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V-Time: Wie viel pflege braucht der Intimbereich?

Vaginalpflege: Frau legt ihre Hand auf ihre Unterhose
© Alta Oosthuizen / Shutterstock
Den Venushügel peelen, das Schamhaar ölen, mit bunten Sextoys spielen: Immer mehr Frauen widmen sich hingebungsvoll ihrem Intimbereich. Was ist da los?

"I love my uterus" prangt auf der Hülle des Tampons. Sorry: des "Tamtampons". Das jedenfalls steht auf der Verpackung, die mit einem kleinen "Victory"-Zeichen und einer großen "Ode an die Periode" auf sich aufmerksam macht. Erfunden hat das alles die Berliner Firma Einhorn. Die empfiehlt auch, die Schachtel vorm Öffnen zu schütteln, damit es ordentlich rappelt im Karton, und gibt dazu das Motto "Vive le menstruazioni!" aus. Was eine ziemliche Rivoluzione, also Revolution ist: Hygiene-Artikel, die laut werden.

Von Feuchtigkeitstüchern bis hin zur Spezialpflege

Bisher waren die ja eher diskret gehalten. Nun aber wandeln sie sich vom lästig-peinlichen Muss-Kauf zum lässig-stolzen Vorzeige-Produkt. Alle mal her sehen: Ich bin eine Frau, ich habe eine Vagina, und zu meinem Selbstbewusstsein und -verständnis gehört, dass ich mich mit ihr befasse - und das gern. Oder wie es die Hamburger Kulturwissenschaftlerin und Zeitgeistforscherin Kirstine Fratz formuliert: "Jede Binde kommt heute mit Aloe vera daher, und die Auswahl an Intimwaschlotionen wird immer breiter, von bio bis poppig." Viele der besonders sanften Reinigungs-Formulierungen setzen auf Milchsäure und Zutaten wie Kamille (Vagisan, Sebamed), Cranberry (CD), Salbei (Sagella) oder Kokosnuss (Deo Doc); manche Hersteller haben - quasi als Quickie-Variante - auch Feuchttücher im Angebot (Nivea, Facelle, Carefree).

Für alle, die mehr Zeit an ihrem privaten Hotspot verbringen möchten, gibt’s Spezialpflege satt – auch vegan und 100 Prozent natürlich. Marken wie The Perfect V, Namyaa, Everteen oder Lip Intimate Care versprechen mit Vitaminen, Omega-Fettsäuren und anderen Power-Stoffen mehr Straffheit, Ebenmäßig- und/oder Geschmeidigkeit. Nun kann Frau berechtigterweise einwenden, dass Cremerei in der Gegend überflüssig ist, und es zwischen den Beinen grundsätzlich nichts gibt, was verschönert werden müsste. Es geht dabei aber weder um Schamlippenkorrektur, Fettabsaugung am Venushügel oder sonstige Eingriffe im Sinne der vermeintlichen Selbstoptimierung. Sondern um das Vergnügen, sich mit den "Lady Parts" zu beschäftigen, wie die Region ganz charmant in den USA genannt wird.

Knoblauchzehe

Braucht es überhaupt so viel Pflege und Aufmerksamkeit?

Gern auch in Kombination mit dem Satz "V-time is the new me-time", auf Deutsch etwas holperig: "Zeit mit der Vulva ist die neue Zeit für sich selbst." So sieht das auch Kirstine Fratz: "Wenn man sich um die Vulva kümmert, ist das Selfcare. Der Zone zwischen den Beinen Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu pflegen, hat etwas mit Selbstliebe und Akzeptanz zu tun. Es ist Ausdruck dafür, dass Frauen über jeden Teil ihres Körpers selber bestimmen."

Tatsächlich geht das Lippenbekenntnis manchmal auch arg weit. Two L(i)ps aus Singapur etwa bietet eine eigens für die Vulva angefertigte Sheet-Maske an. Das Spitzenmuster-Teil soll Venushügel plus die Vorderseite der Schamlippen abdecken und mit Aloe vera und Hyaluronsäure erfrischen. Holzkohle ist auch dabei - zum Entgiften. Leider Mumpitz. Genau wie Vagina-Steaming, ein Dampfbad, das, medizinisch gesehen, völlig unnötig ist. Wie viele andere Spezial-Treatments auch. Unser bestes Stück kann in gesundem Zustand gut allein auf sich aufpassen, hält sich per Eigen-Sekret geschmeidig und wird durch das saure Schleimhaut-Milieu selbst mit Bakterien fertig.

Grundsätzlich pflegebedürftig wird die Gegend nur nach der Enthaarung. Dann ist die Haut gereizt und sollte beruhigt werden, außerdem können nachkommende Härchen einwachsen und Pickelchen verursachen. "Ein sanftes Peeling hilft, das zu verhindern", sagt Avonda Nelson Urben; die Dänin hat vor einigen Jahren "The Perfect V" gegründet und sich auf Beauty-Produkte für zwischen den Beinen spezialisiert. "Man sollte es ein bis zwei Mal die Woche benutzen, damit abgestorbene Hautzellen entfernt werden und die Haut weich und strahlend bleibt. Täglich Feuchtigkeitscreme auftragen kann das Einwachsen ebenfalls verhindern."

Getreu dem Motto: Ran an die Vibratoren!

Oder Sie lassen alternativ alles da, wo es nun mal wächst. Schamhaar kann sich ja wieder sehen lassen, und für die Pflege findet sich etwa im Onlineshop Greenglam - ganz hip – ein "Fur Oil". Und wenn wir schon dabei sind, darf das Thema Sex natürlich nicht fehlen - Spielzeug ist ja gerade trendy. Kirstine Fratz sieht die Sache so: "Frauen haben Nachholbedarf, es gibt noch sehr viel unentdecktes Terrain, und dem nähern sie sich spielerisch. Das Zubehör sieht deswegen teils kurios und lustig aus und ist sowohl technisch, als auch was die Materialien angeht, sehr innovativ."

Manches sogar etwas spirituell - unter dem Motto "Spür die Kraft der Kristalle in dir" gibt es Dildos aus Heilsteinen wie Rosenquarz (soll die feminine Ausstrahlung verstärken) oder Bergkristall (steht für Klarheit im Denken und Fühlen). Mehr Drive haben Vibratoren und sonstige Befriedigungs-Helfer, die mittlerweile in die Rubrik Unterhaltungselektronik fallen. Große Elektro-Märkte führen über 100 unterschiedliche Arten von Sextoys. Keine dick geäderten Gummi-Dildos, die brummelig vor sich hin zuckeln, sondern raffinierte Hightech-Apparate in quietschigen Farben und Formen.

Da gibt es pulsierende Stäbe, sogenannte Pulsatoren, und Geräte, die Druckwellen an die Klitoris senden und so Oralsex simulieren. In Werbevideos dafür sieht man Frauen, die wie Superwoman durch die Wolken in ungeahnte Höhen katapultiert werden. "Revolutionäre Technologie für revolutionäre Orgasmen" lautet die Botschaft an alle, die so richtig groß rauskommen wollen - und jetzt dürfen.

Wer über seine Lust redet und sich die Freiheit nimmt, sie sich zu verschaffen, setzt ein Statement.

"Jahrhundertelang war das Thema Masturbation mit Schuld und Schande belegt", sagt Kirstine Fratz. "Dann war es lange ein höchst privater Genuss, und heute lassen sich Frauen ganz offen auf sich selber ein. Wer über seine Lust redet und sich die Freiheit nimmt, sie sich zu verschaffen, setzt ein Statement. Bedenkt man die Wechselwirkungen des Zeitgeistes, wird das wahrscheinlich eine ganz neue Generation von Liebhabern hervorbringen. Frauen wissen heute, zu welcher Ekstase sie fähig sind, und fordern sie auch ein."

Querschläger gibt es allerdings auch. "Vaginal-Straffungs-Zauberstäbe" aus Asien etwa. Kurz vorm Sex einmal rein, raus mit dem Ding - dann soll seine Kräutermischung die Vagina drastisch verengen, "verjüngen" nennen das manche. Tatsächlich trocknet die Mixtur die Schleimhäute extrem aus, sie werden wund und schwellen an. Dr. Jen Gunter, in den USA "The Internet’s Gyn" genannt, hat dazu eine klare Haltung: "Don’t do this, ok?" Verstanden. Experimente im Feuchtgebiet sind toll, aber alles muss ja nicht sein.

BRIGITTE 14/2019

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