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Notaufnahme: Warum mich Kritik an besorgten Eltern ärgert

Vertrauen Eltern dem Klinikpersonal zu wenig? Die Kritik einer Pflegerin hat viele bewegt. Stephanie kennt die andere Seite. Sie hörte auf ihr Bauchgefühl. Und das war richtig.

Wie ich meinem Bauchgefühl vertraute und richtig lag

Der offene Brief einer Krankenpflegerin macht seit einigen Tagen im Netz die Runde. In einer Facebook-Gruppe schreibt sie über überbesorgte Eltern, die aus ihrer Sicht zu schnell den Weg in die Notaufnahme suchen und sich dann aufregen, dass sie zu lange warten müssen. Mich ärgert dieser Artikel, denn er gibt mir das Gefühl, dass bereits am Empfang der Notaufnahme eine Einschätzung darüber möglich ist, wann ein Notfall ein Notfall ist.

Dass das leider nicht der Fall ist, habe ich bereits zweimal erlebt. Die erste Geschichte begleitet mich nun schon seit 12 Jahren und ich möchte sie gerne mit euch teilen.

Mein Säugling bekommt Fieber

Schlapp liegt mein 6 Wochen alter Sohn in meinem Arm. Es kam ganz plötzlich, morgens fing es an, dass er nicht mehr gestillt werden wollte und so ging es bis nachmittags weiter. Mittags kam Fieber dazu 38,5 Grad – nicht ganz außergewöhnlich für ein Kind.

Nachmittags ging es drastisch bergab mit seiner Verfassung und das Fieber stieg auf über 40,5 Grad. Fast regungslos liegt er in meinem Arm. Ein seltsamer Pickel am Oberschenkel fällt mir auf, aber sonst sehe ich nichts.

Wir fahren sofort in die Notaufnahme

Wir melden uns an, nach einiger Zeit kommt eine Schwester und misst Fieber. Dann werden wir sitzen gelassen – drei lange Stunden lang kümmert sich niemand um mein kleines Baby und ich werde fast wahnsinnig.

Dann endlich dürfen wir in den Behandlungsraum. Der Arzt hört mein Baby ab. Er hört nichts und kann auch nichts Auffälliges feststellen, aber er stellt eine Diagnose. Mein Sohn hat eine Lungenentzündung.

Ich weise den Arzt auf einen Pickel am Oberschenkel meines Sohnes hin, den ich bereits am Tag zuvor entdeckt habe. Ich bitte ihn, einen Blick darauf zu werfen. Er schaut es sich beiläufig an, sagt, das wäre nichts Auffälliges und schickt mich zum Röntgen.

Ich weiß nicht, ob es heute noch so üblich ist, aber damals vor 12 Jahren wurden Babys in eine Art Plastikhose gesteckt, die von der Decke herabhing (blöde Beschreibung, aber so war es). So konnte das Baby in einer Stellung gehalten und geröntgt werden. Mein Baby schrie sich die Seele aus dem Leib und ich weinte mit ihm. Aber man ließ mich nicht zu ihm, ich musste draußen warten.

Die Diagnose – mein Baby hat eine Lungenentzündung. Diese Diagnose fühlt sich nicht richtig an für mich. Wie kann man eine Röntgenaufnahme von einem kleinen schreienden, zappelnden Kleinkind machen, die so sauber ist, dass sie eine Diagnose zulässt?

Wir müssen im Krankenhaus bleiben

Da mein Sohn seit rund 20 Stunden nicht gegessen und getrunken hat, versuchen die Ärzte, ihm einen Zugang zu legen. Es funktioniert nicht an den Armen, sie wollen ihm den Zugang am Kopf legen. Ich wehre mich, bitte um eine kleine Pause, versuche mein Baby mit Wasser und einem Löffel zu füttern. Mühsam, aber es geht.

Bei der morgendlichen Arztvisite bitte ich die Ärzte nochmals, sich den Pickel am Bein meines Sohnes anzuschauen. Dieser war zwischenzeitlich groß, sah eitrig aus. Sie schauten es sich an und waren sich einig, dass es nichts Schlimmes ist.

Wir bekommen Antibiotika. Sie schlagen nicht an

Mein Sohn hat immer noch rund 40 Grad Fieber, er reagiert, aber er ist schlapp. Wir inhalieren, ich füttere ihm mit dem Löffel Wasser und abgepumpte Muttermilch. Es ist mühsam, aber es geht und wir kommen um den Zugang rum.

Mein Bauch schreit mich an. Und ich höre auf ihn

Der Pickel am Bein ist aufgeplatzt, es sieht aus, als hätte sich einen halben Millimeter tief ein Loch ins Bein gebohrt. Ich halte die Ignoranz der Ärzte nicht mehr aus. Ich packe den ganzen Mut zusammen, den ich mit meinen damals 22 Jahren aufbringen konnte und bitte die Ärzte, mich auf eigene Gefahr zu entlassen. Sie machen mir Vorwürfe, wollen mich abhalten, aber ich bleibe standhaft.

Ich fahre alleine mit meinem damals Zweijährigen und meinem Neugeborenen nach Hause von Berlin nach Hamburg

Schon unterwegs rufe ich einen Hautarzt an. Ich werde ernst genommen, soll vorbeikommen, sobald ich ankomme. Ich komme sofort ran. Der Arzt schaut sich die offene Stelle am Bein meines Sohnes an. Die Diagnose: Staphylokokken.

Er verschreibt ein Antibiotikum in Form einer Salbe, die ich sofort aus der Apotheke hole und beginne mit der Behandlung.

Am kommenden Morgen schreit mich mein Baby an. Es hat Hunger, richtig großen Hunger

Noch nie in meinem Leben war ich so glücklich, von einem Baby angeschrieen zu werden. Denn deutlicher konnte mir mein kleiner Sohn nicht zeigen, dass er nun wieder gesund wird und wir es überstanden haben.

Seitdem weiß ich: Ich verstehe meine Kinder so gut wie kein anderer, ich habe es – dieses Bauchgefühl, gemischt mit Mutterliebe. Und ich weiß, ich muss kämpfen und gegen den Strom schwimmen, wenn ich sicher bin, dass etwas schiefläuft.

Es sollte nicht die einzige Situation in meinem Leben als Mutter bleiben, in der mein Bauchgefühl mehr wusste als mein Kopf.

Das ist eine von zwei Geschichten. In der anderen fiel mein Sohn von einer Leiter und ich saß mit ihm über zwei Stunden in der Notaufnahme. Ich weiß noch, wie ich mich über eine Schwester ärgerte, die zu mir sagte: "Er kann ja noch auf dem Handy spielen – dann kann es ja nicht so schlimm sein."

Das Ergebnis: Vier Rückenwirbel waren nach dem Sturz gebrochen.

Als Notfall wurden wir jedoch nicht wahrgenommen.

Und aus diesem Grund ärgere ich mich über den oben genannten Artikel, denn er erweckt einen falschen Eindruck. Keine Schwester und auch kein Arzt können auf den ersten Blick eine Diagnose stellen. Keiner kann wissen, wie ernst eine Erkrankung wirklich ist.

Für mich ist es unendlich wichtig, dass wir als Eltern auf unseren Bauch hören und uns für unsere Kinder stark machen!

Text von Stephanie Leue-Zeidler, ursprünglich erschienen auf ihrem Blog MeinMini.me.

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