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Equal Care Day "Care-Arbeit ist für uns der anstrengendere Job"

Sebastian Tigges und Marie Nasemann 
Sebastian Tigges und Marie Nasemann
© nikkmartin
Marie Nasemann und Sebastian Tigges sind Vollzeit selbstständig und ziehen zwei Kinder groß. Im Interview sprechen sie über Rollenbilder, Care-Arbeit und die Höhen und Tiefen von Elternschaft – und dabei sind sie erfrischend ehrlich.

Marie Nasemann, 33, und Sebastian Tigges sind Eltern und selbstständig berufstätig. In ihrem Podcast "Family Feelings" (abrufbar auf RTL+ Musik) besprechen sie Themen, die sie bewegen – rund um Elternschaft, Ehe, Beziehungskrisen und den Familienalltag. Der kann mit zwei Kids, Care-Arbeit und Lohnarbeit manchmal ein ganz schöner Balance-Act sein und bringt die beiden regelmäßig an ihre Grenzen. Das hat leider auch damit zu tun, dass Care-Arbeit von der Gesellschaft noch immer nicht als vollwertige Tätigkeit anerkannt wird und wenig Wertschätzung erfährt. Anlässlich des Equal Care Days am 1. März teilen Marie Nasemann und Sebastian Tigges ihre Erfahrungswerte diesbezüglich mit uns und gewähren private Einblicke in ihren Alltag als Familie. 

Marie Nasemann und Sebastian Tigges im Brigitte-Interview

BRIGITTE: Marie, Sie sind seit 14 Jahren selbstständig, Sebastian seit zwei Jahren. Zusammen haben Sie zwei kleine Kids. Wie machen Sie das? Was ist Ihr Geheimnis?
Marie und Sebastian: Ein Geheimnis haben wir nicht, im Gegenteil, wir sind immer wieder auf der Suche nach neuen Konzepten und Ideen. Wir versuchen – mit so wenig Einfluss von außen wie möglich – unseren eigenen Weg zu gehen. Vieles klappt super, aber es gibt auch ungemein viele Baustellen.

Es ist nicht immer leicht, einen ganz eigenen Weg zu finden, für den es wenig Vorbilder gibt.

Der Begriff "Equal Care" bezeichnet die faire Verteilung von Lohnarbeit und Care-Arbeit und die entsprechende Wertschätzung für BEIDE Tätigkeiten. Inwiefern spielt dieses Konzept in Ihrem Leben eine Rolle?
Eine faire Verteilung ist uns enorm wichtig. Wir wollen beide ausreichend Zeit mit den Kids haben, uns aber trotzdem beruflich weiterentwickeln. Dadurch, dass wir beide so viel Care-Arbeit in der Vergangenheit geleistet haben, wissen wir, dass das – zumindest für uns – der anstrengendere Job ist. Insofern ist bei uns die Wertschätzung sehr groß für die Person, die zeitweise vielleicht mal mehr Care-Arbeit übernehmen muss.

Hatten Sie mal das Gefühl, aufgrund Ihrer Elternrolle im Job benachteiligt zu werden?
Da wir beide selbstständig sind, können wir das nicht wirklich beantworten. Sebastian ist sich aber der Tatsache bewusst, dass er seinen ehemaligen Beruf als angestellter Rechtsanwalt nicht ohne Einschränkungen hätte ausführen können und gleichzeitig so viel Zeit mit den Kindern hätte verbringen können wie im Moment.

Sie haben beide Elternzeit genommen. Wie war Ihre Erfahrung diesbezüglich? Wie die Reaktionen aus dem Umfeld?
Bei unserem Sohn hat Sebastian zwölf Monate und Marie zwei Monate Elternzeit genommen. Die klassische Verteilung haben wir damit umgedreht. Die Care-Arbeit wollten wir trotzdem 50:50 aufteilen. Sebastian war zusätzlich alleine für den Haushalt zuständig. Dabei sind wir an unsere Grenzen gestoßen. Schnell haben wir gemerkt, dass Marie zu viel Druck verspürte mit der Alleinverdienerinnenrolle. Sebastian fehlte die berufliche Verwirklichung und Anerkennung. Beim zweiten Kind haben wir es anderes geregelt und alles von Anfang an gleich aufgeteilt.

Sebastian: Ich hatte keine konkrete Vorstellung von Care-Arbeit und was alles damit einhergeht.

Sebastian, haben Sie sich zu Beginn der Elternschaft noch ein traditionelles Rollenbild vorgestellt? Oder war für Sie sofort klar, dass Sie einen gleichwertigen Anteil der Care-Arbeit übernehmen werden?
Mir war noch bevor wir konkret in die Kinderplanung gegangen sind klar, dass ich ein sehr präsenter Vater sein will. Das bedeutete auch, dass ich meinen Beruf so wie er war, schlichtweg nicht weitermachen konnte. Ich wusste immer, dass ich für meine Kinder eine Bezugsperson sein möchte. Und das beginnt meines Erachtens am Tag der Geburt.

Marie, wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie wieder arbeiten gehen? Mussten Sie sich mit Anfeindungen auseinandersetzen?
Von meinem persönlichen Umfeld haben wir nur Unterstützung erfahren. Aber auf Instagram und im beruflichen Kontext gab es öfter mal Mom-Shaming Kommentare à la "Ich könnte das ja nicht" oder "Ein Kind braucht doch seine Mutter".

In Ihrem Podcast und auf Social Media sind Sie sehr ehrlich und behandeln auch heikle Themen im Bezug auf Elternschaft. Sebastian hat sich erst letztens dazu geäußert, dass er das Vatersein – zumindest teilweise – bereut. Ernten Sie für solche Aussagen eher Kritik oder Bewunderung? Und bereuen Sie es manchmal, im Nachhinein so offen gewesen zu sein?
Grundsätzlich ist der positive Zuspruch, den wir für unsere Inhalte und Themen erhalten, wesentlich größer als die Kritik. Unfassbar viele Eltern schreiben uns, dass sie sich endlich gehört und sich mit ihren Sorgen nicht mehr so allein gelassen fühlen. 

Viele Eltern sind nicht 100 Prozent von ihrer Elternrolle erfüllt. Wie ist das bei Ihnen?
100 Prozent!? Niemals. Das Leben bietet ja auch noch andere Aspekte. Aber es gibt unfassbar schöne Momente mit unseren Kindern, die uns mit einer bedingungslosen Liebe erfüllen, die wir vorher nicht kannten. Gerade zu Beginn unserer Elternschaft überwog zwar die Erschöpfung, die Überforderung, die Verzweiflung. Aber es wird besser, das spüren wir.

Bereuen Sie es im Hinblick auf die systematische Diskriminierung von Eltern im Arbeitsleben manchmal Eltern geworden zu sein? Ist unsere Gesellschaft (noch) nicht darauf ausgelegt?
Wir finden es immer wieder heftig, wie wenig Eltern und Kinder auf der politischen Agenda stehen. Unsere Themen fallen hinten runter, weil Eltern meistens keine Zeit oder Energie haben, sich politisch zu engagieren. Dabei ist die Gesellschaft darauf angewiesen, dass Menschen Kinder bekommen.

Es ist für uns wichtig, Zeit zu haben, in Ruhe über Themen sprechen zu können, die im hektischen Alltag oft untergehen. 

Schaffen Sie es, sich auch mal Auszeiten einzuräumen, ganz frei von Care- und Lohnarbeit? 
Unsere Eltern wohnen leider nicht vor Ort, aber wir haben das Glück, finanziell so dazustehen, dass wir uns eine Babysitterin leisten können und somit ab und an auch Zweisamkeit genießen. Allein schon für Zukunftspläne ist das goldwert: Wo wollen wir in zehn Jahren leben? Wie wollen wir unsere Kinder erziehen? Welches Hobby macht uns glücklich? An welchen Freundschaften möchten wir festhalten? Aber manchmal haben wir auch keine Lust zu reden und dann tut es gut, das Tanzbein zu schwingen und alle großen Fragen für einen Abend zu vergessen.

Brigitte

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