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Experte klärt auf Wann ist es zu spät für eine Kinderwunschbehandlung?

Stethoskop und Ultraschallilder
© Natalya Lys / Adobe Stock
Klappt es immer seltener von allein? Verlassen wir uns zu sehr auf die moderne Medizin? Wann ist es zu spät? Dr. Jochen Tigges, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, hat Antworten.

Wann ist rein biologisch der richtige Zeitpunkt für ein Kind?

Dr. Tigges: Relativ früh. Zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr sind die Chancen, ein Kind zu bekommen, am besten.

Viele Paare entscheiden sich jedoch erst Mitte/Ende 30 für ein Kind. Ist das schon oft schon zu spät, um auf natürlichem Wege schwanger zu werden?

Zwischen Mitte und Ende 30 gibt es einen relativ großen Unterschied. Die Schwangerschaftsraten sind bis zum 30. Lebensjahr recht konstant, fallen dann aber bis zum 35. Lebensjahr etwas ab. Zwischen 35 und 40 sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft pro Zyklus dann deutlich. Bei den 35-Jährigen haben wir eine Schwangerschaftsrate pro Eisprung von ca. 15 Prozent, und bei den 40-jährigen Frauen liegt sie nur noch bei fünf Prozent oder weniger.

Woran liegt das?

Die Eizellenqualität nimmt mit steigendem Alter ab. Während Spermien immer wieder aus den Stammzellen neu produziert werden, kommen Frauen mit den Eizellen schon zur Welt. Und somit sind die Eizellen auch allem ausgesetzt, dem die Frau im Lauf ihres Lebens ausgesetzt ist: Strahlung, Umwelteinflüsse, Stress. Das alles mindert die Qualität der DNA, die in der Eizelle verpackt ist, wodurch sie sich mit steigendem Alter schlechter befruchten lassen und auch die befruchtete Eizelle sich schlechter zu einem Embryo weiterentwickelt.

Kann man die Qualität der Eizellen feststellen lassen?

Nein, das geht leider noch nicht. Das sehen wir aktuell erst während der Behandlung, wenn wir die künstliche Befruchtung durchführen. Allerdings erleben wir hierbei auch durchaus Überraschungen. Schon bei ganz jungen Frauen kann die Eizellenqualität sehr schlecht sein, und gleichzeitig haben wir Frauen mit 41 oder 42 Jahren in Behandlung, bei denen sich aus drei befruchteten Eizellen drei schöne Embryonen entwickeln. Aber im Durchschnitt kann man sagen, dass bei einer 35-jährigen Frau etwa zwei von drei befruchteten Eizellen zu Embryonen werden, bei über 40-jährigen nur noch maximal eine. Was man aber messen kann, ist die Eizellreserve bei der Frau.

Also wie viele Eizellen insgesamt noch vorhanden sind?

Ja, das kann man über das Anti-Müller-Hormon im Blut bestimmen. Dieser Wert gibt uns einen indirekten Aufschluss darüber, wie viele Eizellen gerade heranreifen, und daraus kann man wiederum Rückschlüsse ziehen, wie groß der Follikelpool insgesamt ist, der aktuell zur Verfügung steht. Damit lässt sich allerdings nicht vorhersagen, wie es in zwei bis drei Jahren aussehen wird, dafür müsste man den Wert häufiger bestimmen.

Sollte man diesen Wert auch schon vorab einmal feststellen lassen, auch wenn man vielleicht aktuell noch kein Kind plant?

Ganz klares Ja. Ich habe immer wieder Patientinnen, die sehr jung sind, bei denen dieser Wert sehr niedrig ist.

Was bedeutet das dann?

Einmal kann es bedeuten, dass der Eisprung schon sehr früh bei diesen Frauen ausfällt und sie dann auf natürlichem Weg keine Chance auf eine Schwangerschaft mehr haben. Aber auch falls aus anderen Gründen eine Schwangerschaft nur mithilfe einer künstlichen Befruchtung möglich ist, wird es später umso schwieriger, an die Eizellen heranzukommen.

Und die könnten dann ja auch mittels Social Freezing konserviert werden, falls aktuell noch nicht der richtige Zeitpunkt für ein Kind da ist?

Meines Erachtens sollte das immer ein Plan B bleiben. Es ist eine gute Möglichkeit, Eizellen früh zu entnehmen und einzufrieren, aber auch das ist keine Garantie auf ein Kind. Denn zu dem Zeitpunkt weiß man noch nicht, wie sich die Eizellen befruchten lassen, wie sich die Embryonen daraus entwickeln und ob daraus auch eine Schwangerschaft entsteht. Das ist eine Art Versicherung, auf die man sich nicht hundertprozentig verlassen kann. Aber wenn es gerade gar nicht in die Lebensplanung passt, ein Kind zu bekommen, dann ist es definitiv besser, als nichts zu tun.

Warten viele Paare zu lange mit dem Kinderwunsch bzw. verlassen sich zu stark auf die moderne Medizin?

Nein, den Eindruck habe ich nicht. Bei den meisten Paaren ist es einfach so gekommen, wie es ist, beispielsweise dass der:die Partner:in spät gefunden wurde, oder man hat sich sehr auf die Karriere konzentriert und die Familienplanung war einfach nicht präsent. Dass es so viel schwieriger wird, ein gesundes Kind zu bekommen, wenn Frauen das 40. Lebensjahr abgeschlossen haben, das ist leider auch nicht sehr bekannt in der Gesellschaft. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Frauen oder Paare bewusst lange warten. Aber ja, die Patientenpaare werden immer älter, und das ist auch ein Problem, für das die Reproduktionsmedizin nur sehr eingeschränkt Behandlungsansätze anbieten kann.

Brauchen auch immer mehr junge Paare eine Kinderwunschbehandlung?

Wir haben durchaus auch junge Paare und auch nicht wenige, meist sind das Frauen mit dem PCO-Syndrom, die keinen Eisprung haben,und die kommen dann zur Hormonstimulation zu uns. Die Zahl der Frauen mit Zyklusproblemen oder jenen, die gar keinen Eisprung haben, nimmt auch zu. Hier spielen zum Beispiel Adipositas bzw. ungesunde Ernährung auch eine Rolle.

Fehlt es zum Teil auch an Wissen rund um den Zyklus und die fruchtbaren Tage, oder sind die Paare schon so weit aufgeklärt, wenn sie zu Ihnen kommen?

Ganz unterschiedlich. Ich habe auch tatsächlich noch Patientinnen mit 36, 37, die immer noch glauben, die fruchtbare Zeit wäre die, in der sie die Periode haben. Viele sind wirklich gut informiert, aber längst nicht alle.

Schicken Sie solche Paare dann nochmal mit den nötigen Infos nach Hause?

Wenn die Paare zu uns kommen, machen wir erst mal eine ausführliche Anamnese. Neben den körperlichen Untersuchungen gehört auch immer die Frage dazu, was sie bisher probiert haben. Wenn körperlich alles unauffällig ist und die Paare vielleicht auch noch nicht so lange probieren, geben wir noch mal Tipps, vor allem wenn wir merken, dass da vorher vielleicht etwas nicht ganz so optimal gelaufen ist.

Ab wann ist dann eine Kinderwunschbehandlung empfehlenswert?

Ich empfehle vor allem Paaren mit Kinderwunsch, bei denen es nicht so recht klappen will, sich frühzeitig in einem Zentrum vorzustellen, um sich einmal durchchecken zu lassen. Ich weiß, es ist immer noch ein schambehaftetes Thema, sollte es aber wirklich nicht sein. Die Behandlungszahlen steigen seit Jahren, die Samenqualität bei Männern nimmt unter anderem durch schädliche Umwelteinflüsse oder ungesunde Lebensweise immer mehr ab. Die Empfehlung bei Paaren lautet ja, bis zum 35. Lebensjahr der Frau zwölf Monate zu versuchen, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, bei über 35-Jährigen dagegen nur noch sechs Monate. Bei Vorerkrankungen wie Hodenhochstand beim Mann oder Chlamydien bei der Frau sollte man lieber noch früher kommen, damit wir noch alle Möglichkeiten nutzen können, um den Paaren zu helfen.

Was halten Sie von den Altersgrenzen, die für die Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen gesetzt sind?

Schwierige Frage. Die Altersgrenzen sind vor langer Zeit von einer großen Kommission festgelegt worden. Für mich persönlich erschließt es sich nicht, warum die Paare mindestens 25 Jahre alt sein müssen, und auch die Altersgrenze nach oben ist schon sehr eng gefasst. Auch Frauen mit 41 oder 42 beispielsweise haben durchaus noch Chancen auf ein Kind, es kommt auf die individuelle Situation an.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine Altersgrenze, die Sie setzen würden?

Bis zu einem gewissen Grad ist es individuell. Da kommt es beispielsweise auf die Eizellreserve und die Qualität an. Man sollte dann tatsächlich Aufwand, Kosten und auch die körperlichen Strapazen wirklich abwägen und schauen, ob man eine Behandlung aus medizinischer und ethischer Sicht noch empfehlen kann. Bei uns in der Praxis haben wir eine Behandlungsgrenze von 45 Jahren, dann ist definitiv keine Behandlung mehr sinnvoll. Das ist in den meisten Praxen so.

Weil dann die körperlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind?

Die Erfolgsaussichten gehen tatsächlich gegen Null. Selbst wenn man es schafft, einen Embryo in die Gebärmutter zu übertragen, liegen die Chancen für eine Lebendgeburt bei unter einem Prozent.

Wie viele Versuche braucht es durchschnittlich, bis es klappt?

Gehen wir von einer durchschnittlichen 35-jährigen Frau aus. Sie hat eine durchschnittliche Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer von 35 Prozent. Um die Schwangerschaftsraten zu ermitteln, darf man das allerdings nicht pro Versuch addieren, sondern muss sich einmal die kumulativen Raten anschauen. So sind nach zwei Embryotransfers die Hälfte aller Paare schwanger, nach drei 60 Prozent und nach dem vierten etwa 66 Prozent. Das heißt, die drei von den Krankenkassen übernommenen Versuche sind unter Umständen schon ziemlich knapp. Wo es möglich ist, empfehle ich immer, überzählige Eizellen in der Behandlung einzufrieren.

Welche Kosten kommen auf die Paare im Schnitt zu?

Die Kosten liegen bei den ersten drei Versuchen bei einer IVF-Behandlung (Eizelle und Samen werden in einem Reagenzglas zusammengebracht) bei etwa 1.600 Euro Eigenanteil pro Behandlungszyklus. Bei einer aufwändigeren ICSI (Ein Spermium wird unter dem Mikroskop direkt in die Eizelle injiziert) liegt der bei ca. 2.200 Euro. Wenn die Paare aus der Kostenübernahme der Versicherung aber rausfallen, weil sie beispielsweise nicht verheiratet sind oder die ersten drei Versuche nicht geklappt haben, muss man für eine IVF-Behandlung mit Kosten von etwa 4.500 Euro rechnen, für eine ICSI sogar 7.500 Euro.

Wenn es also nicht während der ersten drei Versuche klappt oder das Paar andere Voraussetzungen nicht erfüllt, kann der Wunsch nach einem Kind sehr teuer werden. Das können sich sehr viele Paare nicht leisten, und der Traum vom Kind scheitert am Kontostand. Was sollte sich ändern?

Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn die Krankenkassen beispielsweise die ersten drei oder besser noch vier Versuche voll übernehmen würden. Dann bliebe den Paaren mehr Geld, um beispielsweise Zusatzleistungen wie das Einfrieren befruchteter Eizellen zu finanzieren und damit im nächsten Versuch Geld zu sparen. Dadurch würden mehr Kinder geboren und das wiederum würde sich für die Gesellschaft dann auch wieder rechnen.

Dr. Jochen Tigges
© PR

Dr. med. Jochen Tigges ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe mit den Schwerpunkten gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Seit 2018 arbeitet er bei TFP Kinderwunsch Düsseldorf als Spezialist für Kinderwunschbehandlungen.

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