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KOLUMNE "KOPFKARUSSELL" Wer bin ich eigentlich? Zwischen Mama sein und sich wie Mitte 20 fühlen

Mutter spielt auf Staubsauger Gitarre
© Getty Images
Unsere Autorin fühlt sich, als würde sie zwei Leben führen: Das eine zwischen Spielplatz, Dreckwäsche, Brotdosen und anderen Müttern, das andere on the road mit Freund:innen, auf Konzerten und vor allem weit weg vom Basteltisch. Aber welches Ich gibt die Richtung an?

Ich bin exakt Mitte Dreißig. Im Sommer wird es eher Ende Dreißig sein. Sofern man mit 36 schon von Ende Dreißig sprechen mag. Aber die 40 kommt näher, und näher, und näher. Die, die über 40 sind, sagen: Alles halb so wild. Ich hingegen finde das sehr wild. Denn gefühlt bin ich 27. Doch 27 war ich, als ich das erste Mal Mutter wurde.

Ein geplantes Leben

Mann, Job, Kinder, Haus, Hochzeit – Das hatte ich mir für mein Leben mit 27 so überlegt, weil man es eben so macht. Im Grunde das, was sich sehr viele Menschen vorstellen. Nur wuchs mit der Größe meiner Kinder auch mein Wunsch nach einem anderen Leben, weit weg von Windeln, Geschrei, Spielplatz und Gesprächen über Kinder, Kochen und Co.

Ich wollte unabhängig sein, Neues entdecken, wieder leicht sein und nicht tagein tagaus das immer gleiche Leben leben. Einige mögen jetzt denken: "Ja, das ist nun mal so, wenn man Kinder hat – nennt man Alltag" oder "Man kann sich das Leben auch selbst schwer machen". Trotzdem sehnte ich mich nach einem anderen Teilzeitleben. Nach dem Leben, das ich vielleicht mit Anfang 20 hätte leben sollen, als ich mich nach dem einer 35-Jährigen sehnte. Viele meiner Freund:innen gehen in der Elternrolle auf. Oder sie richten sich gut mit ihr ein. Ich ging in meiner Rolle unter. 

Mit mir stimmt was nicht

Als die Babyzeit rum war und die Kids selbstständiger wurden, fing es an. Ich wollte mehr, als nur Mutter sein und nahm mir meine Freiheiten. Ich war eine zeitlang aus einer merkwürdigen Perspektive heraus erst ein bisschen stolz darauf, die etwas andere Mama zu sein und dann irgendwie neidisch, dass ich nicht mehr wie andere bin. Abends unterwegs, mit Freund:innen am Zocken, am Wochenende öfter im Club und unter der Woche auf Konzerten, am Tag Haushalt und Job, Spielplätze und eben das, womit man als Mutter so im Alltag zu tun hat. In beidem fühle ich mich wohl, doch in beiden Welten gleichzeitig sonderbar unangepasst. Irgendwie dachte ich immer, als Mutter würde man sich anders fühlen, weiser irgendwie. Als Mutter weiß man, wie der Hase läuft und das Leben tickt. Nope, von weise bin ich ganz weit entfernt. Aber wie fängt man an, sich selbst zu suchen, wenn man gar nicht weiß, was man finden will?

Ausbrechen

Mit Mitte 30 zwischen meinen kinderlosen Freund:innen nachts lange auszugehen hat einen komischen Beigeschmack, von dem ich mich nicht ganz frei machen kann – vielleicht, weil meine Mutter darüber regelmäßig den Kopf schüttelt; Ich auch manchmal denke, ich wäre ein wenig hängen geblieben und mich andere Eltern fragen, wie ich das physisch durchhalte, die Nächte durchzutanzen. Im gleichen Atemzug wird mir dann erklärt, sie könnten und bräuchten das ja nicht mehr. 

Ich hingegen brauche insgesamt wenig Schlaf, dafür aber viel Musik und Menschen um mich herum. "Ich brauche das nicht mehr" klingt in meinen Ohren als wäre ich in irgendeiner Form bedürftig und müsse etwas kompensieren, wenn ich tanzen gehe und gleichzeitig ist sie die Begründung dafür, dass man selbst so langweilig und furchtbar erwachsen geworden ist, seit Kinder da sind. Vielleicht auch einfach zu erschöpft vom Alltag. Tatsächlich kenne ich nur sehr sehr wenige Mamas, die noch Lust haben, ab und an auszugehen, geschweige denn tanzen, ohne sich um kurz nach 12 auf den Heimweg zu machen.

Und ich frage mich, warum das so ist. Es ist nicht so, als ob ich mehr Zeit hätte als andere, aber offenbar die Bedürfnisse einer 25-Jährigen. Natürlich kann ich auch ohne Clubs, Bars, Kino und Konzerte leben, ich möchte das aber nicht – ein großer Unterschied zu brauchen. Ich bin gerne einfach mal nicht Mama, sondern nur Julia – ohne Verantwortung für andere Menschen, ohne To-Do-Listen und außerhalb der Reihenhaus-Idylle. Hier fühle ich mich lebendig, jung und voller Energie.

Etwas zu wissen und es dann zu tun, sind zwei paar Schuhe

Als ich feststellte, dass ich die Dinge, von denen ich dachte, ich will sie unbedingt im Leben erreichen, gar nicht wirklich möchte, hat mich das ganz schön aus der Fassung gebracht. Was will ich denn dann für ein Leben? In meiner Familie gibt es bis zu meiner Generation nur lineare Lebenswege, die exakt dem oben genannten Bild entsprechen. Meine Großeltern haben dieses Jahr Diamantene Hochzeit gefeiert, das sind unglaubliche 60 Jahre. Meine Eltern feiern bald ihren 38 Hochzeitstag, ähnlich bei Tanten und Onkeln. Alle arbeiten seit Jahren im gleichen Job oder sind mittlerweile Rentner. Es gibt keine Abzweigungen, Scheidungen auch nicht. Gute und schlechte Zeiten natürlich trotzdem. Und in mir schlägt ein Herz für genau solch ein Leben, dass sich sehr sicher anfühlt und eines, das Dinge anders leben möchte, nicht im ewig gleichen Rhythmus, sondern mitten im Leben. 

"Dann mach doch einfach wie du denkst", sagen meine Freunde. Und natürlich haben sie recht. Es ist nur so erstaunlich, wie gelernte Mechanismen wirken, wie Prägungen unsere Gefühlswelt beeinflusst, zwischen dem, was wir glauben, wie wir sein sollten, welche Ansprüche wir erfüllen sollen und wollen und dem Herausfinden, wer wir eigentlich sind.

"Es sollte dir egal sein, was andere denken"

Dieser Spruch ist so lustig. Vielleicht gibt es sie, die Menschen, denen das, was andere sagen oder denken, wirklich egal ist. Ich kenne niemanden, aber einige, die so tun als sei es das. Natürlich vergleichen wir uns, mal mehr, mal weniger, wollen gemocht werden, Zugang zu anderen Menschen haben und suchen Bindungen. Die Kunst ist es, unterscheiden zu lernen, wer oder was gut tut, was zu mir passt und wann ich es nur anderen recht machen möchte. Das sind zumindest immer die Tipps, die man liest. Die Umsetzung ist allerdings ein steiniger Weg. Schließlich sind wir so, wie wir jetzt sind auch nicht über Nacht geworden.

Und wenn man als Mutter bewertet wird, was noch immer und überall passiert, ist das etwas sehr Intimes, das ist Kritik an meinem Innersten. Ich weiß, dass ich die beste Mama bin, die ich für meine Kinder sein kann, aber dennoch (ver-)zweifele ich oft, weil mich das Fremdbestimmtsein nervt. Weil ich mich eingeengt fühle und mich durch die beiden so verletzbar gemacht habe – nicht nur als Angriffsfläche als Mutter, sondern vielmehr, weil der Gedanke, dass ihnen etwas passieren könnte, so unerträglich ist.

Alles ist im Flow

Sich aus Bewertungssystemen zu befreien, den Fokus nur auf sich selbst zu legen, das ist etwas, das unsere Generation erstmalig lernt und wofür wir oft als Egoist:innen bezeichnet werden; die Beziehungen zu schnell wegwerfen, diesem Selbstliebe-Ding zu großen Wert beimessen, die immer mehr wollen, als einfach mal zu akzeptieren, dass das Leben so ist, wie es ist. Vielleicht ist es so, vielleicht auch nicht. Wenn ich eines gelernt habe: Das Leben ist immer im Wandel, Nichts ist für immer.

Bewährtes ändert sich, Neues kommt hinzu. Das Problem ist nur hier genauso wie bei der Kindererziehung: Wenn man es dann plötzlich anders macht, stellt es das natürlich in Frage, wie es die Menschen vor uns gemacht haben. Und die wiederum fühlen sich angegriffen, weil es impliziert, dass sie die Dinge vielleicht nicht so gut gemacht zu haben, wie sie dachten. Veränderung kommt oft mit Angst und man braucht den Mut und die Kraft, sich für das stark zu machen, woran man glaubt und worin man sich fernab von Idealvorstellungen und Bewertungen wohl fühlt.

Zu wenig Zeit für zwei Leben

Wie ich es auch drehe und wende, am Ende läuft es auf zwei Dinge hinaus. Erstens, ich habe ein Thema mit dem Älter werden. Ich mag mein 25-jähriges Ich. Und zweitens haben wir zu wenig Zeit. Zack, schon wieder ein Tag rum, zack schon wieder zu wenig Zeit mit den Kindern verbracht, zack schon wieder den:die Freund:in ewig nicht gesehen. Vielleicht muss man sich wirklich irgendwann entscheiden, wo die Reise hingehen soll oder vielleicht nimmt man einfach den Roadtrip und guckt, was hinter der nächsten Kurve wartet.

Bloß weil sie sagten, dass man ein Leben nun mal so und so lebt, heißt das noch lange nicht, dass man das so und so machen muss. Und am Ende gibt es eigentlich nur drei Menschen vor denen ich Rechenschaft ablegen möchte: Vor mir und vor meinen zwei Kindern. Und vielleicht muss man sich auch einfach für gar nichts entscheiden, sondern nur so leben, wie es jetzt gerade gut tut.

Barbara

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