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Kinder essen ungesund: Dirty Eating für alle!

Kinder essen ungesund: Dirty Eating für alle!
© EvgeniiAnd / Shutterstock
Beim Familienessen hat Verena Carl klare Prinzipien: Extrawürste gibt’s keine! Leider nicht mal vegane. Denn Clean Eating, Low Carb & Co. kann sie sich nicht leisten – aus logistischen Gründen.

Wenn sich meine Kinder so richtig ungerecht behandelt fühlen, beginnen sie ihre Sätze mit: Alle anderen haben auch. Einen Hund, eine X-Box, ein Netflix-Abo. Mir geht es da nicht besser. Alle anderen – also: Freundinnen, Kolleginnen, Elternratsmitglieder – haben sich mit den Jahren spezielle Essgewohnheiten zugelegt. Vegan, Low Carb, clean, grüne Smoothies. Echte wie gefühlte Unverträglichkeiten werden gepflegt wie Koi-Karpfen. Nicht falsch verstehen, ich bin ja froh, dass es mittlerweile für jedes Stoffwechseltöpfchen das passende Deckelchen gibt. Ich frage mich bloß: Wie machen die das, ganz praktisch? Haben die keine Kinder – oder bloß nicht meine? Ich bin ja Familien- Ernährerin und damit Vorsitzende einer vierköpfigen GroKo. Da ist die Schnittmenge verdammt klein. Alles, was da drin ist, ist entweder fies fettig (Chicken Nuggets), fies teuer (Garnelen) oder beides (Lammkoteletts).

Statt Linsen-Eintopf lieber Weißmehltoast

Klar kann ich tun, was diverse Ratgeber empfehlen: "Bringen Sie immer wieder neue Lebensmittel auf den Familientisch." Danach frieren Linsen-Tomaten-Eintöpfe im Fünf-Sterne-Fach von Ewigkeit zu Ewigkeit, während meine Kinder ihren Kalorienbedarf mit Weißmehltoast und Lakritzkatzen stillen. Wertung auf der Nährwertskala: gerade mal ein halber Stern. Wertung auf der Mama-ist-die-Beste-Skala: vier Sterne.

Also steht unsere Ernährungspyramide auf einem Fundament aus Pfannkuchen, Maul­taschen und Geschnetzeltem. Meine Kinder finden: Da steht sie gut. Mein Mann liebt seine Kantine. Bei Sonderwünschen Einzelner murmele ich mein Mütter-Mantra: "Ich bin kein Restaurant." Extrawürste gibt es keine. Für mich im Übrigen auch nicht. Höchstens den kleinen Beilagensalat.

Die Kinder werden älter - aber Gemüse mögen sie immer noch nicht

Dabei fing alles so gut an. Als Kleinkind wechselte meine Tochter übergangslos von Muttermilch zu Mandarinen, mein Sohn liebte im gleichen Alter Bananen so sehr, dass er immer gleich zwei auf einmal wollte. Aber kaum konnten sie sprechen, war die Obst- und Gemüsewelle vorbei: "Meckt nich." Eine Zeit lang fand ich Trost in den Büchern eines Kinderarztes aus dem Allgäu, der behauptete: Es ist ganz normal, dass Kinder mit etwa drei Jahren wählerischer werden. Wie lang die phobische Phase dauert, verschwieg er. Einmal dachte ich, es wäre so weit: Als meine Tochter in die Kita kam, behauptete sie, sie hätte Karotten gegessen. Ich träumte vom Durchbruch und versuchte, das Wunder nachzukochen. Sie nahm nicht mal einen Probierlöffel: "Im Kindergarten sind die flacher."

Mittlerweile sitzen zwei Pubertiere mit am Tisch, die sich auch über Nachhaltigkeit und globale Ernährungsfragen Gedanken machen. Richtig so. Aber jedes Mal, wenn sie mit einer vegetarischen Woche drohen, wird mir schlecht: Das heißt siebenmal Nudeln mit Käse-Sahnesauce. Mein Sohn, immerhin, mag mittlerweile grüne Bohnen. Mit viel Butter und Speckstückchen. Intuitives Essen, so liest man derzeit überall, sei die gesündeste Form der Ernährung. Weil der Körper am besten weiß, was er wirklich braucht. Nur bei den Körpern meiner Kinder bin ich da nicht so sicher.

Kinder essen ungesund: Dirty Eating für alle!

Dirty Eating hat auch Vorteile

Manchmal, beim achten Hackbällchen der Woche, habe ich einen tröstlichen Tagtraum: Alle anderen – also Freundinnen, Kolleginnen und Elternrats-Mitglieder – müssen für fleisch­lastige Momente heimlich in ein Steakhaus oder zur Frittenbude gehen. Vielleicht in einer Stadt, in der sie keiner kennt: What happens in Bad Bevensen stays in Bad Bevensen. Hinterher sind sie völlig berauscht von der eigenen Sündhaftigkeit.

Und ich? Wenn ich mal über die Stränge schlagen will, koche ich mir ein veganes Süppchen mit Steckrübe und Rote Bete nur für mich allein. Vitamine! Reinheit! Die reinste Orgie. Aber, bitte: Das bleibt unter uns.

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BRIGITTE 4/2020

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