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Brief an meine Tochter, deren Herz für eine Stunde stillstand

Jessika Roses Tochter kam mit einem Herzfehler zur Welt. Lange war nicht klar, ob sie das überleben würde. Ein Jahr nach der großen OP schreibt die Mutter einen berührenden Brief an ihr tapferes Kind.
Bloggerin Jessika Rose mit ihren Töchtern Emma und Hannah.
Bloggerin Jessika Rose mit ihren Töchtern Emma und Hannah.
© Jessika Rose

Jessika Rose war mit ihrem zweiten Kind schwanger, als das Undenkbare passierte: Die Ärzte stellten fest, dass ihr Kind einen Herzfehler hat. Hannah würde mindestens zweimal am offenen Herzen operiert werden müssen, bevor der Herzfehler zumindest funktionell behoben sein würde. So die Diagnose. Von da an erlebte Jessika den Alltag oft wie in Trance. Selbst in guten Momenten macht sie die Angst vor Zukunft fast wahnsinnig.

Um ihre Geschichte zu teilen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten, startete Jessika ihr Blog "Herz und Liebe". Ein Jahr nach der großen Herz-OP, während der Hannahs Herz für eine Stunde angehalten wurde, hat sie ihr diesen Brief geschrieben.

Liebste Hannah,

Du tapferes, begnadetes Mädchen! Unser Sonnenschein, Wildfang, furchtloses Kind. Wie schnell die Zeit doch vergangen ist. Heute ist der Tag, an dem unsere Welt vor einem Jahr stillstand. Der Tag, an dem wir vor Angst und Sorge um dich und dein Leben, nicht zu atmen wagten. Achteinhalb nicht enden wollende Stunden mussten vergehen, bevor wir an deinem Bett stehen und dich endlich wieder zaghaft streicheln durften.

Dein Herz stand für eine Stunde still. Es ist unmöglich in Worte zu fassen, wie sich all das für uns anfühlte. Aber der Sturm, der damals in uns tobte, ist vorbei.

Du hast uns allen vom ersten Moment an gezeigt, welch ungebrochener Wille in dir steckt. Den Beatmungsschlauch hast du dir noch am gleichen Abend selbst gezogen. Am nächsten Morgen folgte deine Magensonde. Selbst trinken fandest du nach dieser für dich im Spazierengehen erledigten schweren Herz-OP einfach besser.

Du wusstest schon immer, was du willst. Nach diesem Tag vor einem Jahr umso mehr. Nach fünf Tagen wolltest du damals nach Hause. Nach einer weiteren Woche drehtest du dich wieder allein auf den Bauch. Gegen deinen nächtlichen Überwachungsmonitor kämpftest du so lange zappelnd an, bis ich aufgab und dich ohne schlafen ließ. Du fingst an zu krabbeln, kamst einen Tag nach deinem 1. Geburtstag in den Kindergarten und lerntest von dort an in Lichtgeschwindigkeit.

Als ich kurze Zeit später abends nach Hause kam, bist du mir mit stolzem Blick entgegengelaufen. Direkt in meine Arme.

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"Du bist unbelehrbar, stur wie ich"

Ich weiß nicht, ob du jemals wieder in so kurzer Zeit so unsagbar viel lernen wirst, wie in den vergangenen 12 Monaten! Du saugst deine Umwelt förmlich aus, um alles zu lernen, du redest ohne Punkt und Komma, was du nicht sagen kannst, teilst du uns unmissverständlich durch deine unverwechselbare Mimik und Gestik mit.

In allem, was du tust, schwingt dein starker Wille mit und manchmal, mein Engel, ist es wirklich schwer dich davon zu überzeugen, dass wir dir bei einigen Dingen noch helfen müssen.

Aber du bist unbelehrbar, stur wie ich. Wenn du vor dem Schlafen nicht auf Toilette möchtest, dann muss ich das wohl einsehen. Wenn du stattdessen mitten in der Nacht wach wirst und erst Ruhe gibst, wenn ich dich auf den Topf setze, dann muss ich da wohl auch durch. Als du dich heute Morgen allein angezogen hast, habe ich dir fasziniert zugesehen und mich daran erinnert, wie unsere Welt vor einem Jahr noch aussah.

Wo sind die Grenzen?

Dich kann man keine Sekunde aus den Augen lassen, denn wenn du unbeobachtet bist, bist du wild, neugierig und so furchtlos, dass mir schon so manches Mal das Blut in den Adern gefror. Ein zu langer Moment der Stille ist mein Kommando, dich vom Hochbett deiner Schwester zu fischen, auf das du offenbar mit links heraufkletterst.

Du liebst das Risiko. Je gefährlicher die Situation, desto lauter und juchzender ist dein Lachen. Rutschen werden von dir entgegen der Herstellerangaben in entgegengesetzter Richtung benutzt. Wenn du es geschafft hast, von unten nach oben zu klettern, lässt du dich auf dem Bauch, mit dem Kopf voran, wieder nach unten gleiten. Himmel! Wer hat dir das gezeigt?

Ich erinnere mich, dass ich deinen Kardiologen einmal fragte, wieviel man dir körperlich zumuten darf. Und er antwortete mit einem Lächeln, dass die Herz-Kinder selbst am besten wissen, wo ihre Grenzen sind. Wenn das wirklich so ist, dann hast du deine Grenzen noch lange nicht erreicht! Eine weitere Lektion für deine ungeduldige, besorgte Mutter.

Liebste Hannah, du bist Engel und Teufel in einem. Sensibel und wild, furchtlos und doch verkuschelt, ausdauernd und gleichzeitig kann dir nichts schnell genug gehen. Du hast einen ungebrochenen Willen und bist trotzdem so verständnisvoll mit uns, deiner Familie!

Brief an meine Tochter, deren Herz für eine Stunde stillstand
© Jessika Rose

Du bist ein Sonnenschein, hörst auf’s Wort (das ist mir immer noch mehr als suspekt!), lässt dich abends ins Bett legen und schläfst einfach ein. Du bist so herrlich unkompliziert. Aber du bist auch stur, hast deinen starken Willen, im Guten wie im Schlechten. Bevor du aufgibst, wird alles erdenklich Mögliche probiert. Erst wenn dein Essen rings um deinen Hochstuhl auf dem Boden verteilt liegt, bittest du uns um Hilfe.

Du hast schon heute Talente, die mich staunen lassen. Du malst und singst mit einer Ausdauer und Leidenschaft, die mich beeindrucken. Aber du bist eben auch dieses Kind, das voller Neugierde und Temperament testet, ob die Stifte auch auf den Bodenfliesen oder der weißen Küchenfront malen.

Weinen vor Glück und Dankbarkeit

Deine Schwester, die du anhimmelst und die dich abgöttisch liebt, ist schon heute dein Vorbild. Dein Papa ist dein bester Freund. Ihr zwei seid Verbündete und macht Dinge, von denen ich manchmal besser nichts wissen möchte.

Und ich? Ich bin die, die abends oder nachts in deinem Zimmer auf der Couch sitzt und mit dir kuschelt. Deinen Kopf streichelt und dabei weint. Vor Glück und Dankbarkeit, überwältigt von unserer Vergangenheit und deiner Stärke. Wir hatten so viel Glück bisher!

Happy Birthday, Hannah! Wir lieben dich unendlich doll!

Text von Jessika Rose, ursprünglich erschienen auf http://www.herz-und-liebe.com. Dort erfahrt ihr auch mehr über Hannahs und Jessikas Geschichte. Sehr lesenswert!

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