Anzeige

ADHS als Mama KiKA-Moderatorin Tanja Mairhofer: "Neurodiversität ist eine Superpower"

Tanja Mairhofer
© Mathias Vietmeier
KiKA-Moderatorin Tanja Mairhofer bekam erst als Erwachsene die Diagnose ADHS. Wie das für sie war, warum sie "Anderssein" auch als Superkraft sieht und wie das als Mama mit ADHS ist, hat sie uns im Interview erzählt.

In den 90er Jahren erlebte der Begriff ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) eine große Popularität, fast schon einen Hype. Beinahe bei jedem Kind, das einen großen Bewegungsdrang aufwies, nicht stillsitzen wollte oder konnte und Probleme mit der Konzentration hatte – damals gern als Zappelphilipp oder Wirbelwind bezeichnet – wurde gemunkelt, es sei hyperaktiv und hätte möglicherweise ADHS. Hatte ein Kind dann wirklich die Diagnose, bekam es damit gleichzeitig seinen Stempel aufgedrückt: "Das wird’s wohl nicht weit bringen." Wenn es die Hauptschule schafft, solle man als Eltern schon froh sein. Ein Stigma, dass sich auch heute immer noch hält und Betroffene zumeist ein Leben lang begleitet. 

Und dann gibt es noch jene Erwachsene, die nicht wissen, dass sie ADHS haben. Denn nicht selten bleibt ADHS undiagnostiziert, oder wird falsch diagnostiziert. Betroffene empfinden sich selbst oft einfach als "anders", dabei kann die Diagnose helfen, vieles verständlicher und leichter zu machen und vor allem viel Licht ins Dunkel bringen. 

Kika-Moderatorin Tanja Mairhofer ist eine von diesen Erwachsenen, die schon lange wusste, dass sie anders tickt, aber erst spät eine Erklärung dafür bekommen hat. Wie das für sie war, warum sie ADHS auch als Superkraft sieht und wie das Leben als Mama mit ADHS ist, erzählt sie im Gespräch mit unserer Autorin.

Liebe Tanja, du hast die Diagnose ADHS erst als Erwachsene bekommen. Ist das vorher nie aufgefallen?

Ich wusste nicht, was ADHS ist. Im Studio habe ich immer gehört, dass ich so super funktioniere, weil ich so quirlig bin, alles aufsauge und direkt reagieren kann. Wenn ich ein Interview führe, brauche ich beispielsweise keinen Fragenkatalog, ich reagiere einfach immer schnell auf das Gesagte. Oder auch in der Fahrsicherheitsprüfung ist aufgefallen, dass ich total schnell reagieren kann. Ich habe schon gewusst, dass ich anders bin. Aber wenn man keinen Leidensdruck hat, akzeptiert man das erstmal. 

Wann hat sich das geändert?

Zu Corona kamen massive Schicksalsschläge on top und dann ging plötzlich nichts mehr. Ich war völlig überfordert und geplättet von all den Eindrücken und Gedanken in meinem Kopf – ich konnte nichts filtern. Da war ich dann auch sehr dankbar für die Diagnose, denn mir hat sowohl die Diagnose als auch das Ritalin geholfen, voranzukommen. 

ADHS diagnostizieren zu lassen, ist aber auch nicht ganz unkompliziert, oder?

Man muss proaktiv vorgehen. Es sagt dir niemand, dass du ADHS hast. Wenn du glaubst du hast es, musst du sogar manchmal dafür zahlen, dass es jemand diagnostiziert. Die Ärzt:innen sagen zwar immer, man solle bloß nicht googeln, in meinem Fall war es aber das Beste, was ich machen konnte. So habe ich sehr viel darüber gelesen und mir ist vieles auch aus der Vergangenheit klarer geworden.

Beispielsweise in der Uni, wo ich mich nicht konzentrieren konnte, wenn in der Reihe hinter mir getuschelt wurde, oder auf Reisen habe ich schon immer Ohropax dabei, weil ich mich anders beim Lesen nicht fokussieren kann. Während Corona kam dann ganz viel dazu, was mein System zum Einsturz gebracht hat und nach langen Dialogen mit meiner Schwester, die auch eine ADHS Diagnose hat, habe ich das dann anschauen lassen. Und die Diagnose war ziemlich eindeutig.

Wo geht man damit hin? Welche:r Arzt:Ärztin ist da die richtige Ansprechperson?

Neurolog:innen. Die machen verschiedene Tests und auch die Organe werden untersucht. Mir wurde dann ein Medikament verschrieben, dass so ähnlich wirkt wie Ritalin. Und den Moment, in dem ich einfach in der S-Bahn saß und gelesen habe, werde ich nie vergessen. Sonst war das immer ein Kampf, weil ich alles um mich herum so krass wahrgenommen habe und das auf mich eingeprasselt ist. Wie viel leichter es gewesen wäre, wenn ich das früher gemacht hätte. Das Gute ist, die Medikamente bauen keinen Spiegel auf, das heißt, am nächsten Tag sind sie wieder aus dem System raus und haben auch keinerlei Einfluss auf die Psyche. Sie helfen einfach dabei, das Gehirn zu schulen und umzustrukturieren, damit es lernt sich besser zu fokussieren. Ich kann es beispielsweise jetzt auch ohne Medikamente. Es ist nicht leicht, aber es geht.

Die Medikamente, allen voran Ritalin, sind ja durchaus umstritten ...

Ja und ich verstehe die Diskussionen auch, vor allem bei Kindern. Dazu gibt es sehr viele Meinungen und alle dürfen auch da sein. Sicherlich gibt es Kinder, denen es unnötig verschrieben wurde, genauso aber jene, denen es hilft. Bei mir war es so. Es gibt da einfach ein Spektrum. Dafür wollte ich mit meinem Buch – dem "Superbuch" – auch eine Lanze brechen. Wir haben so viele, tolle Kinder, die die Welt verändert haben. Greta Thunberg ist das beste Beispiel. Sie ist so, weil sie auf dem Spektrum ist. Gerade beim Asperger-Syndrom haben die Kinder oft einen sehr stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie verstehen nicht, dass es vielleicht besser wäre, einfach den Mund zu halten. Sie haben da kein Gespür dafür und das ist gleichzeitig eine ganz große Stärke.

Kannst du einmal schildern, wie sich ADHS für dich anfühlt?

Ich habe Schwierigkeiten mich zu fokussieren, nehme immer alles war, was da ist. Ich habe quasi keinen Filter. Das ist zum Teil natürlich überfordernd, aber gleichzeitig nehme ich auch sehr viel Schönes wahr, das andere vielleicht nicht sehen. Ich habe ganz feine Antennen für zwischenmenschliche Themen. Oft sind das einfach auch nur Begrifflichkeiten, deren Symptome ineinander übergehen. Ich bin im Grunde genauso hochsensibel, wie ich ADHS habe. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Es gibt viele Probleme mit ADHS, aber auch viel Tolles. 

Siehst du ADHS bei dir auch als Stärke?

Meine Kreativität, das was ich beim Fernsehen und beim Schreiben mache und die Sensibilität die ich habe, die kommen auch davon, dass ich anders ticke. Also ja, auf jeden Fall. Leider werden solche Besonderheiten hier bei uns immer noch so negativ wahrgenommen. In Amerika heißt das Standartwerk zu LRS (Lese-Rechtschreib-Schwäche) beispielsweise "The Gift of Dyslexia" (Deutscher Titel: "Legasthenie als Talentsignal") und der Tenor lautet: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben ein besonderes Kind. Hier ist es vielmehr: Puh, da können Sie Glück haben, wenn es es durch die Hauptschule schafft. Ich sehe das auch bei mir im Freundeskreis. Das Kind ist hochintelligent und hat ganz feine Antennen und die Mutter muss so stark gegen die Stigmata kämpfen.

Wie war das dann, als du Mama wurdest? Das stellt das Leben ja auch nochmal ordentlich auf den Kopf und ist sehr viel Input und auch Stress.

Ich glaube, dieses schlechte Gewissen, dass ich es nicht gut genug mache, also diese Mom Guilt, war schon sehr groß. Ich hatte immer das Gefühl, andere machen es besser. Liegt vielleicht auch daran, dass diese Selbstzweifel schon immer da waren. Aber ich arbeite daran und erkenne auch mittlerweile, was da so passiert und ob mein innerer Kritiker wieder zugeschlagen hat. Für meinen Alltag habe ich mir Strukturen geschaffen. Haushaltskram beispielsweise kriege ich sogar ganz gut auf die Reihe.

Ich habe zum Beispiel meine Timer für einzelne Aufgaben. Oder ich habe einen Notizzettel, damit ich nicht vergesse, was ich machen wollte. Das schreibe ich mir direkt auf und es hilft mir im Alltag total. Witzigerweise gucken sich meine kleinen Tricks und Kniffe oft auch anderen Menschen bei mir ab, die nicht neurodivers sind. Da ist natürlich jede:r anders, die einen brauchen Strukturen, andere kommen damit gar nicht zurecht.

Haben deine Kinder auch solche Tendenzen?

Nein, die beiden haben kein ADHS, im Gegenteil, sie sind extrem strukturiert. Vielleicht weil sie es auch ein bisschen müssen, oder einfach auch bei mir sehen, wie ich mich organisiere. Da kam es eher mal vor, dass mich meine Tochter ermahnt hat, wenn es zu Hause wieder chaotisch aussah. Das ist verkehrte Welt bei uns. Ich musste noch nie sagen: "Räumt mal eure Zimmer auf." Das bekomme ich dann manchmal zu hören.

ADHS ist vererbbar. Ist das bei dir auch der Fall?

Bei mir hängt es vermutlich mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zusammen, da gibt es verschiedene Komponenten. Ich komme beispielsweise aus ziemlich schwierigen Verhältnissen. Meine Eltern haben nur gestritten, es gab nur Krieg. Meine Mutter war dann alleinerziehend und ihr ging es lange Zeit nicht gut. Ich war als Kind dauerhaft in einer Habachtstellung und das ist im Grunde auch das, was ich jetzt habe. Da kannst du noch so viel an dir arbeiten, das sind Anteile in dir, die nie weggehen. Und das ist auch ok, man muss nur Mittel und Wege finden, damit umzugehen und da habe ich bei mir schon den Fokus drauf, achtsam mit mir sein.

Wie gehen deine Kinder damit um, dass Mama ADHS hat?

Meine Diagnose hat vor allem der Großen total geholfen, mich zu verstehen. Besonders in Situationen, in denen alle auf mich einreden und ich damit komplett überfordert bin, oder auch wenn ich einen Tag habe, an dem ich total durch den Wind bin. Das kann ich viel besser erklären und sie hat dafür auch Verständnis. Aber auch insgesamt in der Familie hilft es, weil alle verstehen, warum ich so bin und ich das Chaos in der Küche beim Kochen beispielsweise nicht produziere, um andere zu ärgern. (lacht)

Wie schaffst du es bei all dem Input, der so ungefiltert auf dich einprasselt, mit deinen eigenen Kräften zu haushalten?

Also was ich wirklich mache: Viel Schlafen! Um 21 Uhr lieg ich im Bett. Und ich arbeite nicht in einem klassischen 40-Stunden-Job. Das geht für mich nicht. Das will ich nicht und es funktioniert für mich auch nicht. Ansonsten praktiziere ich ganz viel Achtsamkeit. Ich mache Sport und Yoga, ich meditiere viel, ich führe ein Dankbarkeitstagebuch.

Was wünschst du dir, das sich ändern sollte?

Neurodiversität findet in diesem ganzen woken Kosmos natürlich statt und man muss sich auch nicht mehr so verstecken, mit den Issues, die man so hat. Aber im deutschsprachigen Raum ist das Thema immer noch sehr negativ behaftet, obwohl jede:r Fünfte neurodivers ist. Ich sehe einfach auch wie toll die Kinder mit ADHS sind. Und will gern unbedingt den Eltern und Kindern mitgeben: Das heißt nicht Jugendknast mit 17, das kann auch heißen, dass du in den Medien landest und ein paar Bücher schreibst. Es gibt so viele berühmte Menschen, die ADHS haben: Hirschhausen, Emma Watson, Zoey Deschanel … Das eine schließt das andere nicht aus und man hat genauso eine Perspektive, wie Menschen, die nicht neurodivers sind.

Buch Cover
© PR

Tanja Mairhofer ist Kika-Moderatorin, Autorin, Yoga-Lehrerin und Achtsamkeitsexpertin. Sie ist Mama von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in München. Bekannt ist sie unter anderem aus der "Sendung mit dem Elefanten". Erst kürzlich erschien in neuestes Buch "Dein Superbuch". Ein Buch für Kinder, das dabei helfen soll, zu entdecken, was alles in ihnen steckt und wie toll, besonders und einzigartig jede:r einzelne von uns ist. 

"Dein Superbuch" erschien im Karibu Verlag und kostet 15 Euro.

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel