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Alleinerziehende Mutter gesteht: "So oft denke ich, ich kann nicht mehr!"

Alleinerziehende Mutter gesteht: "So oft denke ich, ich kann nicht mehr!"
© altanaka / Shutterstock
Christine Finke hat ein Buch über ihr Leben als Alleinerziehende geschrieben. Es ist ein Aufschrei aus dem gesellschaftlichen Abseits. Ein Auszug.

Wie oft ich gedacht habe: "Ich kann nicht mehr, ich falle gleich um, ich wünschte, jemand würde die Kinder abholen, ins Bett bringen, mich einfach mal entlasten!", das weiß ich nicht - es muss Hunderte Male gewesen sein. Und damit meine ich nicht die normale Erschöpfung von Eltern, sondern das deutliche Gefühl, am Abgrund zu stehen.

Am schlimmsten war es direkt nach einer Mutter-Kind-Kur, die ich zwei Jahre nach der Trennung machte. Was hatte ich mir nicht alles davon erhofft: eine Auszeit, Kraft schöpfen, mich mal verwöhnen lassen und auftanken, das war der Plan.

Zurück kam ich völlig ausgelaugt, weil meine Kinder in der Kur noch mehr an mir klammerten als zu Hause, weil es kein geeignetes Programm für mich gab und ich mich dort sehr, sehr alleine fühlte. Eigentlich hatte ich die Kur schon am dritten Tag abbrechen wollen, als ich merkte, dass sie mich stresste, anstatt mir gutzutun.

Wer kümmert sich um die Kinder, wenn ich ausfalle?

Christine Finke schreibt seit 2011 das Blog "Mama arbeitet" über ihr Leben als Alleinerziehende mit drei Kindern. Die freie Journalistin und Kinderbuchtexterin lebt in Konstanz, wo sie sich im Stadtrat für Familien einsetzt. Sie ist auch einer unserer Blog-Lieblinge.
Christine Finke schreibt seit 2011 das Blog "Mama arbeitet" über ihr Leben als Alleinerziehende mit drei Kindern. Die freie Journalistin und Kinderbuchtexterin lebt in Konstanz, wo sie sich im Stadtrat für Familien einsetzt. Sie ist auch einer unserer Blog-Lieblinge.
© Patrick Pfeiffer Photodesign

Aber den Kindern zuliebe reiste ich nicht ab, denn sie wollten unbedingt bleiben. Dumm nur, dass ich eigentlich die zu kurende Person gewesen wäre und die Kinder nur als Begleitpersonen mitreisten - wieder einmal, wie so oft, dachte ich mehr an das Wohlergehen der Kinder als an mein eigenes.

Fast wäre mir das zum Verhängnis geworden, denn am Tag nach der Rückkehr von der Kur war ich nahe am Burn-out. Mir war speiübel, es fühlte sich an, als würde gleich mein Kreislauf kollabieren, und sämtliche Kraft war von mir gewichen.

Ich bekam es mit der Angst zu tun. Wenn ich wirklich zusammenbrechen würde, wer sollte sich dann um die Kinder kümmern? Der Vater würde es nicht freiwillig tun, und selbst wenn er dazu übers Jugendamt genötigt würde, hätte ich sie nicht gerne bei ihm gesehen, insbesondere die gerade drei Jahre alte Jüngste, auf die man höllisch aufpassen musste, weil sie ständig irgendwohin witschte, Dinge anstellte und sich in für Dreijährige ganz normale Gefahrensituationen begab.

Die Verantwortung zwang mich fast in die Knie. Ich legte mich hin. Einen ganzen Tag lang schlief ich, solange die Kinder in der Krippe, der Kita und der Schule waren. Danach funktionierte ich wieder. Geschlaucht war ich aber über sicher noch zwei, drei Wochen lang. Es fühlte sich an wie das Gesundwerden nach einer schweren Grippe.

Viele Alleinerziehende stehen ständig vor dem Kollaps

Die Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Alexandra Widmer, selbst alleinerziehend mit zwei Kindern und mit dem Blog starkundalleinerziehend.de Expertin für Burn-out-Prävention und Überlebensstrategien für Alleinerziehende, sagt, ich hätte tatsächlich gerade noch die Notbremse gezogen. Viele Alleinerziehende sind dermaßen ausgelastet mit ihrem Alltag, dass es einem ewigen Balanceakt gleicht, nicht zusammenzubrechen.

Woran liegt das? An der emotionalen Erschöpfung, dem Gefühl, sich nicht mehr zu spüren, und dem Eindruck von Misserfolg (ich schaffe das alles nicht), so die Fachfrau.

Konkret äußert sich der drohende Kollaps in dem Eindruck, machtlos zu sein, ständig unter Zeitdruck zu stehen, zu wenig Zuwendung zu erhalten, nie zufrieden sein zu können, stets gestresst zu sein, kein Ziel mehr im Leben zu haben, mit der eigenen Rolle zu hadern, Zweifeln am Sinn des Lebens und dem Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben, schreibt die Ärztin in ihrem Buch "Stark und alleinerziehend".

Prävention - eine Aufgabe des Staates?

Körperlich können die Symptome unterschiedlich sein, so die Expertin - das seelische Erleben ist jedoch bei allen Betroffenen sehr ähnlich. Am besten, so ihre Schlussfolgerung, helfe Prävention.

Womit sich die Katze ein bisschen in den Schwanz beißt, denn gerade unter Stress und bei Überforderung ist es eine Herausforderung, auch noch an Prävention zu denken. Führende Alleinerziehenden-Aktivistinnen sehen hier die Gesellschaft, also den Staat, in der Pflicht. Denn eine Mutter, die wegen eines Zusammenbruchs total ausfällt, ist eine Katastrophe für ihre Kinder. Und es entstehen Folgekosten in Form von teurer Unterbringung (Pflegeeltern, Kinderdörfer etc.), Familienhilfe und Psychotherapiekosten für die Kinder. Prävention ist immer günstiger, als erst zu reagieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Vielleicht, denke ich oft, sind die Alleinerziehenden einfach immer noch zu stark. Die Liebe zu den Kindern treibt sie zu Höchstleistungen an. Aber es sind Höchstleistungen auf Kosten der Mutter, deren psychische und körperliche Gesundheit leidet.

Wie soll ich mir ohne Zeit und Geld Gutes tun?

Bei mir war es öfter als ein Mal so, dass ich befürchtete, umzukippen - aber dieser Blick in den Abgrund nach der Kur war ein Schlüsselmoment, weil ich in jenem Augenblick verstand, dass ich mir keinen Burn-out erlauben kann. Dass ich besser für mich sorgen musste und dass mein Wohlergehen der Schlüssel zum Wohlergehen der Kinder ist.

Bloß: Durch die Erkenntnis alleine war mir noch nicht sehr geholfen. Wie, zum Teufel, soll eine Alleinerziehende, die ganz ohne Unterstützung klarkommen muss, für ihr Wohlergehen sorgen?

Ich war ratlos. Außer mir therapeutische Hilfe zu holen, möglichst viel zu schlafen und auf gute Ernährung zu achten, fiel mir nichts ein. Sport machen, mal ins Kino, eine Wellnessmassage oder mit Freundinnen in Ruhe plauschen, für all diese Dinge hatte ich nie Zeit. Und Geld auch nicht, das es mir hätte ermöglichen können, mir Zeit zu kaufen.

Die kostbaren Stunden, in denen die Kinder in Krippe, Kita und Schule waren, nutzte ich, um zu arbeiten: Weil mich leider keiner mehr einstellen wollte als Alleinerziehende mit drei Kindern, machte ich mich selbstständig. Kein Spaziergang, wenn frau fünfundvierzig Jahre alt ist und ohne Auftragskontakte in die Selbstständigkeit startet. Da zählte jede Chance, einen Auftrag zu ergattern und ihn so herausragend gut und rasch zu erledigen, dass ich in positiver Erinnerung bleiben würde.

Und auch während die Kinder tagsüber jeweils gut untergebracht waren, war und bin ja ich diejenige, die angerufen wird, wenn spontan Magen-Darm-Grippe ausbricht, ein Kind Fieber oder Ohrenschmerzen bekommt, das Knie ärger aufgeschlagen ist, als es sich mit einem Pflaster richten lässt, was auch immer.

Das Telefon als Damoklesschwert

Jedes Telefonklingeln kann bedeuten, dass ich ein krankes Kind irgendwo abholen muss. Das geht anderen Eltern genauso, aber alleine die Tatsache, dass es für Alleinerziehende keine zweite Telefonnummer gibt, die die Kita anrufen kann, keinen weiteren Erwachsenen, der einspringen kann, hängt unterschwellig immer wie ein Damoklesschwert über der Alleinerziehenden.

Mal drei Stunden nicht erreichbar sein und das Telefon ausschalten? Geht nicht. Es kann durchaus passieren, dass das Kind in der Kita vom Klettergerüst auf den Kopf stürzt (ein realistisches Szenario, das haben alle meine drei Kinder mehr als ein Mal geschafft). Die Kita ruft an, weil Verdacht auf Gehirnerschütterung besteht, und die Erziehungsberechtigte ist nicht erreichbar.

Das macht nicht nur einen schlechten Eindruck und ist auch schwierig für die Erzieher vor Ort, sondern ist richtig blöd für das betroffene Kind. Da ist ein Notfall, vielleicht muss es sogar zum Arzt oder ins Krankenhaus, und scheinbar niemand kümmert sich liebevoll. Das geht nicht.

Die ständige Rufbereitschaft kann krank machen

Maximal eine Stunde, in der ich im Schwimmbad nicht erreichbar bin, weil ich Bahnen ziehe, oder weil ich im Supermarkt ohne Handyempfang einkaufe. Mehr ist eigentlich nicht drin.

Bei Ärzten zählt die Rufbereitschaft zur Arbeitszeit, wenn auch schlecht bezahlt. Alleinerziehende, die keinen Kindsvater und keine Familie zur Seite haben, sind in ständiger Rufbereitschaft. Und zwar über Wochen, Monate, Jahre. Das macht einige krank, andere stresst es, kalt lässt es niemanden, der betroffen ist. Sie haben keine Pause. Nie.

Selbst wenn es aussieht, als könnten sie sich endlich mal entspannen, macht der innere Beeper es fast unmöglich, überhaupt vollends loszulassen und sich mal nicht zuständig zu fühlen. Nicht, weil Alleinerziehende so schlecht loslassen können. Sondern, weil sie immer, immer zuständig sind. Elterngespräche in der Kita, Elternabende, Kindergeburtstagseinladungen annehmen, absagen, Geschenke besorgen, die Kinder von A nach B fahren, Stifte für die Schule besorgen, Arzttermine ausmachen für Vorsorge und im Krankheitsfall, zum Fußballverein oder zum Musikunterricht bringen, Schulfeste zumindest gelegentlich besuchen, Schuhe kaufen, Essen besorgen, mit dem Kind zum Frisör gehen: Die Liste ist lang und fast endlos.

Wer macht das? In den meisten Familien die Mutter. Wer macht das immer? Die Alleinerziehende, wenn der Kindsvater entweder abwesend oder ein Wochenendpapa ist. Das ist der Normalfall.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Allein, alleiner, alleinerziehend" von Christine Finke (Bastei Lübbe, 239 Seiten, 14,99 Euro.) Darin zeigt die Autorin Schwachstellen und Ungerechtigkeiten auf und sagt, was sich dringend ändern muss, damit ein Teil unserer Gesellschaft nicht länger alleine dasteht. Ein gutes, wichtiges Buch. Denn viel zu selten bekommen Alleinerziehende eine Stimme. 

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