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Besucherkinder - eine Typologie

Besucherkinder - eine Typologie
© Fosten/Corbis
Spätestens im Kindergarten geht es los: Besucherkinder fallen bei uns ein. Eigentlich eine schöne Sache, aber jedes Besucherkind bringt seine eigenen Macken mit.

Der Terminator (m/w)

Man lebt seit fünf, sechs oder acht Jahren mit dem eigenen Kind unter einem Dach; manches mag in dieser Zeit kaputtgegangen sein, aber vieles ist immer noch heil. Bis der Terminator kommt. An einem einzigen Nachmittag fällt erst ein Glas in der Küche und dann der schwere Wandspiegel im Flur runter. Spielzeug splittert. Wenn sich das Zuhause-Kind gegen Abend panisch im Kinderzimmer einschließt, wirft sich der Terminator mit so viel Wucht gegen die furnierte Tür, dass sie bricht. Der Terminator aufgeräumt: "Heute geht aber auch alles kaputt!"

Der Verräter (m/w)

Warum liegt da Bettzeug auf der Wohnzimmercouch? Der Zuhause-Papa schläft zurzeit auf dem Sofa, weil Mama und Papa so viel streiten, wispert das Zuhause-Kind. Und was ist das für ein komisches Heft auf dem Küchentisch mit den bunten Punkten drin? Das ist eine Tabelle von Weight Watchers, und die bunten Punkte zeigen Mama, was sie essen darf, wenn sie irgendwann nicht mehr so dick sein will wie jetzt. Macht sie aber schon lange, bringt irgendwie nichts. Bis zum nächsten Elternabend sind Ihre intimsten Geheimnisse in der Klasse rum, ausposaunt vom Besuchskind. Einziger Pluspunkt: Der Verräter ist nicht unbedingt laut, während er bei Ihnen zu Besuch ist.

Der Vertilger (m/w)

Schon auf dem gemeinsamen Heimweg vom Kindergarten oder der Grundschule regt der Vertilger den Besuch einer Bäckerei/ Eisdiele/ Imbissbude an: "Ich hab so Huuunger." Zu Hause müssen Kekse, Chips, Cornflakes oder auch gern eine erste warme Zwischenmahlzeit her. "Und wann gibt's Abendessen? Waaaas? Nur Brote? Kochst du abends nicht?" Größere Kinder kommen praktischerweise schon an den Kühlschrank und bedienen sich wortlos selbst.

Der Staubmelder (m/w)

"Iiiih, was liegt denn bei euch im Auto für Müll rum? Also bei uns ist das viel sauberer." Der Grundmodus des Staubmelders ist Fassungslosigkeit, manchmal im Grenzbereich zum Mitleid: Kann es wirklich sein, dass Menschen SO leben müssen wie das Zuhause-Kind? In der Küche steht noch ungespültes Frühstücksgeschirr? "Räumt das bei euch nie jemand weg?" Die Tür zur Wäschekammer steht einen Spalt offen, dahinter Wäscheberge? "Eure Waschmaschine ist kaputt, oder?" Und das Klo? "Ich halt lieber an und geh nachher bei mir zu Hause." Und Sie? Werden rot und stammeln Erklärungen vor einem fremden Fünfjährigen. Wetten?

Das Party-Animal (m/w)

Bei Ihnen zu Hause wohnt nur ein Kind oder zwei oder drei? Lächerlich für das Party-Animal! Kaum eingetroffen, marschiert es souverän ins Treppenhaus, klingelt oben und unten bei den Nachbarn, drängt sich in Wohnungen, macht sich mit allen bekannt. Im Haus wohnen noch andere Kinder? Klasse, die können gern zum Zuhause-Kind zum Spielen kommen! Am liebsten was schön Wildes - Fangen oder Schwertkampf. Wenn's ans Aufräumen geht, muss das Party-Animal nach Hause. Die eingeladenen Nachbarskinder bleiben aber gern noch zum Abendessen.

Der Jammerlappen (m/w)

Kaum ist der zuständige Erziehungsberechtigte aus der Tür, schmerzen längst verschorfte Schrammen plötzlich höllisch. Beim Schließen der Kinderzimmertür quetscht das Zuhause-Kind dem Besuchskind ganz fies den Finger: "Mir doch egal, dass man nichts sieht, das tut so weeeehhh!!!" Der Rest des Nachmittags wird in stabiler Seitenlage auf dem Sofa verbracht, wenn besorgte Nachfragen nach dem Befinden ausbleiben, informiert das Besuchsopfer gern, dass es "immer noch nicht besser" sei. Wenn der Abholdienst in der Wohnung steht, brechen noch mal alle Schleusen: "Mir geht's gar nicht gu-hu-hu-hut, ich will nach Hauauau-se!!!" Sie schämen sich. Haben Sie am Ende gar keine Heulsuse vor sich, sondern Ihre Aufsichtspflicht verletzt?

Der Elektriker (m/w)

Zum Spielen hat der Elektriker keine Zeit. Er muss die Geräte des Haushalts sichten. Batteriebetriebenes Spielzeug ist nicht schlecht, aber nur was zum Warmwerden. Sein eigentliches Interesse gilt Fön, Pürierstab und Radiowecker. Ein- und ausstöpseln, an- und ausschalten, laufen lassen auf verschiedenen Stufen - immerhin beschäftigt sich der Elektriker ruhig (wenn einen das Geräusch des Staubsaugers nicht stört). Bis die Frage kommt: "Wie funktioniert das?" Dann hilft nur noch, ihn an den Computer zu lassen.

Die leise Fee (m/w)

Die leise Fee hat magische Kräfte. Sie saugt negative Energie auf und kann das Zuhause-Kind unsichtbar machen mit ihrem Talent zum ruhigen Rollenspiel (Schule, Krankenhaus, Schlafsaal). Man hört und sieht nichts, bis die Fee abgeholt wird. Man ist versucht, die fremden Eltern zu fragen, ob man ihr Kind mit in den nächsten Urlaub nehmen darf. Die leise Fee hat nur einen Nachteil: Sie existiert nicht.

Der Karrierist (m/w)

The only way is up: Der Karrierist hat sich nur verabredet, um sich an die Erwachsenen ranzuwanzen. Dinosaurier, Frisuren, Krankheiten, der letzte Urlaub - kein Thema ist zu unergiebig, um es nicht mit dem anwesenden Gastgeber-Elternteil durchzusprechen. Das Zuhause-Kind sitzt derweil beleidigt in der Ecke und kommt nicht zum Zug. Denn zum PlaymoSpielen ist dieses Besuchskind nicht gekommen.

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Besucherkinder - eine Typologie
Text: Stefanie Hentschel, Antje Heidböhmer

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