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Marc Fitten: "Valerias letztes Gefecht"

Band 7 der BRIGITTE Buch-Edition "Die Liebesromane": Marc Fittens Roman "Valerias letztes Gefecht" - Band 7 der BRIGITTE Liebesromane - ist ein skurriles und ernsthaftes Buch über die erneuernde Kraft der Liebe.

Das Buch

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Valeria ist der Schrecken ihres ungarischen Dörfchens. Eine borstige alte Jungfer in schwarzen Kleidern, vor deren Zynismus niemand sicher ist. Nicht die Marktfrauen, deren Gemüse nie frisch genug ist. Nicht die Männer, die ihren Tag in der Kneipe vertrödeln. Nicht der junge ehr geizige Bürgermeister, der so gern den Kapitalismus nach Zivatar bringen möchte. Dass Valeria einmal die schönste Frau weit und breit gewesen sein soll, halten die meisten für ein Gerücht. Doch eines Tages begegnet Valeria dem Blick des Töpfers und ist fortan wie verwandelt: Sie lächelt, sie trägt einen geblümten Rock, alte Gurken und Tomaten sind ihr nun egal. Das Dorf hält sie für verrückt, und der verwitwete Töpfer weiß nicht, wie ihm geschieht, als Valeria plötzlich bei ihm auftaucht und beginnt, die Küche zu schrubben.

Eine außergewöhnliche Heldin, die man nie mehr vergisst – und ein skurriles und unwider stehliches Buch über die erneuernde Kraft der Gefühle.

Der Autor

Marc Fitten wurde 1974 in New York geboren und wuchs dort auf. 1993 zog er nach Ungarn und begann mit der Arbeit an einem Roman, den er jedoch nie ver öffentlichte. Sein Debüt "Valerias letztes Gefecht" entstand nach seiner Rückkehr in die USA und wurde dort zum überraschenden Publikumserfolg. Marc Fitten lebt heute mit seiner Familie in Atlanta.

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Leseprobe "Valerias letztes Gefecht"

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Valeria pfiff nie und hielt auch nichts von Leuten, die pfiffen. Pfeifen war etwas für Grobiane, das hatten sie achtundsechzig Jahre Lebenserfahrung gelehrt. Jemand, der pfiff, war unzuverlässig und verantwortungslos, träge und vulgär. Metzger pfiffen. Bauern auch. Statt sich um ihre Felder zu kümmern oder andere Pflichten zu erfüllen, die ihnen als Bauern oblagen, saßen sie mit bierbenetztem Kinn in der Dorfkneipe, pfiffen der Schlampe hinterher, der die Kneipe gehörte, und erzählten unanständige Witze. Da war sich Valeria sicher.

Und der Metzger war eindeutig der schlimmste Pfeifer. Er pfiff seinen Kunden direkt ins Gesicht, blies seinen stinkenden Atem jedem, der zu ihm kam, in die Nase. Wer montags beim pfeifenden Metzger vorbeischaute, musste ein paar Tage später in die Klinik. Daran dachte Valeria, als sie frühmorgens die Fugen ihres Verandabodens schrubbte. Sie war sich sicher, dass die Königin von England nicht pfiff. Auch der ungarische Präsident pfiff nicht. Sie ging die sowjetische Geschichte rückwärts durch: Trotzki mochte gepfiffen haben; Lenin gewiss nicht, und Stalin pfiff nur, wenn er wütend war. Die späteren Sowjetführer pfiffen nie, nicht einmal Gorbatschow. Und Jelzin? Bei dem Gedanken an Russlands Staatsoberhaupt drehte sich Valeria der Magen um. Ja, entschied sie, Jelzin pfiff vermutlich.

Und vor den Kommunisten oder Reformkommunisten, oder wie sie sich heutzutage nannten, hatte es die Adligen gegeben, die auch nie pfiffen. Die Habsburger bestimmt nicht. Bei der Vorstellung musste Valeria lachen. Ein pfeifender Habsburger!

Mit dem Handrücken wischte sie ein einzelnes Blatt weg. Sie erinnerte sich an das Pfeifen des Dorfbürgermeisters und fluchte. Es war zwar nur ein einziges Mal vorgekommen, außerdem wusste er nicht, dass man ihm nachspionierte. Doch Valeria beobachtete ihn. Sie mochte ihn nicht. Sie hielt nichts von seinem protzigen deutschen Wagen und seiner jungen Schickimicki-Braut. Für sie war der Bürgermeister nur ein geschickt dressierter Schimpanse, obwohl er viel taktloser und beschränkter war als ein Menschenaffe.

Valeria seufzte. Der Bürgermeister war, wie er war – wie alle aus seiner Generation. Die Jüngeren waren heutzutage alle taktlos. Seitdem die Sowjets Ungarn verlassen hatten – ohne jegliches Zeremoniell, dürfte sie ergänzt haben –, hatte sich das Land wie eine billige Gangsterbraut an den Westen herangemacht. Mit der Selbstachtung war es tatsächlich bergab gegangen. Junge Männer tauchten aus dem Nichts auf. Sie fuhren teure Wagen und verkehrten mit teuren, langbeinigen Frauen, die abgesehen von Sex zu nichts taugten und keinerlei Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft zu leisten imstande waren. Revolutionärinnen waren sie ganz gewiss nicht. Mit ihren schmalen Hüften und kleinen Brüsten konnten diese dümmlichen androgyn wirkenden Sexbomben nicht einmal die Revolutionäre von morgen gebären.

Valeria stellte sich die Braut des Bürgermeisters beim Gebären vor und musste lachen. Zierrat! Nur als Dekoration taugten die neuen Frauen heutzutage. Man muss sich das mal vorstellen, dachte Valeria, – zuzulassen, dass man mit derselben Verachtung behandelt wird, die Kinder der Weihnachtsdekoration entgegenbringen, wenn sie schnell an ihre Süßigkeiten und Geschenke wollen. Allein die Vorstellung! – zuzulassen, dass man einfach so beiseitegeschoben oder gewalttätig zu Boden geschmissen oder an eine Wand geschleudert wird, oder dass man bestenfalls und nur mit viel Glück bis zum nächsten Weihnachtsfest in eine Schachtel gestopft wird. Valeria schüttelte den Kopf. Stell dir das vor! Eine ganze Frauengeneration, die getrimmt wurde, ihr gesamtes Innenleben abzuknipsen und nur noch jederzeit die Beine breitzumachen.

Valeria schrubbte energischer, das Gesicht gerötet. Unterdessen, dachte Valeria, schlugen sich der Bürgermeister und seine Kumpane anerkennend auf den Rücken. Ihre Bankkonten füllten sich ... die Herren bliesen den Bürgern Rauch ins Gesicht und wagten es ganz unverfroren, den ganzen stinkenden Flohzirkus eine Demokratie zu nennen. Verglichen mit den jovialen Kapitalisten, die für Ungarns neue und verbesserte freie Marktwirtschaft die Verantwortung trugen, waren die Kommunisten echte Philosophenkönige gewesen. Valeria spuckte auf den weißen Fleck Vogeldreck und kratzte ihn mit ihrem kurzen Fingernagel weg. Sie wischte sich über die Stirn. Dem neuen System war nichts mehr heilig, und darin lag für sie das Problem.

Es rief Verachtung hervor. Die breite Masse braucht etwas Unantastbares, und selbst Stalin wusste das. Wer sich angemessen um sie kümmern und sie ernähren will, muss ein Opium für sie haben! Doch die Kapitalisten gingen rücksichtslos über alles hinweg. Sie betatschten und befleckten alles, und selbst ganz belanglose Dinge beugten sich dem Druck des Marktes – ihre geliebten brasilianischen Seifenopern beispielsweise wurden von gellender Reklame für französische Intimtücher und Toilettenpapier unterbrochen! Warum? Wer gestattete das? Was sollte das? Wieso waren gellend laute Werbespots – viel lauter als das Programm – so laut, dass man ihnen nicht entkam, selbst wenn man aufs Klo ging, wo man sie immer noch hörte. Wieso waren gellend laute Werbeblocks – vier Stück in der letzten Sendung – Teil der Demokratie? Es war unbegreiflich ...

Und zu allem Überfluss war der Bürgermeister auch noch jemand, der pfiff! Gott sei Dank, dachte sie bei sich, dass sie in einem kleinen Dorf wohnten, tief in der Steppe, mitten im Niemandsland – ach, wie dankbar war Valeria dafür. Sie hatte die Gewissheit, dass selbst das laute Pfeifen des Bürgermeisters auf taube Ohren stieß. Wenn der Bürgermeister – der nur ein oberschlauer Bauer war – pfeifen wollte, machte das nichts aus; niemand Wichtiges würde ihn hören und schlechter über das Dorf denken – wenn die Queen oder der ungarische Präsident den Bürgermeister tatsächlich einmal aus der Ferne pfeifen hören sollten, während sie einander Briefe schrieben, dann würden sie vielleicht kurz aufblicken und sich wundern, das leise Pfeifen aber sofort achselzuckend für den Wind halten, der irgendwo weit weg über ein Zuckerrübenfeld strich – das blecherne Pfeifen des Bürgermeisters wäre für ihr Ohr so belanglos wie das welke Laub, das auf vergessenes Jagdgebiet fiel, so belanglos wie der Kandelaber, der in ihrem Arbeitszimmer flackerte.

Seit einer Weile brachte der Bürgermeister Fremde mit ins Dorf. Als hätte er intuitiv gewusst, dass er Zuhörer brauchte. Investoren nannte er sie. Früher war fast nie jemand von außerhalb durch ihr Dorf gekommen, so war es gewesen, seit Valeria auf der Welt war. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie als kleines Mädchen mit Freunden deutsche Panzer am Horizont entlangrasen sah, die auf dem Weg nach Russland waren. Dann sah sie, wieder am Horizont, britische Panzer dazustoßen. Die Phalangen schlugen ein paar Tage aufeinander ein. Noch später, als Teenager, sah sie drei Tage lang eine russische Panzerparade am Horizont, die nach Budapest fuhr.

Kein einziger Panzer kam je in ihr Dorf. Sie suchten sich immer wichtigere und interessantere Ziele, die zu besetzen sich lohnten. Eigentlich war das eine große Erleichterung, aber manche empfanden es fast als Beleidigung. Das schiere Desinteresse – nicht nur der Panzer – hinterließ bei den Dorfbewohnern tatsächlich so große psychische Schäden, dass sie sich, als die neue Schnellstraße gebaut wurde, hartnäckig gegen ein Schild aussprachen, das zu ihrem Dorf führte.

"Zu uns zu kommen, ist keinem das Benzin wert", sagten manche. "Wir haben schließlich nur eine Thermalquelle", sagten andere. "Die Touristen gehen besser nach Balaton." Die Zigeuner, die die Straße bauten, zuckten die Achseln und überreichten den Dorfbewohnern das blaue Straßenschild, das sofort in der Dorfkneipe aufgehängt wurde.

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