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"Kinderteller sind schlecht für Kinder - und Eltern!"

Mädchen, Pommes
© Maria Symchych / Shutterstock
Zu lieblos, zu langweilig: Die Kinder-Speisekarte sollten Eltern besser ignorieren - findet BRIGITTE-Redakteur Henning. Seine Kollegin Michèle ist da anderer Meinung. Und was denkt ihr?

Henning: "Weg mit der Kinder-Karte!"

Kinder-Speisekarten im Restaurant sind total praktisch, echt jetzt! Da kriegen alle, was sie haben wollen. Das Kind bekommt im Idealfall das Lieblingsessen (oder zumindest irgendwas, was ihm einigermaßen schmeckt, notfalls mit viel Ketchup). Und die Eltern kriegen einen Abend ohne lange Essens-Debatten, an dem sie sich ausnahmsweise einfach mal entspannen können (nachdem sie das "Pinnochio-Schnitzel" in mundgerechte Happen geschnitten haben).

Das ist bequem, und daher für die meisten Eltern beschlossene Sache beim Restaurant-Besuch. Aber ist die Kinderkarte deshalb wirklich die erste Wahl?

Ich finde: Nein. Denn die Kehrseite des "Tom und Jerry"-Pommestellers ist ein für Kinder wenig aufregendes Erlebnis und eine verpasste Chance, mal was Neues auszuprobieren.

Wenn ich mir vorstelle, in jedem Restaurant gäbe es für mich nicht das komplette Angebot sondern die immer gleichen Variationen aus Pommes, Schnitzel, Nudeln und Fischstäbchen, würde mich das wahnsinnig langweilen. Ganz zu schweigen davon, dass man die Sachen allesamt eh ständig zu Hause kocht (ich war schon in vielen Restaurants, die ohne mit der Wimper zu zucken zum vollen Preis einen Teller Miracoli servieren).

"Im Restaurant werden Kinder plötzlich mutig"

Auf der anderen Seite ist so ein Restaurantbesuch ein ganz anderes Umfeld, bei dem Kinder plötzlich überraschend mutig werden und sich an anderes Essen herantrauen. Oft ist das schon alles, was nötig ist: Ein anderer Rahmen.

Wir waren schon alle oft erstaunt, was unsere Kinder in Kita, Schule und bei Freunden so alles verputzen: Fremde Gemüse, Gewürze und Gerichte, die sie zuhause angeekelt so weit wie möglich von sich schieben, sind da plötzlich totale Leckerbissen. Klar, sind ja auch nicht von Mama und Papa gekocht. Und genau diesen Effekt gibt's im Restaurant häufig auch. Eigentlich wollen Kinder doch auch oft selber mal "groß" sein. Ein echtes "Erwachsenen-Essen" ist da manchmal eine Mutprobe, die ihnen Spaß macht.

Es kann etwa richtig spannend sein, zusammen in den "normalen" Vorspeisen zu stöbern (eine echte Schatztruhe an Kinder-Hits, wenn die Berührungsängste überwunden sind). Und auch, wenn man mal danebengreift, sind meistens trotzdem genug Pommes, Bratkartoffeln oder andere Beilagen auf dem Teller, die satt machen.

Kinder-Karte: Gerne. Aber nicht automatisch und immer.

Nein, keine Panik: Ich will die Kinder-Karten nicht grundsätzlich abschaffen! Der stressfreie Abend geht vor, insbesondere wenn die Kinder wirklich noch sehr klein sind. Aber wenn man wirklich ausnahmslos immer nach der Kinderkarte greift, ist das eine verpasste Chance. Kinder können mutiger sein, als wir denken. Wir Eltern müssen uns nur trauen!

Michèle: "Ich bin auch für Essens-Mutproben - aber bitte nicht im Restaurant!"

Ach, es wäre so schön. In dieser idealen Welt zu leben, in der mein Kind täglich exotische Speisen probieren will. In der es sich an kulinarischen Experimenten ergötzen und sich über jede neuentdeckte Geschmacksrichtung freuen würde, als wenn es gerade lebenslangen freien Eintritt in alle Freizeitparks der Welt gewonnen hätte.

Es würde beim Genuss der Speisen auch ruhig am Tisch sitzen, mit Gabel UND Messer essen, die Serviette nicht zum Zerpflücken, sondern zum Mundabwischen verwenden und sich in normaler Lautstärke mit uns unterhalten. Ein Traum ...

... und puff. Ich lebe leider nicht in dieser idealen Welt, die mein Kollege da heraufbeschwört. Ich lebe in einer Welt, in der mein Kind zu kreischen anfängt, wenn der Pizzabäcker eine Prise Basilikum auf die Pizza gestreut hat, obwohl wir beim Bestellen dreimal gefleht hatten "Keine Kräuter!".

Ich lebe in einer Welt, in der die Tochter den Gemüsebratling aus dem Kindergarten zwar über alles liebt – aber alle anderen Gemüsebratlinge pauschal verabscheut und daher gar nicht erst probiert. Wenn ich ihr mit Sushi komme, lacht sie mich aus. DAS soll Essen sein?

Denn der Vorstellung meiner Tochter gelten zwei wichtige Regeln: 1. Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. 2. Ein ordentliches Mahl muss mindestens Nudeln enthalten. Und am besten auch nichts anderes.

"Ich hab beim Inder keine Lust auf Verhandlungen um drei Erbsen in der Soße"

Meine Welt ist eine der Diskussionen, der Verhandlungen um Probierhappen, um die Vorzüge von Gemüse und ja, ich geb's zu, auch um den Nachtisch. Habe ich darauf wirklich Lust, wenn ich mit der Familie in ein Restaurant gehe?

Ehrlich gesagt, nein. So oft gehen wir auch nicht essen, und dann möchte ich gern, dass alle Beteiligten glücklich sind. Und wenn mein Kind sich über die Pommes und Chicken Nuggets freut, die es sonst eher selten bekommt, dann macht mich das auch froh. Und ich kann in Ruhe den Rehrücken genießen, statt mich darüber zu ärgern, dass die Tochter ein Gericht für 12 Euro einfach links liegen lässt.

"Kinder lieben Dinge, auf denen 'Kinder' draufsteht."

Dazu kommt: Viele Kinder stehen eben auf Dinge, auf denen explizit "für Kinder" draufsteht. Die wollen gar nicht die Erwachsenen-Version - sondern etwas, was eigens für sie kreiert wurde. Den Kinder-Eingang, das Kinder-Kino, und eben den Kinderteller. Warum ihnen nicht den Spaß gönnen?

Nein, lieber Henning. Macht ihr mal eure Experimente. Ich hebe mir die lieber für zuhause auf – ohne dabei von 23 Restaurantgästen und genervten Kellnern beobachtet zu werden.

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