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Alleinerziehend in Deutschland: Wo bleibt der Respekt?!

alleinerziehende benachteiligt
© Shutterstock/VGstockstudio
Alleinerziehend zu sein, ist eine der größten Herausforderungen. Und gleichzeitig ein Lebensmodell, das manche Frauen durchaus bejahen. Was sie alle aber immer wieder erleben, ist mangelnder Respekt und Benachteiligung. Schluss damit!

Es ist absurd. Da gibt es in Deutschland eine Familienform, die seit Jahren wächst und inzwischen schon 20 Prozent aller Familien ausmacht. Gleichzeitig wird der Alltag für viele dieser rund 1,6 Millionen Eltern und 2,3 Millionen Kinder immer prekärer - doch nirgends ist ein echter politischer Wille erkennbar, daran etwas zu ändern.

Paar-Familien geht es immer besser - Alleinerziehenden schlechter

2005 lebte eine von drei Alleinerziehenden von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. 2014 taten das schon 42 Prozent. Die Situation von Paar-Familien dagegen wird immer besser: Ihr Risiko zu verarmen, sank im selben Zeitraum um zwölf Prozent.

Sicher, es gab Reformen. Doch die haben die Situation eher verschärft. Das 2008 geänderte Unterhaltsrecht etwa zwingt Alleinerziehende quasi, ab dem dritten Geburtstag des Kindes einen Ganztagsjob anzunehmen, selbst wenn sie mehrere Kinder großziehen. Der Alltag wird so zum erschöpfenden Hamsterrad.

Das geteilte Sorgerecht und die Stärkung des Wechselmodells sorgen zwar dafür, dass die Verantwortung zwischen den Eltern gerechter verteilt wird. In der Praxis führt das aber auch zu mehr Konflikten. 

Nur jeder zweite Ex zahlt Unterhalt

Dazu kommt: Noch immer zahlt nur jeder zweite Ex-Partner Unterhalt für die Kinder, nur jeder vierte den Betrag, der gesetzlich vorgeschrieben ist.

Statt Alleinerziehende für ihren überdurchschnittlichen Einsatz zu belohnen, besteuert der Staat sie fast so hoch wie Singles. Und das Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit, das Alleinerziehenden sehr geholfen hätte, scheiterte erst kürzlich am Widerstand der Wirtschaft.

Protest? Dafür sind Alleinerziehende zu fertig

Wer sich jetzt wundert, dass nicht längst Zehntausende aufgebrachter Single-Eltern durch die Straßen ziehen, der stelle sich bitte kurz vor, wie man sich fühlt, wenn man Tag für Tag die Verantwortung für seine Kinder mit keinem anderen teilen kann. Wenn man sich allein durch Antragsformulare für diverse Sozialleistungen, und womöglich ein Gerichtsverfahren gegen den unterhaltsflüchtigen Ex-Partner kämpfen muss. Und zwischendrin von Vorgesetzten und Paar-Eltern schräg angeschaut wird, weil man, je nach Blickwinkel, zu viel oder zu wenig Zeit mit den Kindern verbringt. Man fühlt sich dann, genau: fertig. Und nicht mehr in der Lage, Protestkampagnen zu starten.

Zumal es selbst für professionelle Campaigner eine Herausforderung wäre, die Massen für sperrige, aber notwendige Anliegen, wie die "Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Beitragserhebung zur Sozialversicherung" zu mobilisieren.

Mehr Verständnis statt Revolution

Solo-Eltern brauchen keine Revolution. Aber eine Gesellschaft, die ihnen den Respekt entgegenbringt, den sie verdienen. Kommunen müssten mehr Kitas und Horte mit längeren Öffnungszeiten anbieten. Arbeitgeber mehr Verständnis zeigen. Behörden konsequenter agieren, wenn sich Ex-Partner vorm Unterhalt drücken. Nachbarn und Freunde öfter fragen, ob sie helfen können.

Und die Politik? Die muss sich trauen, die längst bekannten Mängel im System zu beseitigen. Die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, die am 1. Juli in Kraft trat, war so ein Schritt in die richtige Richtung. Zwar ist der Vorschuss, den jetzt auch Kinder im Teenageralter bekommen, noch immer zu niedrig. Und Kinder, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, haben fast nichts davon.

Doch die Reform macht Hoffnung, dass das Interesse an Alleinerziehenden doch langsam wächst. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Info: Das bedeutet die neue Unterhaltsvorschussregelung:

Alleinerziehende erhalten vom Jugendamt Unterhaltsvorschuss, wenn der andere Elternteil nicht für die Kinder zahlt - oder nicht zahlen kann. Seit 1. Juli wird dieser Vorschuss, der je nach Kindesalter zwischen 150 und 268 Euro beträgt, auch für Kinder über 12 gezahlt, die Begrenzung auf einen Zeitraum von sechs Jahren fällt weg. Sind die Kinder zwischen 12 und 18 Jahre alt und auf Hartz IV angewiesen, wird der Vorschuss nur gezahlt, wenn ihr alleinerziehender Elternteil neben dem Hartz-IV-Bezug monatlich mindestens 600 Euro brutto verdient.

Ein Artikel aus BRIGITTE 20/2017

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