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Audrey Niffenegger: "Die Frau des Zeitreisenden"

Band 4 der BRIGITTE Buch-Edition "Die Liebesromane": Audrey Niffenegger beschreibt in ihrem Roman "Die Frau des Zeitreisenden" eine Liebesgeschichte, wie man sie noch nie gelesen hat, über die Faszination der Sehnsucht, die zwei Menschen lebenslang zusammenhält.

Das Buch

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Im Herbst 1991 treffen sich Henry und Clare in der Chicagoer Newberry Library. Sie ist 20, er 28. Clare studiert Kunst geschichte und sitzt an ihrer Diplomarbeit. Henry ist Bibliothekar, den Frauen und mehreren Drinks nicht abgeneigt. Weshalb er zunächst an eine alkoholbedingte Gedächtnislücke denkt, als plötzlich diese wildfremde Botticelli-Schönheit auf ihn zustürmt und auf ihn einredet. Doch die Wahrheit ist ganz anders. Henry ist Clare schon früher begegnet, zum ersten Mal, als sie sechs Jahre alt war – und dann immer wieder. Doch er kann sich nicht erinnern, weil er unter einem seltenen Syndrom leidet, das ihn zuweilen aus der Zeit fallen lässt. Ohne Vorwarnung taucht er zu den verschiedensten Momenten ihres Lebens auf, nur seine Liebe zu Clare verläuft wie ein roter Faden durch dieses Labyrinth. Über 80 Jahre spannt sich die Handlung dieser modernen Odyssee, deren größte Ungeheuer Warten und Sehnsucht heißen.

Eine Liebesgeschichte, wie man sie noch nie gelesen hat, über die Faszination der Sehnsucht, die zwei Menschen lebenslang zusammenhält. Ihnen gelingt, woran so viele Paare scheitern: das Staunen nicht zu verlernen.

Die Autorin

Audrey Niffenegger wurde 1963 in South Haven / Michigan geboren. Sie begann ihre Karriere als Buchkünstlerin, Malerin und Comiczeichnerin und lehrt außerdem Kunst und Buchgestaltung am Columbia College in Chicago. Ihr Romandebüt "Die Frau des Zeitreisenden" erschien 2003 und wurde überraschend zum internationalen Bestseller. Audrey Niffenegger lebt in Chicago.

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Leseprobe "Die Frau des Zeitreisenden"

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clare: Es ist schlimm, wenn man zurückgelassen wird. Ich warte auf Henry, weiß nicht, wo er ist, und hoffe, es geht ihm gut. Allein zurückzubleiben ist schlimm. Ich sorge dafür, dass ich immer beschäftigt bin. So vergeht die Zeit schneller. Ich gehe allein ins Bett und wache allein auf. Ich mache Spaziergänge. Ich arbeite, bis ich müde bin. Ich beobachte, wie der Wind mit dem Müll spielt, der den ganzen Winter unterm Schnee lag. Alles scheint einfach, wenn man nicht darüber nachdenkt. Warum wird die Liebe durch Getrenntsein stärker? Früher fuhren die Männer zur See, und die Frauen warteten zu Hause, sie standen am Ufer und suchten den Horizont nach dem winzigen Schiff ab. Nun warte ich auf Henry. Er verschwindet unfreiwillig, ohne Vorwarnung. Ich warte auf ihn. Jeder Augenblick des Wartens erscheint mir wie ein Jahr, wie eine Ewigkeit. Jeder Augenblick ist träge und durchsichtig wie Glas. Hinter jedem Augenblick sehe ich endlos aneinander gereihte Augenblicke warten. Warum ist er fort, und ich kann nicht mitkommen?

henry: Wie fühlt es sich an? Wie es sich anfühlt? Manchmal fühlt es sich an, als wärst du nur ganz kurz abgelenkt. Und mit einem Mal merkst du, dass das Buch, das du eben noch in der Hand hattest, das rot karierte Baumwollhemd mit den weißen Knöpfen, die geliebten schwarzen Jeans und die kastanienbraunen Socken mit der fast durchgescheuerten Ferse, das Wohnzimmer, der Wasserkessel in der Küche, der gleich zu pfeifen anfängt: All das ist plötzlich verschwunden. Du stehst im Graben an einer unbekannten Landstraße, splitternackt und bis zu den Knöcheln in eiskaltem Wasser. Du wartest kurz, um zu sehen, ob du vielleicht gleich wieder bei deinem Buch bist, in deiner Wohnung et cetera. Nach ungefähr fünf Minuten Fluchen und Zittern und dem sehnlichen Wunsch, einfach zu ver- schwinden, machst du dich auf den Weg, bis du schließlich zu einem Bauernhaus kommst und die Wahl hast, dir etwas zum Anziehen zu klauen oder alles zu erklären. Klauen bringt dich manchmal hinter Gitter, aber Erklärungen sind langwierig, zeitaufwendig und auch mit Lügen verbunden, und außerdem führen sie nicht selten dazu, dass du trotzdem in den Knast wanderst, also was soll’s. Manchmal ist es, als wärst du zu schnell aufgestanden, obwohl du noch im Halbschlaf im Bett liegst. Du hörst das Blut in deinem Kopf pochen und hast das Schwindel erregende Gefühl zu fallen. Deine Hände und Füße kribbeln, sind schließlich ganz weg. Du hast dich wieder verloren. Es dauert nicht lange, du kannst gerade noch versuchen, dich festzuhalten oder um dich zu schlagen (wobei du vermutlich dir selbst oder wertvollen Gegenständen Schaden zufügst) und schon schlitterst du über den waldgrünen Flurteppich eines Motel 6 in Athens, Ohio, um 4.16 Uhr morgens, Montag, den 6. August 1981, und stößt mit dem Kopf an jemandes Tür, was dazu führt, dass dieser Jemand, eine gewisse Ms Tina Schulman aus Philadelphia, die Tür öffnet und anfängt zu schreien, weil ein nackter Mann mit aufgeschürfter Haut ohnmächtig zu ihren Füßen liegt. Du wachst mit Gehirnerschütterung im County Hospital auf, und vor deiner Tür sitzt ein Polizist, der sich in einem rauschenden Transistorradio ein Spiel der Phillies anhört. Zum Glück verlierst du erneut das Bewusstsein, nur um Stunden später wieder in deinem eigenen Bett zu erwachen, wo deine Frau sich über dich beugt und sehr besorgt aussieht.

Manchmal bist du euphorisch. Alles ist erhaben und sehr atmosphärisch, und plötzlich wird dir wahnsinnig übel, und schon bist du fort. Du übergibst dich auf ein paar Geranien in einem Vorort, oder auf die Tennisschuhe deines Vaters, oder wie vor drei Tagen auf deinen eigenen Badezimmerboden, oder auf einen hölzernen Gehweg in Oak Park, Illinois, das war ungefähr 1903, auf einem Tennisplatz an einem schönen Herbsttag in den 1950ern, oder auf deine eigenen bloßen Füße an den unterschiedlichsten Orten, zu den verschiedensten Zeiten. Wie es sich anfühlt? Es fühlt sich an wie einer dieser Träume, in denen dir schlagartig einfällt, dass du eine Arbeit schreiben musst, für die du nichts gelernt hast, und außerdem nackt bist und deine Brieftasche zu Hause gelassen hast. Wenn ich dort draußen bin, irgendwo in der Zeit, ist mein Innerstes nach außen gestülpt, bin ich die verzweifelte Version meiner selbst. Ich werde ein Dieb, ein Landstreicher, ein Tier, das davonläuft und sich versteckt. Ich erschrecke alte Frauen, versetze Kinder in Staunen. Ich bin ein Trick, eine Illusion höchsten Grades, so unglaublich, dass ich schon wieder wahr bin. Ob all diesem Kommen und Gehen, diesen vielen Verschiebungen eine Logik, eine Regel zugrunde liegt? Ob es eine Methode gibt, hier zu bleiben und die Gegenwart mit jeder Faser anzunehmen? Ich weiß es nicht. Aber es gibt Hinweise; wie bei jeder Krankheit gibt es Muster und Möglichkeiten. Erschöpfung, Krach, Stress, plötzliches Aufstehen, blinkende Lichter – jedes davon kann eine Episode auslösen. Aber: Ich kann auch mit einem Kaffee in der Hand die Sunday Times lesen, während Clare neben mir auf dem Bett döst, und plötzlich bin ich im Jahr 1976 und sehe mich als Dreizehnjährigen den Rasen meiner Großeltern mähen. Manchmal dauern diese Episoden nur Sekunden; es ist, als höre man einem Autoradio zu, bei dem ständig der Sender verrutscht. Ich finde mich unter Menschenmengen, Zuschauern, irgendwelchen Horden wieder. Aber ebenso oft bin ich allein, auf einem Feld, in einem Haus oder Auto, an einem Strand, in einer Schule mitten in der Nacht. Ich habe Angst, mich im Gefängnis wiederzufinden, in einem Aufzug voller Menschen, mitten auf einer Straße. Ich erscheine wie aus dem Nichts und bin nackt. Wie soll ich das erklären? Mir ist es nie gelungen, etwas mitzunehmen. Keine Kleider, kein Geld, keinen Ausweis. Den Großteil meiner Ausflüge verbringe ich damit, mir Kleidung zu besorgen und mich zu verstecken. Zum Glück trage ich keine Brille.

Eigentlich ist es absurd, denn am wohlsten fühle ich mich zu Hause: in einem gemütlichen Sessel, umgeben von den bescheidenen Freuden des häuslichen Lebens. Ich will nur ein klein wenig Glück. Ein Krimi im Bett, der Duft von Clares langem rotblondem Haar, noch feucht vom Waschen, eine Urlaubspostkarte von einem Freund, Sahnewolken im Kaffee, die weiche Haut unter Clares Brüsten, die Symmetrie von noch nicht ausgepackten Einkaufstüten auf der Küchentheke. Ich schlendere unheimlich gern durchs Magazin in der Bibliothek, wenn die Leser nach Hause gegangen sind, und berühre zärtlich die Buchrücken. Das sind die Dinge, die ich schmerzlich vermisse, wenn sie mir durch die Launen der Zeit entzogen sind.

Und Clare, immer wieder Clare. Clare am Morgen, schläfrig und mit zerknittertem Gesicht. Clare beim Papier schöpfen, wenn sie die Arme in die Wanne taucht, die Schöpfform herauszieht und hin und her bewegt, damit die Fasern sich vermischen.

Clare beim Lesen, wenn ihre Haare über die Stuhllehne fallen und sie sich vor dem Schlafengehen Salbe in die rissigen roten Hände massiert. Clares leise Stimme ist mir oft im Ohr. Ich finde es schrecklich, fort zu sein, an einem Ort ohne sie, in einer Zeit ohne sie. Aber immer wieder muss ich gehen, und sie kann nicht mitkommen.

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