt habe. Zeiten, in denen es wochenlang nur Nudeln mit Ketchup gab. Zeiten, in denen ich Existenzangst hatte. Zeiten des Schmerzes und der Trauer.

Die wenigsten Blogs von Frauen berichten über alle Themen geballt. Viele haben keine Lust oder keine Kraft, politische Diskussionen im Blog zu führen. Im Hinblick auf die Kommentarkultur sehr verständlich. Das müssen sie aber auch gar nicht. Jede Person entscheidet selbst, was sie im Internet von sich preisgibt. Die Privatsphäre muss geschützt bleiben. Und in meinem Beruf z.B. gibt es eine Schweigepflicht, weshalb ich nicht davon berichten kann.

Deshalb nun die gesamte Palette der Blogs von Frauen, die auch Mütter sind, zu belächeln und abzuwerten, finde ich anmaßend. Niemand hat hier irgendwem etwas vorzuwerfen. Vielmehr sollten Blogs als das gesehen werden, was sie sind: ein Abbild der Vielfalt unserer Gesellschaft. Ein Abbild unseres Lebens.

Text von Carola Ferch, erschienen auf frische-brise.blogspot.de

Foto: Privat

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