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Appell einer Lehrerin Kinder sollten in den Ferien nicht lernen – sondern das tun

Silke Weißenrieder ist seit über 20 Jahren Lehrerin
Silke Weißenrieder ist seit über 20 Jahren Lehrerin
© privat
Silke Weißenrieder ist langjährige Lehrerin und appelliert in einem offenen Brief an die Eltern, ihre Kinder in den Ferien nicht zum Lernen anzuhalten – und hat einen anderen Tipp. 

Liebe Eltern, 

das Schuljahr ist geschafft und endlich kann die Schultasche in der Ecke abgestellt werden. Ich empfehle allerdings, diese noch grob nach Essensresten, Flaschen und Brotdosen abzusuchen, denn am Ferienende ist das kein schönes Erlebnis.

Jetzt ist, zumindest was die Schule betrifft, endlich Pause. Sollten Sie selbst auch ein paar Urlaubstage zur Verfügung haben, ist jetzt Zeit für Abwechslung. Der Familienalltag bekommt nun auch deutlich weichere Strukturen. Nicht ständig früh aufstehen zu müssen und keine Klassenarbeiten und Tests im Kopf zu haben, entlastet immens. Mir geht das als Mutter auch so.

Die Sommerferien sind zum Entspannen da

Allerdings ist nicht in allen Familien Entspannung angesagt in den Sommerferien. Es gibt Mütter und Väter, die sich jetzt bereits Sorgen machen um das kommende Schuljahr, weil sie wissen, dass sich ihre Kinder schwergetan haben, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht konnte das Kind mit dem Lerntempo nicht mithalten, war lange krank, hat keine Motivation gefunden oder hatte schlichtweg andere Dinge im Kopf. Und diese Eltern sagen dann manchmal zu mir: 

Jetzt haben wir endlich mal Zeit, die Lernlücken zu schließen. Da machen wir einfach jeden Tag zwei Stunden Mathe, Deutsch und Englisch, das ist doch jetzt zeitlich drin.

Wenn es sich um Schüler und Schülerinnen vor den Abschlussprüfungen handelt, stimme ich zu. Ja, das ist ein guter Plan, für die Prüfungen alles zu geben, zumal nach den Prüfungen sehr viel Erholungszeit ist. Wenn es sich aber um jüngere Kinder handelt, zum Beispiel Grundschüler, dann rate ich ab. Ich sage Ihnen auch, warum: Stellen Sie sich vor, Sie freuen sich auf den wohlverdienten Urlaub und Ihr Chef sagt zu Ihnen: „Viel Spaß im Urlaub, allerdings gebe ich Ihnen noch eine Aufgabe mit, die nimmt nur ein bis zwei Stunden täglich in Anspruch – aber halb so schlimm, sonst arbeiten Sie ja acht Stunden, erholen Sie sich gut.“ Würden Sie da wirklich loslassen können und den Kopf frei bekommen? Wohl nicht.

Was die Kinder in den Ferien statt Lernen tun sollten

Ich möchte aber eine Lanze brechen für das Lesen. Im Mai dieses Jahres wurden die Ergebnisse der IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) veröffentlicht – mit verheerendem Ergebnis: Schülerinnen und Schüler lesen schlechter als vor fünf Jahren. Ein Viertel der Kinder erreicht nicht den international festgelegten Mindeststandard, und die Schere zwischen starken und schwachen Lesern und Leserinnen ist so groß wie nie. Auf diesen Negativtrend hat inzwischen auch das Kultusministerium reagiert und verpflichtet die Grundschulen ab dem kommenden Schuljahr zu konkreten Programmen.

Nicht verwunderlich ist die Tatsache, dass sozialer Status, Buchbesitz, Bildungsabschluss und Berufsstatus der Eltern und die zu Hause gesprochene Sprache Gründe für diese eklatanten Leistungsunterschiede sind. Kolleginnen und Kollegen berichten mir, dass bei vielen Schülern und Schülerinnen die Leseleistung rapide abnimmt, wenn über die Ferien nichts gelesen wird.

Wenn Sie bereits mit Ihren Kindern lesen, kann ich Sie nur beglückwünschen. Wenn Sie das bisher noch nicht getan haben, will ich Ihnen Mut zusprechen! Gehen Sie mit Ihrem Kind in eine Bücherei oder einen Buchladen und nehmen Sie mit, was das Kind (und möglicherweise auch Sie?) interessiert!

Sollten Sie völlig ratlos sein, empfehle ich für die frühe Grundschulzeit die "Geschichten vom Franz" von Christine Nöstlinger und die Bücher von Kirsten Boie. Mein Favorit für jedes Alter ist momentan "Der Tag, an dem Oma das Internet kaputt gemacht hat" von Marc-Uwe Kling. Schöne Ferien!

Die Autorin: Silke Weißenrieder, 47, unterrichtet seit über 20 Jahren an einer Werkrealschule in Baden-Württemberg Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Auf Instagram ist sie unter @diekleinepaukerin zu finden.

Brigitte

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