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Bullshit-Sätze über Gleichberechtigung "Frauen sollten einfach verhandeln wie Männer"

Alexandra Zykunov: eine Frau im weißen Blazer sitzt in einem Bewerbungsgespräch
© ESB Basic / Shutterstock
Frauen wollen eh nur Mütter werden, können nicht gut verhandeln und sind selbst schuld, wenn sie später kaum Rente bekommen. So was sagt doch heute niemand mehr? Leider schon. BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov hat Floskeln gesammelt, die sich Frauen immer noch anhören müssen – und zerlegt sie ein für alle Mal. Hier erzählt sie, warum Frauen als schlecht im Verhandeln gelten.

Ja, genau! Mal so richtig auf den Tisch hauen und nicht immer dieses Klein-Klein. Wenn es doch nur so einfach wäre. Denn was Frauen heute bei Jobverhandlungen tatsächlich das Genick bricht, ist nicht etwa der fehlende Mut, nach mehr Geld zu fragen, oder dass sie weniger aggressiv verhandeln, sondern etwas, das sie nicht selbst beeinflussen können: Das Übel nennt sich Unconscious Gender Bias und ist eine unterbewusste Voreingenommenheit Frauen gegenüber, einfach nur weil sie Frauen sind.

Alles Klischees und Relikte längst vergangener Tage? Leider nein. In einer britischen Studie wurden vor ein paar Jahren mehr als 4600 Angestellte in rund 840 Unternehmen befragt, und man stellte fest, dass Frauen ihre Gehälter sehr wohl genauso oft verhandelten wie Männer – nur viel öfter abgeblitzt sind: Während 20 Prozent der Kollegen mit mehr Geld aus den Gesprächen spazierten, waren es bei den Kolleginnen nur 13 Prozent.

Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung zeigte 2019, dass bei mehr als 100 fiktiven Bewerbungen von Gleichqualifizierten auf Ausbildungsplätze die Frauen im Schnitt von den Personaler:innen um eine ganze Schulnote schlechter bewertet wurden. Eine! Ganze! Schulnote! Wie soll da das Gehalt der Frau nicht naturgemäß auch niedriger ausfallen?

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Die Role Congruity Theory

Ich habe noch etwas sehr Schönes: Schon mal etwas von der Role Congruity Theory gehört? Die Theorie zeigt auf, dass Menschen abgestraft werden, wenn sie sich nicht "geschlechtertypisch" verhalten. Für Verhandlungsgespräche heißt das ganz konkret: Befolgen Frauen den gut gemeinten Tipp, "mehr wie Männer zu verhandeln" und hauen mal so richtig auf den Tisch – erreichen sie leider genau das Gegenteil. Sie werden erst recht unterbewusst abgestraft, weil sie sich nicht verhalten "wie eine Frau". Unfassbar? Ja. Trotzdem wahr? Leider auch.

Und während das alles schon ziemlich unerträglich ist, sind die hier genannten Frauen eigentlich noch die "privilegierten" unter den diskriminierten. Mütter beispielsweise kommen selten so weit, irgendwelche Gehälter "wie Männer" zu verhandeln, weil sie im Zweifelsfall gar nicht erst zum Gespräch eingeladen werden: In einer weiteren Studie des Wissenschaftszentrums Berlin wurde 2019 untersucht, wie oft Frauen ohne Kinder im Vergleich zu Frauen mit Kindern eigentlich zu Vorstellungsinterviews eingeladen werden. 800 identische Bewerbungen wurden dafür quer durchs Land verschickt. Man kann sich das Ergebnis fast schon denken: Frauen mit Kindern mussten etwa ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben als Frauen ohne Kinder.

"Ja gut", könnte man jetzt meinen, "Bewerber mit Baby sind auf dem Arbeitsmarkt eben nicht so beliebt." Darauf antworte ich: Erstens muss unser chronisch vergreistes Land mal an seiner Familienfreundlichkeit arbeiten, weil sonst bald niemand mehr zukünftige Rentenzahler in eben dieses chronisch vergreiste Land setzen will. Und zweitens scheint das "Kinderproblem" auf dem Lebenslauf, das übrigens sogar ganz offiziell Child Penalty (also Bestrafung durch Kinder) genannt wird, wieder mal nur Frauen zu treffen:

Väter bekommen schneller eine Gehaltserhöhung

Männliche Bewerber wurden in der Studie nämlich genauso häufig eingeladen – und zwar völlig egal, ob sie Kinder hatten oder nicht. Und: Väter bekamen sogar überdurchschnittlich schnell eine Gehaltserhöhung! Kennt jemand von euch eine Mutter, die kurz nach ihrer Einstellung eine Gehaltserhöhung angeboten bekam? Nein? Ist ja komisch ...

Und während ich mich langsam frage, wo hier eigentlich die versteckte Kamera ist, lernen wir daraus offenbar Folgendes: Was das Verhandeln angeht, werden also Frauen im Vergleich zu Männern ganz offiziell diskriminiert. Mütter werden im Vergleich zu kinderlosen Frauen ganz offiziell diskriminiert. Weiter unten auf dieser Beliebtheitsskala aus der Hölle kommen irgendwann die Alleinerziehenden. Wahrscheinlich noch weiter unten befinden sich Frauen mit ausländischem Namen, dunkler Haut oder Kopftuch auf dem Bewerbungsfoto. Die Hälfte von ihnen macht bei ihren Bewerbungen Studien zufolge sowieso schon diskriminierende Erfahrungen. Haben sie dann auch noch Kinder oder sind alleinerziehend, brauchen sie sich wahrscheinlich gar nicht erst zu bewerben. So viel also zu: "Frauen müssen einfach verhandeln wie Männer."

Wie kommen wir raus aus der Misere?

Versteht mich nicht falsch, natürlich sollte frau versuchen, bessere Bezahlung einzufordern. Aber wir müssen aufhören, die Schuld für ihr Versagen am Verhandlungstisch bei eben dieser Frau zu suchen. Und uns stattdessen klar darüber werden, dass ihr Scheitern auch ganz einfach damit zu tun hat – dass sie eben eine Frau ist.

Und: Das Wissen über den Unconscious Gender Bias oder die Role Congruity Theory ist etwas, das insbesondere (männlichen) Personalern immer präsent sein sollte. Denn sie sind hier ein gigantischer Hebel. Heißt: Lieber männlicher Entscheider, der das hier liest (oder vielleicht eher vorgelesen bekommt), wenn du merkst, die Frau stapelt tief, nutze es nicht aus. Bitte bedenke immer: Sie wurde zum Tiefstapeln erzogen. Also bitte, sei kein Ar***, biete ihr so viel Geld an, wie du auch einem Mann anbieten würdest. Danke!

Alexandra Zykunov: orangenes Buchcover mit heller Aufschrift
© PR

Lust auf mehr aus der Möchtegern-Gleichberechtigungshölle? Mit viel Wut und Präzision zerlegt Alexandra Zykunov noch 20 weiterer solcher "Bullshit"--Sätze in ihrem neuen Buch "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt". (288 S., 11 Euro, Ullstein)

Brigitte

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