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Mama in der Adventskalender-Falle: "So viel Geld für so viel Mist!"

Wer einmal angefangen hat, den Adventskalender selbst zu füllen, muss es auch die nächsten 15 Jahre tun. Und tut sich immer schwerer, passende Kleinigkeiten zu finden, weiß BRIGITTE-Autorin Julia Karnick.

Durchschnittlich drei Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes tappen Eltern in die Adventskalender-Falle: "Jetzt ist unser Kind schon so groß, wäre es nicht reizend, ihm einen Adventskalender zu schenken?"

Dieser Gedanke beruht nicht etwa auf der Annahme, dem Kind würde ohne Adventskalender etwas fehlen. Er entspringt dem Bedürfnis, den anstrengenden Kleinkindalltag durch Ereignisse aufzupeppen, die das Etikett "Neu!" verdienen: Die Eltern stellen sich vor, wie das schon große Kind Morgen für Morgen mit glänzenden Augen aus dem Bett springen und zum Adventskalender laufen wird. Drei Minuten, nachdem es dann den ersten Adventskalender überreicht bekommen hat, wälzt sich das doch noch kleine Kind wild kreischend auf dem Boden, weil es nicht alle 24 Überraschungen sofort auspacken darf. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Statt Naschkram gibt's Flummis, Murmeln, Tattoos ...

Meist sind es die Mütter, die den Adventskalender einführen. Und weil im Reich der guten Mütter "selbst gemacht" als Synonym für "vorbildlich" gilt, basteln viele Mütter den Adventskalender selbst.

Selbst gebastelte Adventskalender müssen selbst gefüllt werden. Weil Eltern erstgeborener Dreijähriger noch voller guter Vorsätze stecken, zum Beispiel "Das Kind soll nicht so viel naschen!", füllen sie den ersten Adventskalender natürlich niemals ausschließlich mit Süßigkeiten. Stattdessen streifen sie durch Innenstädte auf der Suche nach zuckerfreiem Kleinstspielzeug: Flummis, Murmeln, Pfeifen, Kreisel, Tattoos, Badewasserfärbetabletten.

Zwei Jahre später ist das Kleinstspielzeug langweilig

Das Kind ist entzückt, der Maßstab gesetzt, das Unheil nimmt seinen Lauf: Zwei Adventskalender später ist das Kind nicht mehr ganz so entzückt. Aufgeregt packt es das Kleinstspielzeug aus und wirft es gelangweilt in die Ecke. Drei Adventskalender später schließlich denkt die Mutter: Vielleicht doch mal Süßigkeiten, die verschwinden wenigstens im Mund, statt das Kinderzimmer zu verstopfen.
Ungefähr im vierten Jahr nach Einführung des Adventskalenders spricht die Mutter: "Kind, dieses Jahr gibt's nur Süßes!" Das Kind, inzwischen in der Schule, schreit: "Nein, nicht nur Süßes, nur Süßes ist langweilig!"

Die Mutter, milde gestimmt durch das Wissen, die Erwartungshaltung des Kindes selbst genährt zu haben, denkt: Na, dann wenigstens etwas Nützliches. Die Mutter zieht durch Innenstädte auf der Suche nach nützlichen Kleinigkeiten: Anspitzer, Radiergummi, Glitzerstifte.

Die Geschenke werden immer teurer

Im sechsten Jahr - das Kind besitzt drei Anspitzer, vier Radiergummis, zehn Glitzerstifte - kauft die Mutter Süßigkeiten, eine Minitaschenlampe, einen Magneten, ein Kaleidoskop, sie rechnet aus, was sie für das Befüllen des Adventskalenders ausgegeben hat, und wird blass: So viel Geld für so viel Mist!

Dann lieber doch etwas Richtiges zum Spielen. Im Jahr sieben kauft sie ein Playmobil-Paket und verteilt den Inhalt auf 24 Päckchen. Im Jahr acht berät sich die Mutter mit einer Freundin, die Freundin sagt: "Luis erzählt gerade so wahnsinnig gern Witze, ich habe ein Kinderwitzbuch gekauft, er kriegt jeden Tag einen Zettel mit einem neuen Witz!" Die Mutter ist beeindruckt, kann sich aber unmöglich vorstellen, wie man die Adventszeit überlebt als Mutter eines zehnjährigen Kindes, das jeden Tag einen neuen Witz lernt. Kinder, die einen neuen Witz gelernt haben, wollen ihn auch erzählen, und zwar so oft nacheinander, dass man irgendwann weinen möchte.

Die Mutter kauft wieder ein Playmobil-Paket. Und dann, irgendwann, an einem grauen Novembermorgen, wacht sie auf und denkt: Vielleicht sollte ich jeden Tag einen Euro reintun. Wieso habe ich damals nicht einfach einen Schokoladenkalender gekauft?

Text: Julia Karnick, ein Artikel aus BRIGITTE 24/2009

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