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Jung verwitwet So setzt du deine Rechte durch

Jung verwitwet: Frau am Tisch mit Laptop und Notizbüchern
© Burdun Iliya / Shutterstock
Wenn der Partner früh stirbt, bleiben Mütter mit ihren Kindern allein zurück. Zum tiefen Schmerz und der Überforderung kommt oft eine enorme soziale Härte.
Verena Carl

Als der Anruf kam, an einem Oktobertag vor fünf Jahren, war Anke Quast gerade beim Kuchenbacken. Schnell noch ein Blech fertigmachen für den Tag der offenen Tür in der Schule ihrer achtjährigen Tochter. Morgens hatte ihr Mann gesagt: "Mir geht’s irgendwie komisch, vielleicht brüte ich etwas aus." Und nun diese Stimme an ihrem Ohr: "Ihr Mann hatte einen schweren Herzinfarkt und liegt auf der Intensivstation, kommen Sie bitte sofort." Noch am selben Nachmittag war die Verkäuferin aus dem Ruhrgebiet Witwe, mit 47 Jahren. Eine alleinerziehende Mutter auf die endgültigste Art, die man sich denken kann.

Das Gefühl des Alleingelassenseins

Etwa 1,7 Millionen Einzel-Eltern minderjähriger Kinder gibt es in Deutschland, zum überwiegenden Teil Mütter – und etwa jede Zwanzigste muss die Erziehung nicht wegen einer Trennung allein stemmen, sondern weil der Partner gestorben ist.

"Eine Randgruppe sind wir aber nicht", findet Martina Münch-Nicolaidis, Gründerin der "Nicolaidis-Youngwings"-Stiftung. Vor mehr als 20 Jahren verlor sie ihren damaligen Mann bei einem Autounfall, wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter. Seither setzt sie sich für die Belange anderer Betroffener ein. Nach ihren Erhebungen gibt es deutschlandweit 500 000 Witwen und Witwer unter 50 Jahren und 800 000 Halb- und Vollwaisen. Doch in der öffentlichen Diskussion um Alleinerziehende spielt das Schicksal dieser Gruppe kaum eine Rolle.

Trennung und Tod – zwei "völlig verschiedene Lebenssituationen!", Martina Münch-Nicolaidis mag nicht vergleichen oder gar aufrechnen. Aber so unterschiedlich Paare auseinandergehen, eines haben sie gemein: Immerhin ist da noch ein Gegenüber, mit dem man reden, im besten Fall gemeinsam Verantwortung für die Kinder übernehmen kann. Der Tod streicht diese Option ein für alle Mal. Witwen wird entweder vom einen Tag auf den anderen der Boden unter den Füßen weggezogen, oder sie haben eine jahrelange Ärzte-Odyssee hinter sich. Eines eint die meisten von ihnen: ein Gefühl abgrundtiefen Alleingelassenseins.

Der Kampf ums Überleben

"Hilfsbereitschaft im Alltag ist schon vorhanden. Aber mit der Trauer mag sich kaum jemand belasten und auseinandersetzen", erzählt Antje Schlüter*, Mutter von drei Kindern zwischen sechs und 16 Jahren, deren Mann vor fünf Jahren an Krebs starb. Nicht minder hart vom Schicksal getroffen fühlt sich Anja Schoppmann*, Mutter einer Teenager-Tochter, deren Mann sich 2012 das Leben nahm: "Wir sind eine erfolgsverwöhnte Gesellschaft, da haben solche Geschichten keinen Platz. Ich habe deutlich gemerkt, wie sich mein Freundeskreis verändert hat: Man wird seltener eingeladen, vielleicht aus Rücksicht, aber ich habe auch das Gefühl, weil es andere irritiert."

Ihr melancholisches Fazit: "Man ist oft so sehr mit Überleben beschäftigt, dass man keine Kraft mehr hat, sich Unterstützung zu holen – gerade wenn man sie bitter nötig hätte."

Und ausgerechnet in dieser Ausnahmesituation ist oft wenig Raum und Zeit für Trauer. "Der Verlust des geliebten Menschen in der Aufbauphase des Lebens bringt junge Trauernde nicht nur aus dem Gleichgewicht, sondern häufig an den Rand der finanziellen und persönlichen Existenz", sagt Martina Münch-Nicolaidis.

Weil plötzlich ein Gehalt wegfällt, aber Immobilienkredite weiterlaufen; weil die Ansprüche an die Rentenkassen geringer sind, je kürzer jemand dort eingezahlt hat. Sicher, auch Trennungen führen häufig zu prekären Verhältnissen. Aber immerhin herrscht Klarheit bei den Ansprüchen. Die sogenannte "Düsseldorfer Tabelle" regelt den Unterhalt nach einer Trennung.

Die Angst um Altersarmut

Ein Todesfall ist wirtschaftlich gesehen immer ein Einzelfall. So wird zum Beispiel die "Große Witwenrente" nur gezahlt, wenn das Paar mindestens ein Jahr lang verheiratet war und der Verstorbene mindestens 60 Monate in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt hat. Und auch dann beträgt sie nur einen Bruchteil des wegfallenden Gehaltes.

Wer nicht verheiratet war, geht leer aus, in der Regel auch die Hinterbliebenen von Freiberuflern, die keine Beiträge abgeführt haben.

Dazu kommt: Nur ein geringer Teil ist steuerfrei, und verdient eine Mutter mehr als einen bestimmten Freibetrag, wird die Hinterbliebenenrente entsprechend gekürzt. Diese sogenannte "Zuverdienstgrenze" liegt bei einer Mutter mit einem Kind bei rund 1100 Euro monatlich, und zwingt vor allem Witwen mit kleinen Kindern zu einer Wahl zwischen Pest und Cholera. Schlechte Möglichkeit Nummer eins: Sie arbeiten dennoch so viel wie möglich, obwohl da kein Partner mehr ist, mit dem die Frauen sich die Kinderbetreuung teilen können. Heißt: höhere psychische Belastung für alle Beteiligten, ohne dabei mehr auf dem Konto zu haben.

Schlechte Möglichkeit Nummer zwei: Sie arbeiten gerade so wenig, dass ihnen die volle Witwenrente zusteht, sammeln dafür aber weniger eigene Punkte in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mögliche Spätfolge: Altersarmut.

Auch Verkäuferin Anke Quast ist seit dem Tod ihres Mannes nur noch in Teilzeit tätig, aber immerhin ihr wird es nicht auf die Füße fallen: "Ich bin spät Mutter geworden und habe vorher 20 Jahre Vollzeit gearbeitet – so ist für mein Alter vorgesorgt."

Ist das erste Kalenderjahr nach dem Tod des Partners verstrichen, fallen Witwen außerdem aus dem Splitting-Tarif und landen im ungünstigeren Grundtarif. Eine Frechheit, findet Antje Schlüter: "Ich leiste das Doppelte an Erziehungsarbeit, habe aber weniger netto vom brutto auf dem Gehaltszettel." Die Halbwaisenrente, die den Kindern zufließt und damit in der Regel auch der Haushaltskasse, wird zwar bei Minderjährigen ohne Abzüge ausbezahlt. Aber das ist ein schwacher Trost. Stirbt ein Durchschnittsverdiener jung, summiert sich das auf unter hundert Euro pro Monat. Das reicht kaum für ein Paar Kinderstiefel.

Erbe ohne Testament

Bleibt das Thema Erbe. Es hilft nach dem schweren Schicksalsschlag, wenn wenigstens etwas Vermögen die soziale Härte dämpft. Möglicher Haken: Ist kein Testament vorhanden, werden Kinder automatisch zu Miterben. Zwar verwaltet das überlebende Elternteil das Vermögen treuhänderisch, aber auch das Familiengericht hat dabei ein Wörtchen mitzureden.

Das kann zu kafkaesken Situationen führen. Etwa bei den Schoppmanns: Weil das eigene Haus plötzlich zu 50 Prozent ihrer damals neunjährigen Tochter gehörte, konnte Mutter Anja es nicht ohne gerichtliche Zustimmung verkaufen. Obwohl sie zu zweit den Platz lange nicht so dringend brauchten wie das Geld für den Lebensunterhalt. Noch zwei Dinge kamen erschwerend hinzu: Schulden, von denen sie nichts gewusst hatte, und ein Lebensversicherer, der sich um die Auszahlung der Prämie drückte.

"Ich war ohnehin in Schockstarre", erinnert sie sich, "und fiel zusätzlich aus allen Wolken, weil meine Tochter und ich nicht so versorgt waren, wie ich dachte. Für Trauer war keine Zeit, ich musste mich um unser wirtschaftliches Überleben kümmern." Und das ihr – einer Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand, als selbstständige Innenarchitektin. Eine Geschichte, so traurig wie typisch.

"Auch moderne Doppelverdiener-Paare leben häufig privat die klassische Aufgabenteilung: Er kümmert sich um die Familienfinanzen, sie um Haushalt und Alltagsmanagement", sagt Erika Biehn, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). "Stirbt plötzlich einer der Partner, ist der andere mit den zusätzlichen Aufgaben erst einmal überfordert."

Mehr Unterstützung vom Staat

Dass der Staat junge Trauernde in dieser existenziellen Notlage entschiedener unterstützt, wünscht sich Stiftungs-Gründerin Martina Münch-Nicolaidis: mehr unbürokratische, rasche Hilfe beim Bewältigen von Anträgen und gerichtlichen Auseinandersetzungen, eine Besserstellung bei der gesetzlichen Rente. Und die Garantie auf einen kostenfreien Kitaplatz.

Zu Anke Quast kam einige Jahre lang eine ehrenamtliche Helferin, brachte ihre Tochter zur Schule oder holte sie vom Hort ab, wenn die Schließzeit nicht zur Arbeitszeit passte. Aber das Projekt "Kinderfeen", das dies bis zum 13. Lebensjahr ermöglicht, initiiert vom VAMV, gibt es leider nicht bundesweit.

Mehr wahrgenommen und respektiert zu werden, auch dieser Wunsch eint Frauen, die ihren Partner verloren haben. Im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit. So wie die dreifache Mutter Antje Schlüter, die schon mal an einer Museumskasse oder im Zoo nachfragt, warum Familienrabatte nur bei zwei erwachsenen Vollzahlern vergeben werden. Die Reaktionen sind vielfältig: mal Betroffenheit, mal Ignoranz. Alles Alltagserfahrungen, die auch andere Alleinerziehende kennen.

Aber – das muss am Schluss noch erwähnt werden – gefühlsmäßig liegen Welten zwischen beiden Gruppen. "Ich beneide keine geschiedene Frau", sagt zum Beispiel Anke Quast. "Die endlosen Auseinandersetzungen, das Gezerre – so schlimm der Verlust meines Mannes war, ich konnte ihn zumindest für mich abschließen und mein Schicksal akzeptieren." Und Julia Stoverock, die ihren Mann verloren hat, als sie schwanger war, ergänzt: "Er war meine große Liebe – und ich bin heute auch dankbar dafür, dass die mir geblieben ist."

Hier finden Betroffene Unterstützung

Nicolaidis-Youngwings-Stiftung
Trauerbegleitung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene: nicolaidis-youngwings.de

Web und Social Media
Zwei Schicksalsgenossinnen, mehrere Hilfsangebote: Julia Stoverock unterstützt nach dem Tod ihres Mannes als Coach Betroffene unter trauerwerkstatt.com und in der Facebook-Gruppe "Zurück zum Gück".

Inga Krauss hat mehrere Petitionen für Gerechtigkeit bei der Hinterbliebenenrente gestartet und betreibt gemeinsam mit einer Kollegin die Facebook-Gruppe "Gerechte Hinterbliebenen-Rente"

Buchtipp
"Nie wieder wir"
von Stephanie Witt-Loers richtet sich insbesondere an jüngere Frauen, die ihren Partner verloren haben (18 Euro, Vandenhoeck & Ruprecht).

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