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Bullshit-Sätze über Gleichberechtigung "Vermisst du dein Kind nicht, wenn du das Wochenende wegfährst?"

Alexandra Zykunov: eine blonde Frau schwingt auf einer Schaukel
© Viktor Gladkov / Shutterstock
Frauen wollen eh nur Mütter werden, können nicht gut verhandeln und sind selbst schuld, wenn sie später kaum Rente bekommen. So was sagt doch heute niemand mehr? Leider schon. BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov hat Floskeln gesammelt, die sich Frauen immer noch anhören müssen – und zerlegt sie ein für alle Mal. Hier erzählt sie, warum Mütter immer noch als Hauptverantwortliche für die Kinder gesehen werden.

Beginnen wir mit einem absoluten Klassiker. Zur Ruhe kommen, auf die Zeichen des Körpers achten – all diesen Dingen kann ich an einem freien Wochenende sehr bedacht nachgehen. Jeder Achtsamkeitsguru würde mich dafür feiern. Nicht aber, wenn ich Mutter bin. Denn seien wir mal ehrlich – als Mutter hast du dein Recht auf Auszeiten verwirkt. Warum? Weil unsere Glaubenssätze zwar denken, im Jahr 2022 zu sein, sie aber eigentlich in den 60ern sitzen geblieben sind.

"Urlaub ohne Familie? Vermisst du dein Kind nicht, wenn du allein wegfährst?" Jede Mutter, die ich kenne, hat diese Frage schon mal gehört. Jede! Dicht gefolgt von "Wo ist dein Kind heute Abend?", wenn sie es gewagt hat, abends allein wegzugehen. Ich kenne keinen Vater, der diese Fragen beantworten muss. Der Mann ist unterwegs, die Frau bei den Kindern – logisch, kennen wir. Aber die Frau ist unterwegs und der Mann bei den Kindern? Oder noch schlimmer: Die Frau hat eine Urlaubsreise nur für sich gebucht? Oder am allerschlimmsten: Sie hat den Mann verlassen, ist ausgezogen und sieht die Kinder nur jedes zweite Wochenende?! Herrschaftszeiten, wie kann sie nur?!

Machen wir uns also an die Analyse: Woher kommt diese Doppelmoral? Die Antwort ist: Weil auch im Jahr 2022 hierzulande immer noch das Narrativ gilt "Ein Kind gehört zur Mutter" und auch heute noch Mädchen, und zwar quasi nur Mädchen, schon sehr früh dazu ermuntert werden, aufzuräumen, ihre Puppen durch die Gegend zu tragen und sich für die Belange einer Familie verantwortlich zu fühlen.

Puppe und Puppen – das ist ein Unterschied

"Nein", wollen jetzt viele protestieren, "mein Sohn hat aber auch eine Puppe!" Okay, vielleicht hat er eine, vielleicht zwei. Mädchen aber haben Puppen (deutliche Mehrzahl), Puppenhäuser, Puppenbesteck, Puppenwindeln, Puppenbürsten, Puppentragen, Puppenbuggys, Puppenbettchen, Puppenflaschen, Puppenschnuller, Puppenkissen, Puppendecken, Puppenpflaster, Puppenthermometer, Puppenwadenwickel, Puppenbadewannen und, und, und.

Mit den Kinderbüchern geht es munter weiter: Die beliebte Kinderfigur "Conni" kommt mit drei Jahren in die Kita, und wer ist vorher mit ihr zu Hause? Richtig: Mama. Der kleine "Leo Lausemaus" kriegt gleich einen ganzen Anfall, als seine Mutter eine Halbtags(!)stelle antritt, weil er denkt, Mama habe ihn nicht mehr lieb – allein diese Kausalität! Und wenn "Bobos" Papa zur Arbeit geht, geht Mama mit Bobo einkaufen und auf den Spielplatz. Ich übertreibe? Leider nein – alles Geschichten auf dem aktuellen Kinderbuchmarkt.

Und ich bin noch nicht mal bei den Stickerbüchern (Mädchen: Prinzessinnen, Mamas, Anziehpuppen; Jungs: Roboter, Dinosaurier und Entdecker) oder Disneyfilmen (Arielle gibt ihre Stimme ab, um bei einem Typen zu sein, den sie kaum kennt; wildfremde Prinzen, die bewusstlose Frauen wachküssen) angekommen. Das ist die Sozialisation, mit der unsere Kinder auch im Jahr 2022 immer noch aufwachsen. Oder wie es die Journalistin und Feministin Teresa Bücker mal so treffend formulierte: "Es ist Mädchen nicht angeboren, sich für kleine Küchen und Puppen zu interessieren, sie lernen lediglich von klein auf, dass dieses Verhalten sie zu einer Frau macht." 

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Können Eltern neue Vorbilder sein?

"Aber was ist mit uns Eltern?", könnten jetzt viele meinen, "könnten wir nicht andere Vorbilder sein?" Könnten wir, ja, sind wir aber leider immer noch nicht: Nur vier von zehn Vätern hierzulande gehen heute überhaupt in Elternzeit, sechs von zehn machen es immer noch gar nicht. Und von denen, die in Elternzeit gehen, nehmen drei Viertel nur die obligatorischen zwei Monate.

77 Prozent aller Menschen in Deutschland finden, dass eine Mutter nachmittags Zeit für ihr Kind haben sollte. Es gibt das Wort "bemuttern", aber nicht "bevatern". Eine 34-jährige Mutter erledigt heute im Schnitt täglich 5 Stunden 18 Minuten der sogenannten Care-Arbeit, der 34-jährige Vater kommt nur auf 2 Stunden 31 Minuten. Für Jungs bedeuten diese Zahlen im Umkehrschluss, dass sie heute immer noch nicht dahingehend erzogen werden, sich zu kümmern. Es fehlt ihnen an Vorbildern in der breiten Masse, die sich durch alle Gesellschaftsschichten hinweg ganz selbstverständlich drei Tage die Woche nachmittags auf Spielplätzen oder in Krabbelgruppen treffen. Und so wachsen unsere Kinder heute meist immer noch in Haushalten auf, in denen sich Mütter emotional und körperlich kümmern – und Väter monetär.

Wenn also unsere Kinder das von uns so vorgelebt bekommen; wenn die Märchen, Kinderbücher, -filme und -serien uns die gleiche Geschichte erzählen; wenn in der Werbung Mütter wickeln, Sonnencreme auftragen und das Pflaster auf die Wunde kleben; wenn Drogerien auf Babyprodukte "Mamas Liebling"-Sticker bappen – wie soll man diesem Rollenbild dann entrinnen? Wie soll man sich da als Frau nicht 24/7 zuständig fühlen und folglich schräge Blicke ernten, wenn man sich ein Wochenende lang mal eben nicht verantwortlich fühlen will?

Wie kommen wir raus aus der Misere?

Was zur Hölle antworte ich denn jetzt einer anderen Mutter, wenn sie mir den "Vermisst du dein Kind nicht, wenn du das Wochenende allein bist?"-Satz an den Kopf knallt? Erstens sollten wir verstehen, dass es die Frau uns gegenüber nicht böse meint. Sie hat im Grunde gar keine andere Wahl, sie MUSS uns diese Frage stellen, weil es auch ihre natürliche Reaktion auf ihre Sozialisation ist – und diese aufzubrechen ist eine Mammutaufgabe, der wir uns aber unbedingt stellen müssen.

Zweitens sollten wir ihr freundlich die Gegenfrage stellen: "Würdest du meinen Mann das auch fragen?" Und drittens ergänzen: "Wenn ich diese Frage bejahe, tradiere ich ein Bild, das jahrhundertealt ist und durch mein 'Ja' weitere Hunderte von Jahren überleben wird. Also nein, ich vermisse mein Kind nicht, wenn ich ein einziges verdammtes Wochenende mal allein wegfahre!"

Alexandra Zykunov: orangenes Buchcover
© PR

Lust auf mehr aus der Möchtegern-Gleichberechtigungshölle? Mit viel Wut und Präzision zerlegt Alexandra Zykunov noch 20 weiterer solcher "Bullshit"--Sätze in ihrem neuen Buch "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt". (288 S., 11 Euro, Ullstein)
 

Brigitte

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