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Perfekt, perfekter, Instagram: Was Social Media mit uns macht

Perfektion kann herrlich sein. Doch was passiert, wenn der schöne Schein die Realität überlagert und sich eine ganze Generation virtuell neu erfindet? Viktoria Wanka über die Uniformierung der Digital Natives.

Social Media fing vor ein paar Jahren ganz harmlos an. Es war eine Plattform für Kommunikation, irgendwann mauserte es sich zu einer unterhaltsamen Spielwiese für Blogger. Etwas, das nett nebenher plätscherte, ohne hohe Wogen zu schlagen. Doch die Ruhe kommt vor jedem Sturm und aus dem geruhsamen Plätschern wurde eine haushohe Welle, die uns irgendwann überspülen sollte.

Plötzlich waren die Social-Media-Auftritte eines Bloggers wichtiger als der Blog selbst, und Sabine und Anna von Nebenan nicht mehr nur die Hingucker aus der Dorfdisse, sondern kleine Stars, die eine fünf- bis sechsstellige Reichweite erzielen konnten.

Die neue Entwicklung zeigte uns nicht nur, dass quasi jeder urplötzlich zum gut verdienenden Influencer (Neudeutsch für: jemand, der auf sozialen Kanälen wie Snapchat und Instagram besonders viele Menschen erreicht) werden kann. Sie brachte auch eine neue Form des Perfektionswahn mit sich. Die virtuelle Social-Welt wurde zu einem nie enden wollenden Strom perfekt inszenierter Frühstücks-Bowls und Wohnzimmer mit skandinavischen Möbeln. Hätte man sein Display zu jener Zeit abwischen wollen, hätte es vor Sterilität gequietscht.

Qualität im Social Web kostet Geld


Die Branche änderte sich. Größere Unternehmen kamen auf den Trichter, dass Qualität auch im Social Web Geld kostet. Das wiederum war die positive Kehrseite der Medaille: Endlich wurde man als Influencer ernst genommen und statt mit T-Shirts und Hosen mit Barem bezahlt, was gut war!

Nur: Mit dem nun auch kommerziellen Anspruch auf „authentisch und real“ passierte hier ein grober Denk-Fehler. So richtig authentisch konnte vieles nicht mehr sein, was da täglich ins World Wide Web gepostet wurde. Die Bildsprache wurde immer ähnlicher, unter unzähligen Accounts austauschbar. Einige performten in diesem Einheitsbrei erfolgreicher als andere, manche wurden zu richtigen Stars. Doch mit der Aussicht, mit einer bestimmten Bildsprache maximal erfolgreich zu sein, geschah eine Uniformierung der Auftritte. Platt gesagt: Etwas läuft gut, deswegen machen’s alle.

Wie ein Puzzle ohne Kanten auch nur ein Memory sein kann, bei dem nicht jedes Teil individuell ist sondern mindestens ein identisches Gegenstück hat, so war die neue Perfektion im Web strahlend schön, aber kaum mehr einzigartig.

Die Social-Media-Perfektion funktionierte


Bloggern wie Unternehmen war das erst einmal egal. Die Social-Media-Perfektion funktionierte, entwickelte sich zu noch größerer Reichweite. Ja, so ließ sich Geld machen – und aus der kleinen, zufällig perfekten Welle wurde ein reißender Strudel, in den plötzlich immer mehr Menschen sprangen, um noch ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen.

Heute wird auf allen Kanälen Cellulite retuschiert, Taillen werden geschmälert und Lippen durch Facetune-Apps vergrößert. Zähne werden weißer gemacht und jede Mahlzeit schmackhafter angerichtet als in einem 5 Sterne-Restaurant. Kontraste, Filter und Schärfen sind nur das Sahnehäubchen einer voll korrigierten Normalität. Und das macht etwas mit uns: Der ständige Konsum der inszenierten Realität verschiebt Grenzen, steigert den Leistungsdruck und macht am Ende unzufrieden. Wenn es als „normal“ gilt, dass jemand morgens perfekt geschminkt im Bett liegt und uns mit der Bildunterschrift #WokeUpLikeThis weißmachen will, dass er schon beim ersten Sonnenstrahl perfekt auszusehen pflegt, dann verändert das zwangsläufig unsere Wahrnehmung – unsere Wahrnehmung der anderen und die Wahrnehmung von uns selbst.

Schnauze voll von Perfektion


Aber gut, dass jeder Trend irgendwann seinen Peak erreicht, die hohe Welle bricht und letztlich abebbt. Auf ein anderes Naturgesetz ist ebenso Verlass: Druck erzeugt Gegendruck. So langsam haben wir die Schnauze voll von Perfektion. Was bleibt, ist der ehrliche Wunsch nach Authentizität – weit weg von #WokeUpLikeThis. So hat Designer Moto Guo aus Malaysia seine Models während der „Milano Moda Uomo“ mit pickeligen Gesichtern und Rötungen auf den Laufsteg geschickt, Model Ashley Graham steht selbstbewusst zu ihrer Cellulite und wird dafür gefeiert. Und auch Blogger wie das Mutter-/Tocher-Duo StyleLikeU machen sich stark für die Anti-Perfektion, oder anders gesagt: für die Realität. Keine Illusion, kein Fake, einfach nur du und ich, so wie wir in den Spiegel gucken. Fehlbar, filterlos, mit Makeln und vor allem: menschlich.

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