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Mobbing: Brief einer Mutter an ihr Kind

Die Tochter von Bloggerin Lareine wird seit Jahren in der Schule gemobbt. In einem sehr ehrlichen, berührenden Brief schreibt sie, was das mit der Familie gemacht hat.

Meine liebe Tochter,

"Sie haben mich alle ausgelacht und gesagt, dass jemand, der neben mir sitzen muss, sich besser umbringen sollte!"
"Er sagte, er will mich fertigmachen, bis ich weine!"
"Sie hat gesagt, sie will mich zusammenschlagen und mir einfach nur ins Gesicht schlagen, wenn sie mich sieht!"
"Sie haben mich an den Armen und Beinen festgehalten und über den Schulhof gezerrt."
"Sie haben ein Spiel erfunden, in dem es irgendwie darum ging, mich umzubringen."
"Sie haben schon wieder mit Bällen auf mein Gesicht gezielt im Sportunterricht. Das machen die echt, während die Lehrerin daneben steht! Sie leugnen hinterher immer alles und nie bekommt ein Lehrer es mit."

Solche und ähnliche Dinge höre ich seit Langem immer wieder von Dir.
Und ja, mein Herz tut weh. Ich höre, wie mein Kind verbal gequält und körperlich angegriffen wird. Phasenweise tagtäglich, immer wieder, seit drei Jahren.

Die Angriffe begannen wie harmlose Kommentare und steigerten sich zu verletzenden und geschmacklosen Höhepunkten. Du, ich – wir als Familie – haben einen langen, schmerzhaften Weg hinter uns.

Ich möchte ausdrücken, wie sich all das aus meiner Sicht anfühlt. Es sind so viele Bereiche Deines Lebens betroffen.

Durch den Druck in der Schule erträgst Du keinen weiteren Druck. Keine Forderungen, keine größeren Erwartungen. Während ich Deine Geschwister an ihre einfachen Aufgaben erinnern kann, ist Dir der zusätzliche Druck zu viel. Du ziehst Dich zurück, hattest immer weniger Freunde.

Du fühlst dich hässlich, nicht liebenswert

Ich erinnere mich, wie Du Dir hübsche Sachen aussuchst und Dich für die Schule anziehst, um dort dann ausgelacht zu werden und traurig nach Hause zu kommen. Ich sehe inzwischen, wie Du langsam die Lust daran verloren hast, Dich besonders um Dein Äußeres zu kümmern.

Du fühlst Dich hässlich, nicht wirklich liebenswert innerhalb der Außenwelt, zutiefst verunsichert, "seltsam" und zusammengefasst wie eine Ausgestoßene. Gleichaltrige amüsieren sich, hängen zusammen ab – Du stehst alleine in der Nähe, aber abseits.

Das Mobbing ist ein alltägliches Thema, das wir kaum noch ertragen können. Es gibt ja inzwischen sogar meine Anordnung, erst nach dem Mittagessen von der Schule zu erzählen, damit wir wenigstens in Ruhe essen können.

Wir haben immer wieder Gespräche, Termine und Telefonate mit der Schulleitung, mit Lehrern, Psychologen, dem Kinderarzt …

Meine Wut entsetzt mich selbst

Ich bin inzwischen so wütend. Am liebsten würde ich die Klassentür aufreißen, mich vor die Klasse stellen und sagen (und ich bin selbst entsetzt über das Ausmaß an Wut in mir):

"Ihr seid ein Haufen anstands- und empathieloser Würmer ohne Rückgrat. Ihr seid das Klischee der respektlosen, verwöhnten Narzissten ohne Blick für andere Menschen, die in den vielen Zeitungsartikeln über eure Generation erwähnt werden.
Ja, man hätte Euch besser beobachten und begleiten müssen. Die Gemeinschaft stärken und dafür sorgen, dass ihr einander wenigstens an der Basis vertraut. Leider geschah das nicht und ihr zeigt nun, was dabei herauskommt, wenn man eine Gruppe Kinder nicht anleitet!"

Das würde ich am liebsten laut formulieren. In der Wirklichkeit bleibe ich natürlich auf meiner Wut sitzen, wie Du auf der Deiner. In Wirklichkeit würde ich niemals zu Kindern auf eine solche Weise sprechen, das weißt Du. Aber das Bild der Vorstellung hat eine fast therapeutische Wirkung auf mich.

In der wirklichen Welt begegnete ich einer Klassenlehrerin, die Dir selbst die Schuld an der Quälerei gab:

"Du bist ja auch wirklich ziemlich komisch! Kein Wunder, dass die dich mobben! DU musst dich mal verändern!"
oder

"Vielleicht bist du einfach nur empfindlich. Die meinen das nicht so. Die halten das für Spaß."

Ich möchte nicht, dass solche Menschen mein Kind unterrichten. Ich habe aber keine Wahl. Ich bezahle sogar dafür durch meine Steuern. Selten war mein Geld derart schlecht angelegt, wirklich.

Wir haben beschlossen, wegzuziehen

Nun haben wir einen Neunanfang für uns alle beschlossen: Wir werden unser Haus verkaufen und umziehen. Nicht nur wegen des Mobbings, aber definitiv auch. Wir haben alle sehr viele Veränderungen durchlebt in den letzten zwei Jahren und diese können wir in einer neuen Umgebung und neuen sozialen Gruppierungen frei entfalten. Du genau so wie wir Anderen.

Desaster von Anfang an

Bevor Du in das Schulsystem eingetreten bist, warst Du ein Kind voller Freude, Euphorie, Sensibilität und Liebe für die ganze Welt.

Du warst inspiriert von winzigen, niedlichen Dingen, hast gerne draußen gespielt und auch gerne viel gelesen. Wenn Du eine traurige Geschichte gelesen hast, dann warst Du viele Tage ergriffen davon und hast darüber erzählt.

Inzwischen habe ich das Gefühl, Dich einer Horde Wölfen vorgeworfen zu haben, als ich Deine Schultüte füllte.

"Wir mögen dich nicht, weil du eine Klasse übersprungen hast – du durftest das bestimmt, weil du zu blöd für den Lernstoff warst!"

Das war der erste Satz, der direkt gegen Dich ging. Das war in der neuen, der vierten Klasse. Ich erinnere mich gut daran, weil ich ein ganz mulmiges Gefühl hatte, als Du mir davon erzählt hast.

Und auch nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule hörte es nicht auf. Die neue Klasse brauchte eine Weile, um sich in ihrem System einzufinden. Es ging leider erneut gegen Dich, die Seltsame, die Jüngere, die Verständige, das Kind mit dem tief verankerten Gefühl von Selbstwert. Und es wurde immer heftiger.

Auch das Anti-Mobbing-Programm brachte nichts

Ein Anti-Mobbing-Programm wurde gestartet. Das Ganze war leicht anstrengend, weil Du dauernd jeden Vorfall melden gehen musstest und er immer wieder abwechselnd Dich und später dann die betreffenden Kinder aus dem Unterricht holte. Letztlich standest Du durch die dauernden Meldungen als kindische Petze da.

Aber immerhin: Es brachte insgesamt rund drei Wochen Ruhe. Wir atmeten auf, wagten vorsichtig zu hoffen.

Dann ging es wieder los. Neue Gespräche, wieder neue Versuche. Wieder kurz Ruhe. Und so weiter.

Kein Mitgefühl vonseiten der Lehrer

Echtes Mitgefühl für Dich, mein Kind, hat bisher jedoch keine/r der LehrerInnen gezeigt. Nicht eineR sagte: "Oh Gott, das arme Kind! Es tut mir leid, dass so etwas passiert ist. Ich werde alles tun, um das zu ändern. Ich will verstehen, was da geschieht." Nix.

Wie geht es Dir, mein Liebling?

Ich sehe, wie Deine Hände oft zittrig sind. Du bist angespannt und fahrig. Du weinst oft. Du hast Schlafstörungen, Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. Du bist aggressiv uns gegenüber, weil Du den Schauplatz nach Hause verlagerst, da Du in der Schule hilflos oft genug 10 bis 15 aggressiven Kindern gegenüber stehst.

Du hattest zwischenzeitlich Deinen Instagram-Namen in "Trash" geändert und Deinen Status in "Please don’t hate me". Es ist herzzerreißend.

Ich liebe Dich so sehr – ich würde Dich am liebsten den ganzen Tag drücken, halten und vor der Welt verstecken. Ich habe Dich stark gemacht, so weit ich es vermochte. Aber irgendwie hat es nie gereicht.

Mein süßes, geliebtes Baby, das keines mehr ist!

Die Erinnerung daran, mit welcher Freude und Neugier Du die Welt erkunden wolltest und mit welcher Wucht sie sich Dir dann ins Gesicht warf, ist furchtbar.

Mobbing macht ängstlich, Mobbing nimmt Selbstwertgefühl. Mobbing sorgt dafür, dass Du Dich immer ängstlich umdrehst, wenn auf der Straße jemand lacht. Obwohl er Dich natürlich gar nicht meint. Ich habe das beobachtet und es tat furchtbar weh.

Du bist ein wundervoller Mensch!

Du bist witzig, klug und vielseitig talentiert. Nun hast Du keine große Lust mehr an Literatur, am Lernen selber. Du hast Wissen voller Freude aufgesaugt.

Jetzt sagst Du: "Ich bin enttäuscht von meiner Intelligenz. Wegen ihr werde ich ausgegrenzt und geholfen hat sie mir bei diesen Problemen dann auch nicht."

Deine ganze Familie liebt Dich und freut sich, wenn wir dieses Kapitel irgendwann in den kommenden Monaten abschließen dürfen.

Wir sind für Dich da. Immer.

Deine Mama und Deine ganze Familie

Text von Bloggerin Lareine. Wir zeigen hier eine gekürzte Variante, den ganzen Brief lest ihr auf essentialunfairness.wordpress.com.

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