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Mama-Kolumne Mein Sohn ist ein Fitnessjunkie

Mamakolumne: Hanteln liegen in einem Fitnessstudio
© magdal3na / Adobe Stock
Immer mehr Jungs rennen ins Fitnessstudio, um auf Teufel komm raus Muskeln aufzubauen. Eine Mutter macht sich Sorgen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da lag mein Sohn auf seinem Bett und weinte. "Ich bin so ein Lauch", sagte er traurig. Er war gerade 15 geworden.

"Lauch" bedeutet so viel wie schmächtig und ist ungefähr das mieseste Schimpfwort, das Jungs sich an den Kopf werfen können. Denn stark zu sein ist für viele Jungs heute das vorherrschende Schönheitsideal – was ganz praktisch bedeutet, dass immer mehr männliche Teenager immer früher ins Fitnessstudio rennen, um sich möglichst viele Muckis anzutrainieren.

Für uns Mütter ist das eine ambivalente Sache. Denn einerseits ist es natürlich super, wenn die Kids gerne Sport treiben. Andererseits nimmt das immer öfter extreme Züge an. Eine Freundin von mir erzählt, dass ihr 15-jähriger Sohn fünf- bis sechsmal pro Woche trainiert und sich zu Hause tonnenweise Quark, Steaks und Proteinshakes reinschiebt. In der Schule fühle er sich oft erschöpft, weil er gefühlt nie zur Ruhe kommt. Der 17-jährige Sohn einer Kollegin stemmt fünfmal pro Woche Gewichte, an den anderen beiden Tagen schwimmt oder läuft er. Essenseinladungen nimmt er nicht mehr an, weil sie nicht in seinen Ernährungsplan passen. Im Urlaub ist ein Gym vor Ort die Bedingung, dass er überhaupt noch mitkommt.

Wie gehen wir damit um? Was ist normal, wo muss man sich Sorgen machen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Woher kommt dieser krasse Run auf die Muskeln?

Das liegt unter anderem an den Bildern, die in sozialen Netzwerken wie Instagram, Youtube und Tiktok gepostet werden: von Influencer:innen, aber auch Prominenten, die sich dort möglichst stark und fit präsentieren. Auch Werbemodels und Filmhelden werden immer muskulöser. Der Harvard-Professor Harrison Pope hat für eine Studie die Muskulatur der beliebtesten Spielzeug-Actionfiguren der letzten 40 Jahre vermessen. Ergebnis: Im Vergleich zu früher sind sämtliche Kinderzimmer-Helden von Luke Skywalker bis Batman heute geradezu grotesk muskulös.

Das hat Folgen: Männliche Jugendliche in Deutschland sind immer häufiger unzufrieden mit ihrem eigenen Körper, so die internationale HBSC-Studie, die alle vier Jahre das Gesundheitsverhalten von Schulkindern untersucht. Meistens fühlen sie sich zu schwach, nicht muskulös genug. Australische Forscher fanden heraus, dass Jungs im Alter von zwölf bis 18 heute gestresster von ihrem Körperbild sind als gleichaltrige Mädchen.

"Das Körperidealbild junger Männer hat sich komplett geändert", bestätigt der Münchner Psychologe Christian Strobel. "Es reicht nicht mehr, wenn jemand nur Sport macht und ein bisschen muskulös ist, da muss richtig viel Muskelmasse dran sein." Strobel hat lange eine Spezialambulanz für Essstörungen und Muskelsucht geleitet, er hat viel gesehen: Junge Männer, die kaum noch ein Gramm Fett am Körper hatten. Die völlig erschöpft waren von dem Druck, immer mehr Muskeln haben zu müssen. Und die verbotene Substanzen einwarfen, um über das Limit des Körpers hinauszugehen.

Ist Muskelsucht also die neue Magersucht?

Die Störungsbilder seien sehr ähnlich, sagt Strobel: "Muskelsucht beschreibt ein Verhalten mit dem Zwang, Sport machen zu müssen, bei gleichzeitiger auf den Sport ausgerichteter Diät und mit dem Wunsch, muskulöser zu sein, aber nicht schlanker." Und dieses Verhalten nehme eindeutig zu. Jungs, beobachtet er, seien dabei oft mehr alleingelassen mit ihren Gefühlen und Unsicherheiten als die Mädchen – was die Krankheit erst recht triggere: "Wenn ich meine Emotionen nicht regulieren und mit meiner Selbstunsicherheit nicht umgehen kann, dann kann ich dies beispielsweise mit Sport kompensieren. Diese Nichtoffenheit, über Gefühle reden zu können, ist die Grundursache des Phänomens", so Strobel weiter.

Wann muss ich mir als Mutter Sorgen machen?

Wenn es zu Erschöpfungszuständen, Ausgebranntsein bis hin zu sozialem Rückzug kommt. Ein deutliches Warnsignal ist es laut Strobel, wenn die Jungs zu wenig Zeit haben und nicht mehr funktionieren, weil sie so getrieben sind von ihrem Sportregiment. Wenn sie Freunde nicht mehr treffen, nicht mehr auf Geburtstage oder in Urlaub gehen, viele Lebensmittel nicht mehr essen wollen, die Ernährung sehr streng auf den Sport ausgerichtet ist. "Dann, und wenn man als Elternteil ein schlechtes Bauchgefühl hat, sollte man sein Kind ansprechen", rät der Psychologe.

Klingt gut, aber wie macht man das bei Pubertierenden, die alles doof finden, was die Eltern sagen?

Eher: "Ich mache mir Sorgen, ist alles okay?" als Kritik oder Verbote, rät Strobel. Die führten oft in die Heimlichkeit. Sein Tipp: Interesse zeigen, verständnisvoll bleiben und vorsichtig fragen: "Gibt es da nicht auch Nachteile? Ich mache mir echt Sorgen, dass du davon so viel nimmst." Mehr, so der Psychologe, sei oft schwierig. "Letztendlich ist das Perfide an Essstörungen und Muskelsucht, dass einem als Angehörigem die Hände gebunden sind. Die Betroffenen haben eine beinharte Disziplin, da kommt man nicht ran. Kontrolle ist der Kern der Erkrankung." Er rät, in eine Beratungsstelle zu gehen, wenn man sich Sorgen mache und nicht weiterkomme.

Kann zu viel Krafttraining den Jugendlichen schaden?

Ungesund wird es dann, wenn sie vor lauter Druck, zum Training gehen zu müssen, die Signale des Körpers ignorieren. Also: zum Beispiel krank zum Sport gehen oder trotz Verletzung weitertrainieren und sich überanstrengen, denn dann kann es zu Entzündungen, Ermüdungsbrüchen oder Erschöpfungssyndrom kommen. Ansonsten spricht laut Stephan Geisler, Professor für Fitness und Gesundheit an der IST-Universität in Düsseldorf, nichts gegen ein kontrolliertes und professionell angeleitetes Krafttraining für Jugendliche: "Es kann zu einem gesunden Knochenwachstum beitragen und die neuromuskuläre Zusammenarbeit verbessern." Der viel erschreckendere Trend sei, so der Sportwissenschaftler, dass sich mehr als 80 Prozent der Jugendlichen laut Weltgesundheitsorganisation zu wenig bewegen – weniger als die empfohlene Stunde am Tag.

Und was ist dann besser: Kraftmaschine, Hantel oder Körpergewicht?

Das kommt darauf an. Wenn Kinder groß genug sind für die Kraftgeräte, sind die am Anfang ein Vorteil, weil die Bewegung gut geführt wird. Das Training mit Hanteln ist komplexer, hier empfiehlt Sportwissenschaftler Geisler ein "ausgiebiges Techniktraining mit sehr leichten Gewichten" unter Anleitung eines kompetenten Trainers. Mit dem eigenen Körper zu trainieren, ist auch schon vor der Pubertät eine gute Idee – am besten spielerisch. Bringt aber natürlich nicht ganz so viel Muskelzuwachs.

Müssen wir den gesellschaftlichen Schönheitsdruck akzeptieren, weil wir nicht dagegen ankommen?

"Viele lehnen das Körperbild in unserer Gesellschaft ab", beobachtet Strobel. Etwas zu wissen und etwas zu fühlen, seien aber zwei verschiedene Dinge. "Die Störung fällt auf einen Nährboden, und das sind Defizite im emotionalen Erleben. Spüren und fühlen wird in unserer eher kognitiven Gesellschaft oft vernachlässigt." Der Experte rät daher, emotional offen zu bleiben: Jugendlichen vorzuleben, dass es okay ist, Schwächen zuzugeben und über Gefühle zu reden. Nicht immer der Starke zu sein, der alles perfekt hinbekommt, sondern verletzlich und empathisch zu sein. "Wenn wir emotional stark und mit uns verbunden sind, können wir leichter mit dem Schönheitsdruck umgehen und anders handeln."

Brigitte

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