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Feiern mit Kindern: "Elterliches Recht auf Elektrobeats"

Gute Mütter liegen nachts im Bett. Diese macht Party, bis der Kinderwagen wankt. Was denken Sie - muss man mit Kindern auch mal feste feiern können? Oder passen diese Welten nicht mehr zueinander?
Auf der Couch sitzen und Erziehungsratgeber sitzen? Unsere Autorin wehrt sich dagegen, ihr früheres Leben zu begraben.
Auf der Couch sitzen und Erziehungsratgeber lesen? Nein, danke. Unsere Autorin Nava wehrt sich dagegen, ihr früheres Leben zu begraben.
© Katrin Ohlendorf

Als ich unseren Kleinen im Dunkeln durch den Park rolle, die Partynacht ist noch jung, das Partyvolk, das überall in Grüppchen zusammensteht und mit Plastikbechern anstößt, noch frisch und erwartungsfroh, denke ich: Wäre das jetzt ein Such-den-Fehler-Bild, dann wäre der Fehler unser Kinderwagen. Aber was kann ich dafür, wenn andere Mütter und Väter nach der Geburt nur noch Rolf-Zuckowski-Eiapopeia-CDs hören und in Cafés hocken, die "Eichhörnchen" oder "Kalimero" heißen? Ich glaube: Es gibt ein elterliches Recht auf Elektrobeats. Ein Festival für elektronische Musik in einer städtischen Grünanlage ist die ideale Einstiegsveranstaltung für junge Eltern. Wir rollen also weiter, immer dem Beat nach. Draußen vor der Bar, in dem ein Bekannter von uns auflegt, haben Freunde einen Tisch besetzt. Sie sind bereits zu Cocktails übergegangen und wippen hin und her. Ich hole Gin Tonic und alkoholfreies Bier. Einer soll nüchtern bleiben, das war ausgemacht. Diesmal mein Freund. Die Leute am Nachbartisch rechts wirken, als hätten sie mit dem Feiern früh begonnen. Ein Blick in den Kinderwagen: Unser Sohn, acht Monate alt, schläft ruhig und gleichmäßig. Die Boxen stehen weit weg.

Unsere Freunde finden, dass wir coole Eltern sind, und, ja, das schmeichelt mir.

Der DJ legt gut auf in dieser lauen Sommernacht, wir reden über die sechste Staffel von "Mad Men", Pegah fährt nächste Woche das erste Mal nach Venedig. Soll Jonas einen Job in Texas annehmen? Vor mir steht der dritte Drink, ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Zwischendurch stecke ich den Kopf in den Kinderwagen und bin glücklich über unser prima Partybaby; der Kleine nuckelt am Schnuller, die Augen zu. Unsere Freunde finden, dass wir coole Eltern sind, und, ja, das schmeichelt mir. Nur am Rande nehme ich wahr, dass am Nachbartisch eine Frau mit hochtoupierten blond gefärbten Haaren, die eben noch auf dem Schoß irgendeines Mannes saß, Rotz und Wasser heult. Als ich das nächste Mal hinsehe, steht sie auf der Bierbank und schreit hysterisch in ihr Telefon. Dann geht alles sehr schnell. Mit einem großen Satz springt sie von der Bank – und rumpelt mit voller Wucht auf unseren Kinderwagen. Ich schreie; der Kinderwagen wankt. Hält sich nur noch auf zwei Rädern. Mein Freund hechtet und erwischt die Lenkstange. Mit einem Mal bin ich stocknüchtern, die Beats hämmern auf mich ein. Die Frau rappelt sich auf und verschwindet im Dunkeln. Wie aus einer anderen Welt dringt die Stimme meines Freundes zu mir: "Ich glaube, das war das Zeichen, dass wir nach Hause gehen sollten." Weil wir den letzten Bus verpasst haben, müssen wir laufen. Schweigend gehen wir nebeneinander her. Ich betrachte meinen Sohn, der von alldem nichts mitbekommen hat. Können wir vergnügungssüchtige Eltern nicht einfach mit unserem Hintern auf der Couch sitzen bleiben und Erziehungsratgeber lesen? So wie früher, so wie unsere Eltern?

Mir fallen Szenen aus meiner Kindheit ein; unser Wohnzimmer voller Gäste, der Tisch voller Gläser, eine leere Jack-Daniels-Flasche und überquellende Aschenbecher. Ich schlafe irgendwann gegen Mitternacht unterm Tisch ein, das Lachen meiner Mutter im Ohr. Meine Mutter war Anfang 20, als sie schwanger wurde, und ja, ich habe mich gut zehn Jahre länger austoben können. Trotzdem wehre ich mich dagegen, mein voriges Leben zu begraben. Ich will auch mein Leben weiterleben. Ein gewisses Risiko gehört da einfach dazu. Und überhaupt: Ein Betrunkener kann auch über uns drüberfallen, wenn wir im Supermarkt an der Kasse stehen.

Schließlich gäbe es unseren Sohn ohne elektronische Musik gar nicht. Ich habe meinen Freund auf einem Festival kennen gelernt. Während wir zu Henrik Schwarz tanzten, verliebten wir uns ineinander. Und seit unser Sohn auf der Welt ist, ist er mit dabei. Kürzlich haben wir einen Baby-Gehörschutz gekauft. Für das nächste Festival – in Kroatien.

Partys feiern mit Kindern - was halten Sie davon?

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Teaserbild: Fotolia Ein Artikel aus BRIGITTE MOM, Heft 1/2013

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