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Zielgruppe Kinder: Gebt! Uns! Euer! Geld!

Kauft, Kinder, kauft! Die Industrie ist äußerst kreativ, wenn es darum geht, die "Zielgruppe Kinder" um den Finger zu wickeln. Die Eltern stehen oft hilflos daneben. Erfahrungsbericht einer Mutter.
Sieg der Industrie: Kinder entscheiden längst mit, was eingekauft wird
Sieg der Industrie: Kinder entscheiden längst mit, was eingekauft wird
© Cyril Comtat/Fotolia.com

"Fester! Gut so! Drück zu! Jaaa!" Was für manche wie der Genuss unorthodoxer Sexpraktiken klingen mag, sind in Wahrheit die Worte einer Mutter an der Supermarktkasse: meine. Damit habe ich meinen kleinen Sohn angefeuert, wenn er wiedermal ein Ü-Ei zerdrückt hat, das Marketingstrategen so an der Kasse platziert haben, dass Kinder in der Warteschlange danach greifen MÜSSEN. Natürlich in der Hoffnung, dass Mama oder Papa aus Scham gleich die ganze Palette kauft. "Quengelware" nennen Marketingleute das Zuckerzeug in Kinderreichweite, ich nenne es "Quetschware": Drück zu, Kleiner!

Das Anheizen der Gewaltexzesse meines Kleinkindes am Ü-Ei ist natürlich nur meine kleine Rache an einer mächtigen Industrie. Sie macht Kinder zu Konsumenten, mit großem Etat und großem Erfolg. Früher beschränkte sich das Kindermarketing auf Kaugummiautomaten, die an Hauswände geschraubt wurden. Heute geht die Lebensmittelindustrie mit "Unterrichtsmaterialien" in Schulen und Kitas, um die Kleinen auf subtile Weise zu Soft-Drink- und Junk-Food-Jüngern zu machen, wie die Organisation "Foodwatch" zeigte. "Die Zeit" fand heraus, dass Zehnjährige bereits 300 bis 400 Marken kennen.

Viele Eltern gehen betont lässig damit um. "Wie, du warst noch NIE bei McDonalds!?", fragte ein Vater auf dem Spielplatz entgeistert, als mein Sohn seine Frage verneinte. Ich fühlte mich wie die böse Stiefmutter aus dem Märchen, die ihrem Stiefkind lebenserhaltende Maßnahmen verwehrt. "Kauf deinem armen Kind mal Nutella!", witzelte ein anderer Vater, als er meinen Sohn nach einem Wochenende am Meer zurückbrachte. Offenbar ist es bei einigen Leuten verpönt, Kindern das Zucker- und Fettessen zu verwehren, das so irre viel Spaß macht. Etwa die Kunstaroma-Joghurts mit den lustigen Comicfiguren drauf, oder die Kinderschokoriegel mit den "fun-for-you"-Sammelpunkten, für die man zur WM ein Fußballtrikot ergattern konnte. Nur leider passte das Kind nicht mehr rein, wenn es die erforderliche Schokolade gegessen hatte. Um ein Trikot zu bekommen, hätte es sich 5,5 Kilo Zucker und 18 Päckchen Butter einverleiben müssen, auch das hat "Foodwatch" errechnet.

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Trotz gegenteiliger Bemühungen der Lebensmittel-Hersteller bin ich noch halbwegs erfolgreich, wenn es darum geht, mein Kind gesund zu ernähren. Klar, Süßes gibt es auch bei uns mehr als genug, aber wenigstens hat noch kein "Fruchtzwerg", kein "Pom-Bär" und keine "Monster Backe" unsere Schwelle übertreten. Wie ich das geschafft habe? Durch schlichte Vermeidung: Ich nehme mein Kind nicht mit zum Einkaufen. Und wenn ich es doch mal mitnehmen muss, spare ich nicht mit Kapitalismuskritik: "Diese 'Cookie Crisps' stehen nur auf deiner Augenhöhe, damit du sie haben willst und andere Menschen reich werden. Du hingegen wirst dick davon und deine Zähne werden schlecht."

Von der fröhlichen Kindermast profitieren wiederum ganz neue Wirtschaftszweige. Für einen Monatsbeitrag von 89 Euro können Kinder in speziellen Fitnessstudios Hanteln stemmen, wie in Hamburg. In Berlin können Mädchen im "Barbie Dreamhouse" (Familienticket 49 Euro) einem superschlanken Role Model nacheifern - was womöglich wie von selbst zur Gewichtsreduktion beiträgt.

Aber "Barbie" und Abspecken sind bei uns zu Hause zum Glück kein Thema. Bei uns ist es das "Star Wars"-Imperium, das Schwarze Löcher in den Geldbeutel reißt. Es begann mit den Sammelkarten, die es an jeder Ecke zu kaufen gibt, und die mit den Freunden getauscht werden - und von denen immer neue Serien aufgelegt werden, damit die Kinder niemals aufhören, ihr Taschengeld dafür auszugeben. Vorausgesetzt, sie haben noch welches, nachdem sie "Star-Wars"-Lego, -Zeitschriften, -Bücher, -Computerspiele und -Kostüme gekauft haben. Gut, es gibt Schlimmeres auf der Welt als ein Weltraumkriegs-Epos, das "Disney" Milliarden in die Kasse spült. Aber ich fände es schon schön, wenn auf unseren Weihnachtsfotos 2013 nicht schon wieder Darth Vader unterm Tannenbaum stünde.

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