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Palliativpatientin erzählt "Das ist mein wichtigstes Vermächtnis für mein Kind"

Mutter und Tochter einander zugewandt am Strand bei Sonnenuntergang
© Valerii Apetroaiei / Adobe Stock
Eine Palliativpatientin erzählt über den Wert der Hoffnung – und ein besonderes Erinnerungsprojekt für ihre Tochter. Sie hat ihre Lebensgeschichte als Hörbuch aufgenommen.

"Hi, ich bin Christin, 33 Jahre alt, Mami und fühle mich meistens gesund. Die Medizin sagt allerdings etwas anderes", so beginnt ein Posting auf Christins Instagram-Kanal "our.best.journey", mit mehr als 40 Tausend Followern. Christin ist Palliativpatientin. Eine, die "aufklären möchte, Mut machen, Hoffnung geben". Die Diagnose eines aggressiven Brustkrebses bekam sie in der 27. Schwangerschaftswoche, den Status "unheilbar" hat sie, seit ihre Tochter zehn Monate alt ist. Heute ist die Kleine dreieinhalb Jahre alt. "Ich weiß, dass es möglich ist, trotz eines solch schweren Schicksals wieder ins Leben zu finden", schreibt Christin am Ende des Posts.

Im Interview spricht sie über ein ganz besonderes Projekt, das ihr einige Leichtigkeit zurückgab – obwohl es so unheimlich emotional ist. Sie hat ihre Lebensgeschichte als Hörbuch aufgenommen.

BRIGITTE.de: Christin, bei dem Wort "Palliativpatientin" denken die meisten Menschen an den unmittelbar bevorstehenden Tod. Kannst du das aufklären und beschreiben, was es heißt, eine lebensverkürzende Diagnose zu haben?

Christin: Bei mir haben leider jegliche Chemotherapien versagt, ich galt als austherapiert, zumindest laut meiner damaligen Klinik. 2021 ging es mir wirklich so schlecht, dass ich dachte, 2022 erlebe nicht mehr. Als das Palliativteam vor mir stand, wollte ich von denen gar nicht behandelt werden. Aber Palliativmedizin ist ein weites Spektrum. Es heißt nicht automatisch, man stirbt in den nächsten Wochen oder Monaten. Es ist eine sehr ganzheitliche Behandlung, Schmerzmedizin und naturheilkundliche Anwendungen kombiniert. Für mich war es das beste Ärzt:innenteam, das ich je hatte. Mir persönlich ist wichtig zu zeigen, auch in einer palliativen Zeit kann man glücklich sein. Ich habe unendlich viel Hoffnung, ich lebe. Trotzdem muss ich sagen, ich bin eine Ausnahme.

Wie gehst du als Mutter einer kleinen Tochter mit deiner Diagnose um?

Meine Tochter weiß von meiner Erkrankung nichts. Sie weiß, dass ich zum Arzt gehe, alle zwei Wochen, dass der Papa sie dann abholt. Und wenn sie nach Hause kommt, darf sie mich wecken, weil ich meistens im Bett liege. Abends bestellen wir etwas zu essen, das ist unser Ritual. Aber solange ich nicht noch einmal eine Chemotherapie machen muss, sprechen wir mit ihr zu Hause nicht darüber. Momentan bekomme ich eine Immuntherapie und es geht mir gut damit.

Ich habe natürlich einige Einschränkungen und Nebenwirkung, aber ich bin ansonsten eine ganz normale Mama, eine ganz normale Ehefrau. Es kommt auf den Tag an, wie viel Raum das Thema bekommt. Häufig hat es keinen Raum. Wenn aber meine nächste Untersuchung bevorsteht, nimmt es viel Raum ein.

Du hast an dem Projekt "Familienhörbuch" teilgenommen und deine Audiobiografie erstellt. Unheilbar kranke Mütter und Väter, die ihre Kinder nicht mehr ins Erwachsenenleben begleiten können, nehmen daran kostenlos teil. Sie können sich melden und bekommen eine:n erfahrene Audiobiograf:in andie Seite. Wieso hast du dich dafür entschieden?

Dieses Projekt ist so viel wert, das muss viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Ich habe darüber über Instagram erfahren. Aber zuerst war das für mich irrelevant. Ich wollte das nicht machen, weil du dafür mit deinem Kopf vereinbaren musst, dass du etwas für die Zeit aufnimmst, wenn du gestorben bist. Dann erzählte mir eine Mitpatientin, dass sie Ende des Monats ihren Termin habe, um ein Familienhörbuch aufzunehmen. Kurz vorher ist sie gestorben. Das war für mich der Wendepunkt. Ich sagte mir: Ich brauche so ein Hörbuch für meine Familie, sofort!

Wie lief das ab?

Ich bekam meinen Termin innerhalb von zwei Wochen. Wir haben die Gespräche über Skype geführt, normalerweise finden sie aber in Persona statt. Ich habe alle möglichen Fragen beantwortet: Was hast du als Kind gerne gemacht, wo hast du gerne gespielt, was hast du gerne gegessen? Das waren Impulse – es liegt an dir selbst, was du erzählen willst. Zuerst hatte ich Bedenken, dass jemand so viele Dinge über mich erfährt, die niemand sonst weiß. Aber ich habe meine Audiobiografin schnell ins Herz geschlossen. Sie hat mich immer wieder zum Erzählen ermutigt, "Das gehört einfach zu deinem Leben dazu." Das war eine schöne Erfahrung.

Hatte dieser traurige Anlass, über dein Leben zu erzählen, also auch eine Seite, die Spaß gemacht hat?

Das ist schwer zu sagen. Es hat keinen Spaß gemacht, denn es ist eine Erfahrung, die man nicht machen möchte. Gleichzeitig war es doch schön und auch lustig. Ich bin eigentlich ein sehr witziger Mensch und lache viel. Deshalb sind Outtakes Teil des Hörbuchs geworden. Momente, in denen ich mich verspreche und von vorne anfangen muss. Die sind wirklich witzig. In einem anderen Kapitel habe ich meine Lieblingsmusik zusammengestellt – auch die aus meinen Teenie-Jahren, als ich mit 15 "Tokio Hotel" gehört habe.

Wie umfangreich ist dein Hörbuch geworden?

Wir hatten drei Tage geplant, ich war aber schon nach zwei Tagen fertig. Ich habe bis 16 Uhr gesessen und acht Stunden fast ununterbrochen geredet. Ich hatte richtig Halsschmerzen und Kopfschmerzen hinterher, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich hatte ein Familienfoto aufgestellt, das ich öfters wegpacken musste, weil die Tränen kamen. Das blieb nicht aus. Ich habe auch persönliche Worte an meinen Mann, meine Schwiegereltern, meine Eltern und natürlich an meine Tochter gerichtet. Ich glaube, mein Hörbuch ist etwa sechs Stunden lang geworden.

Was macht diese Form der Erinnerung für dich so einzigartig?

Ich wusste, ich möchte meinem Mann und meiner Tochter etwas Persönliches hinterlassen, das sie begleitet. Also hatte ich angefangen, Briefe an meine Tochter zu schreiben, aber es stand immer das Gleiche drin: "Ich liebe dich von ganzem Herzen, es tut mir so leid, wie es gelaufen ist." Das wiederholte sich. Als meine Audiobiografin mich fragte, was ich bisher getan habe, um etwas Persönliches zu gestalten, erzählte ich, dass ich meiner Tochter einen Brief zu ihrer Hochzeit geschrieben habe. Dass ich ihr wünsche, dass sie glücklich wird mit ihrem Mann. Sie fragte daraufhin: "Was, wenn deine Tochter nie heiratet? Oder wenn sie eine Frau heiratet?"

Wie geht es dir jetzt, nachdem du dein eigenes Familienhörbuch zu Hause hast?

Das Erste, was Menschen vergessen, ist die Stimme. Wenn ein Kind ein Elternteil verliert in jungem Alter, weiß es mit 30 Jahren nicht mehr, wie sich die Mama angehört hat. Auch deshalb ist das Hörbuch mein wertvollster Besitz, den ich weitergeben werde. Es ist ein beruhigendes Gefühl, es zu haben. Seitdem fühle ich mich einfach frei.

Vielen Dank für das Gespräch.

Brigitte

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