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R.I.P. Rosi: Das kurze Leben einer Wasserschnecke

R.I.P. Rosi: Das kurze Leben einer Wasserschnecke
© Morrowind / shutterstock
Alle Kinder wollen Haustiere. Auch die der Autorin Patricia Cammarata. Achtmal hat sie "Nein" gesagt, nach der neunten Frage hatte sie zwei Wasserschnecken als Mitbewohner. Mit tragischem Ausgang.

R.I.P. Rosi

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Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Sehr gerne, Mama, du Arschbombe" von Patricia Cammarata.

Alle Kinder wollen Haustiere. Natürlich auch meine. Es gibt da nur ein Problem: Ich hasse Haustiere.

Das hat unzählige Gründe. Der Dreck (an den Pfoten, die Haare, die ausfallen, die Ausscheidungen), der Gestank (der nasse Hund, das Katzenklo, der Hasenstall, das Futter), die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten (wohin mit dem Tier, wenn wir in den Urlaub fahren?), die Streitpotenziale (wer geht mit dem Hund? Wer füttert die Meerschweinchen?), die Kosten (Ausstattung! Tierarzt! Nahrung!) und nicht zuletzt: Am Ende hat man das Vieh eben doch lieb, und dann stirbt es irgendwann, und alle sind fix und fertig mit den Nerven.

Meine Ansage diesbezüglich war klar: Solange wir keinen Bauernhof haben, haben wir auch keine Tiere.

"Einen Hund vielleicht?" "Nein." "Einen kleinen Hund?" "Nein." "Katze?" "Nein." "Hasen?" "Nein." "Meerschweinchen?" "Nein." "Hamster, Mäuse, Ratte?" "Nein." "Vögel?" "NEIN!" "Okay, Schildkröte?" "Nein. Himmelherrgott! Ihr habt doch eure Geschwister. Spielt mit denen."

Letztendlich kann ich nicht mehr rekonstruieren, wie es dazu kam, aber ich stand irgendwann mal mit den Kindern in einem Zoofachgeschäft. Sie streunten durch den Laden, und ich sah, wie sie hinter einem Regal verschwanden. Es sah so aus, als ob sie etwas miteinander beraten würden. Dann kam Kind 2 festen Schrittes auf mich zu: "Mama, wir haben da eine Frage!" Die Geschwisterkinder nickten und machten ernste Gesichter.

"Ja, bitte?" "Du magst Haustiere nicht, weil sie teuer sind, weil sie Dreck machen, sich immer einer kümmern muss, richtig?" "Das ist korrekt." "Okay, wir hätten gerne eine Wasserschnecke."

Kind 2 zog mich zu einem der Aquarien. Gelbe Apfelschnecke stand da: 1,20 Euro pro Stück. "Hm", sagte ich. "Sie machen keine Arbeit." Das Kind schnappte sich einen der Mitarbeiter. Kind 2: "Brauchen Wasserschnecken ein Aquarium?" Mitarbeiter: "Nein." "Hm", sagte ich.

Algen und Wasser - mehr brauchen die Schnecken nicht

Der Mitarbeiter schwärmte mir vor, wie pflegeleicht Wasserschnecken wären. Sie bräuchten eigentlich kein sauerstoffangereichertes Wasser. Ein paar Algen, dann müssten sie auch nicht gefüttert werden. Etc. etc. Um es abzukürzen, ich habe eingewilligt. Wir kauften zwei Schnecken. Eine gestreifte und eine gelbe und drei Wasserpflanzen. Die Kinder zahlten mit ihrem Taschengeld.

Zuhause füllte ich eine große, rechteckige Glasvase mit Wasser und warf Pflanzen und Schnecken hinein. Sie sanken auf den Boden.

Kinder im Chor: "Sie sollen Rosi und Zenta heißen!"

"Jaja", sagte ich und ging in die Küche, um zu kochen.

Als ich eine Stunde später den Tisch deckte und nach den Schnecken schaute, lag Zenta, die Zebraschnecke, immer noch eingerollt auf dem Boden. Rosi hingegen war an die Wasseroberfläche gekrochen.

Ich googelte "Apfelschnecke an Wasseroberfläche"

Zwei Tage später hatte sich das Bild nicht geändert. Rosi oben, Zenta eingerollt unten. In mir keimte ein schrecklicher Verdacht. Zenta war wohl auf mysteriöse Weise verstorben. Warum Rosi als Wasserschnecke dagegen unter allen Umständen dem Wasser entkommen wollte, war mir ein Rätsel.

Ich googelte "Apfelschnecke an Wasseroberfläche" und bekam meine Antwort. Apfelschnecken haben Lungen und Kiemen. Wenn das Wasser zu wenig Sauerstoff enthält, kommen sie an die Wasseroberfläche, um dort über ihre Lungen zu atmen.

Auch sonst stimmte rein gar nichts von dem, was der Zooladenmitarbeiter mir gesagt hatte. Wasserschnecken haben komplexe Bedürfnisse, wollen gefüttert werden, mögen Sauerstoff im Wasser und sind auch ansonsten so kompliziert wie jedes x-beliebige andere Haustier.

Eine Grabesrede für Zenta, die wunderbare Zebraschnecke

Nachdem Zenta am fünften Tag noch so aussah wie am ersten Tag, erklärte ich sie für tot. Die jüngeren Kinder heulten Rotz und Wasser. Zenta! Zenta! Die wunderbare Zebraschnecke! Sie war tot! Tot! Tot!

Wir mussten sie beerdigen und ein Grab basteln, und man verlangte von mir eine mitfühlende Rede. Es war grauenhaft. Ich kannte Zenta doch gar nicht. Wie sollte ich meine Worte wählen, wenn ich doch gar nichts über sie wusste?

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Auch um Rosi machten wir uns große Sorgen. Sie saß da am oberen Rand der Glasvase, war einsam, vermutlich hungrig und atmete lautlos durch ihre Lungen.

Da der Kindergarten ein Aquarium besaß, haben wir sie am nächsten Morgen schließlich in den Kindergarten gebracht.

Alle Kinder waren fröhlich!

Am übernächsten Morgen war Rosi verschwunden. Genau genommen war Rosis Schneckenhaus noch da, nur der Fleischteil von Rosi war weg. Dafür sah einer der Fische etwas dicker und zufriedener aus als sonst.

Als wäre das nicht genug, hat Rosi kurz vor ihrem Dahinscheiden noch mal ordentlich abgelaicht. (Wie sagt man da bei Schnecken? Abgeschneckt?) Sie gebar mehrere Dutzend gelbe Minischneckchen, die wiederum mehrere Duzend Minischnecken gebaren, die ihrerseits ...

Das war vor einem Jahr. Seitdem werden wir nicht mehr Herr über die Schneckenplage im Aquarium. Selbst die Fische haben aufgegeben, die Schnecken zu fressen. Es sind einfach zu viele.

Und das, liebe Kinder, ist, warum ich ab jetzt WIRKLICH NIE MEHR EIN HAUSTIER MÖCHTE.

Text von Patricia Cammarata, Auszug aus ihrem Buch "Sehr gerne, Mama, du Arschbombe" (Bastei Lübbe)Autorenfoto: Eva Stolz

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