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"Die Trauer um ein verlorenes Kind kann Jahre dauern"

"Die Trauer um ein verlorenes Kind kann Jahre dauern"
© prokop / photocase.de
Nichts schmerzt mehr, als ein Baby zu verlieren, auch wenn es noch nicht geboren wurde. Psychologin Bettina Strehlau erklärt, was Frauen nach einer Fehlgeburt helfen kann und wie ihr Umfeld reagieren sollte.

BRIGITTE MOM: Was ist das größte Problem für Frauen, die eine Fehl- oder Totgeburt erlitten haben?

Bettina Strehlau: Das Schlimmste ist, dass sich die Frauen von einem wichtigen Lebenswunsch verabschieden müssen. Weil die Schwangerschaftstests heute so exakt sind und die Frauen bereits in der 5. Woche wissen, dass sie schwanger sind und kurz danach die ersten Ultraschallbilder in der Hand halten, wird schon ganz früh eine Beziehung zum Kind aufgebaut. Ab diesem Zeitpunkt entsteht schon Liebe und bestimmte Vorstellungen: Wie wird mein Kind sein, welche Eigenschaften wird es haben, wird es wie sein Vater aussehen, wie werde ich als Mutter sein, wie wird unser Leben als Familie? Wenn es dann stirbt, muss die Frau sich schon von einem geliebten Menschen verabschieden. Und: Trauer um ein Baby ist die schwierigste Trauer überhaupt, weil dieses Leben, das man sich für dieses Kind gewünscht hat, nicht gelebt werden konnte.

Man weiß aber auch: Bis zur 12. Woche kann noch alles passieren.

Es wird uns aber medizinische Sicherheit verkauft. Dann heißt es: "Machen Sie mal das und das, und dann sehen wir weiter." Und die Medizin wird ja tatsächlich immer besser und kann immer mehr. Aber mein Eindruck ist, dass man gerade in den Bereichen Schwangerschaft und Geburtshilfe nicht mehr die Eigendynamik des Lebens sieht.

Wie können Verwandte und Freunde reagieren, wenn eine Schwangere ein Kind verliert?

Erst einmal - und das kann man gar nicht oft genug sagen - sollte man die Eltern in den Arm nehmen. Dann sollte man versuchen herauszufinden, was die Frau jetzt braucht. Das ist bei jeder unterschiedlich. Es gibt Frauen, die sich zurückziehen, andere gehen mit ihrem Schmerz nach außen. Wieder andere tun so, als ob nichts geschehen wäre, aber in ihrem Inneren kocht es. Das herauszufinden ist wichtig, um dann fragen zu können: "Was kann ich für dich tun?“

Was hilft trauernden Eltern?

Jede Frau sollte etwas für sich finden, wo sie ihrem Kind begegnen kann. Das kann ein kleiner Altar sein, ein Strampler, der draußen liegt und zeigt: Dieses Kind ist Teil unserer Familie. Auch ein Grab hilft. Damit haben Eltern einen Ort, an dem sie trauern können und an dem Trauer gestattet ist. Unsere Gesellschaft ist heute so funktionstüchtig, da trifft Trauer eher auf Unverständnis. Aber für Trauer und Trauerprozesse gibt es kein Zeitlimit. Die Trauer um ein verlorenes Kind kann Jahre dauern, und dieses Kind wird immer bei einem sein. Eltern brauchen deshalb auch einen inneren Ort für ihre Trauer, für ein inneres Gespräch mit dem Kind. Hier können auch Trauergruppen helfen. Wann dafür der richtige Zeitpunkt ist, ist unterschiedlich. Und Gruppen sind nicht für alle das Richtige.

Was erschwert die Situation für Betroffene?

Es wird alles schlimmer für die Mutter, wenn sie in einer Umgebung lebt, die ihre Trauer schwer nachvollziehen kann. Dann geht die Frau zusätzlich in den inneren Kampf und denkt: "Keiner versteht mich.“ Dann kämpfen die Betroffenen an zwei Fronten, sie trauern um ihr Kind und um die Anerkennung dieser Trauer durch die Außenwelt.

Für Außenstehende ist es aber auch schwierig, wenn sie merken: Die Trauer will einfach nicht vergehen.

Ja, für Begleitpersonen ist das Annehmen dieser Traurigkeit mitunter eine große Herausforderung, weil sie oft das Gefühl haben, es verändert sich nichts. Auch nicht nach Monaten. Deshalb braucht man Geduld. Und man sollte immer wieder die Einladung aussprechen: "Ich höre dir zu, und wenn du weinst, ist das in Ordnung.“ Das ist schwierig, weil man irgendwann an seine eigene Belastbarkeitsgrenze kommt. Dann ist es besser mal zu sagen: "Sei mir nicht böse, aber heute fällt es mir schwer dir zuzuhören, weil...“ Man hat ja noch sein eigenes Leben und seine Probleme. Auch das muss offen gesagt werden - mit dem Versprechen, dass man signalisiert, wenn man wieder bereit ist, der Trauernden zuzuhören. Sonst entstehen ganz schnell schlimme Missverständnisse.

Interview: Merle Wuttke

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