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Zu Besuch im DDR-Duft-Museum

Zu Besuch im DDR-Duft-Museum
© Sonja Tobias
Welche Schönheitsideale galten für die Frauen in der ehemaligen DDR, welche Kosmetika benutzten sie - und welche Parfüms? Ein kleines Museum bei Dresden bewahrt Begehrtes von damals.

Parfüms sind flüssige Erinnerungen, leider auch sehr flüchtige. Am 9. November 2014 jährte sich der Mauerfall zum 25. Mal. Und bald wird kaum jemand mehr wissen, wie sie denn rochen, die Duftwasser der DDR. Die gab es, aber nicht jeder bekam sie. Oft wurden sie als"Bückware" gehandelt, hervorgekramt unterm Ladentisch. Häufig waren sie nur in den Großstädten zu haben. Oder mit "Vitamin B", Beziehungen. Die begehrtesten Düfte hießen "Schwarzer Samt", "Unter den Linden" oder "Casino de luxe", auch "Duft der Chefsekretärinnen" genannt.

Gut, dass es Kerstin Zimmermann gibt - und ihr kleines privates DDR Duftmuseum in Radebeul bei Dresden. Zwischen Weinbergen, Elbauen, Jugendstilvillen und Straußwirtschaften liegt dieses Juwel. Die wenigsten, selbst in Radebeul, kennen es. Kommen kann jeder, der vorher anruft oder eine Mail schreibt. Der Eintritt ist frei. An diesem Tag sind wir die Einzigen und staunen: ein Raum, 100 Marken, 1000 Flakons, alle geschützt hinter Glas. Die Jalousien sind heruntergelassen, immer. Sonnenlicht verändert Parfüms, und die DDR würde vollends verduften. In 14 Vitrinen schlummern 44 Jahre Duftgeschichte. Hier steht das Edelste, Originellste und Revolutionärste an Kosmetik, was der einstige Arbeiter- und Bauernstaat zu bieten hatte - von Kerstin Zimmermann mühsam erbeutet auf Flohmärkten, bei Haushaltsauflösungen und Auktionen. Vor Jahren hat sie das ehemalige Zimmer ihrer Kinder zum Museum umgebaut. Eigentlich sind ihr Parfüms schnuppe. Sie selbst benutzt kein einziges, aber sie sammelt Flakons, DDR-Flakons. Sie ist nun mal in Ostdeutschland geboren, hier in Dresden: "Ich will vor allem das Design bewahren, das war viel kreativer als sein Ruf." Ihr größter Schatz ist ein gefütterter Koffer, darin: Edelseifen und Parfümflaschen der Serie "Schwarzer Samt" von "Florena".

DDR-Düfte
Ansehen: Das Duftmuseum in Radebeul können Sie nach Anmeldung besuchen (Tel. 03 51/ 880 05 88, kontakt@ddr-parfum.de), der Eintritt ist frei - und Frau Zimmermann freut sich über gespendete DDR-Flakons. Anklicken: Das virtuelle "DDR Duftmuseum 1949-1989" von Monika Jürgens-Winefeld finden Sie auf ddr-duftmuseum-1949-1989.de Kaufen: bei "Casino Parfuem Saxonia Fritzsche & Enders" (Dorfstr. 22, 09496 Marienberg, Tel. 037 35/66 80 55, casino-parfuem.com )
© Sonja Tobias

"Florena" - das war die berühmteste Kosmetikmarke des Ostens und ein Renner im sozialistischen Ausland. Heute gehört sie zum Hamburger Beiersdorf-Konzern. Man lieferte nach Kuba, Angola, Syrien, Afghanistan. Nur nicht in den Westen natürlich. Zuerst hieß die Firma aus dem Erzgebirge nur "VEB Florena Waldheim", später wurde sie mit anderen zu einem Kombinat. Fast alle Düfte hießen nun "Florena", der Name zog.

Und der Koffer "Schwarzer Samt"? Der gehörte mal Hildegard Knef. War ein Geschenk zur "Die Mörder sind unter uns"-Premiere 1946. Die Schauspielerin konnte damit offenbar nichts anfangen und schenkte ihn ihrer Putzfrau. "Die hat ihn dem Sammler verkauft, von dem ich ihn habe. Die meisten Flakons waren attraktive Geschenke, die im Wäscheschrank landeten und daher so gut erhalten sind", erklärt die Sammlerin. "Frauen in der DDR waren unabhängig, gingen arbeiten, hatten es nicht nötig, Männern zu gefallen und Duft aufzulegen."

Dennoch wünschte die Partei: Gepflegt und schön sollte die Genossin sein, die Frau an der Werkbank, die Traktoristin, die Agrarwissenschaftlerin, sportlich, schweißfrei. Gutes Aussehen zeigte die Überlegenheit des Systems. An Hautpflege herrschte kein Mangel. Friseurbesuche waren Pflicht, standen oft sogar im Arbeitsvertrag, Make-up und Parfüm dagegen teuer.

West-Düfte wurden kopiert

"Wir waren auch so schön", sagt die Ostberlinerin Meike Haagen, 49, halb im Scherz. Ihr gehört der Friseursalon "Haarscharf" in Berlin-Mitte, einst sowjetischer Sektor, nun Einzugsgebiet von Ärzten, Anwälten und Architekten. Oft aus dem Westen. Wie viele Frauen in der DDR hat sie früher lange angestanden für West-Düfte. Für West-Mark konnte man die in den "Intershops" kaufen - solange der Vorrat reichte. Überteuert gab es sie seit 1961 auch für Ost-Mark in "Exquisit-Läden". "Für 'Magie Noire' von Lancôme hat man gern sehr lange angestanden. Wenn man Pech hatte, war es aus, ehe man dran war", erzählt sie. Haagens erster Duft war "My Melody" von Mülhens aus Köln. "Das hat so blumig gerochen, nach Schmetterlingen, Sommerwiese - Westen eben." Und die Düfte der DDR? "Die waren immer too much, zu intensiv." Erstaunlich aber, dass ein sozialistischer Staat, in dem doch alle gleich sein sollten, überhaupt Luxusdüfte produzierte. Durfte das sein?

Es musste. Denn wer Glück hatte, bekam ja regelmäßig West-Pakete mit "Tosca" oder "Chloé". Die DDR war keine Insel. Der SED-Staat wollte mithalten und musste zumindest beim Konsum ein paar Freiheiten zugestehen. Und obwohl die Funktionäre die "Effekthascherei" und den "hektischen Modewechsel" des Klassenfeindes im Westen ablehnten, orientierte man sich insgeheim weniger an Moskau als an Düsseldorf und Paris.

Zu Besuch im DDR-Duft-Museum
© Sonja Tobias

Doch das ist Geschichte, und die Geschichte einer Epoche, eines geteilten Landes kann man eben auch mit einer Seife, einem Flakon oder einem Duft nacherzählen. Dafür hat Kerstin Zimmermann ihr Museum aufgebaut. Vor dem Mauerbau, sagt sie, rochen Düfte nach Freiheit, Fernweh und weiter Welt - und sie hießen auch so: "Chinaseide", "Tokoyo", "Japanische Kirschblüte", "Indisch Lotos", "Lahore" oder "Moulin Rouge" mit Eiffelturm als Flakon. "Nach dem Krieg wollte man den Leuten etwas Luxus bieten", erklärt die Sächsin. "Da gab es die Hoffnung noch, dass die Leute mal rauskommen aus diesem Land."

Als sich das änderte und die Bürger der DDR mit Mauern und Maschendraht an der Republikflucht gehindert werden mussten, rochen Parfüms nach Maiglöckchen, Veilchen, Flieder, Linde. Sie hießen schlicht "Poesie" oder "Plauener Spitze". Oder sie trugen russische Namen wie "Alissa", "Meishov", "Baikal", „Russisch Kölnisch Wasser". Doch das ging nicht lange gut. "Je mehr es bei uns kriselte, desto mehr hat man rüber in den Westen geguckt."

Darauf mussten auch die Entwickler der Parfüms reagieren. Die SED gab einen Jugendduft in Auftrag: "Action" hieß er, rosa-schwarze Metallic-Dose, 80er-Jahre-Chic. Wer kein West-Parfüm hatte, wollte in der Disco wenigstens so riechen, fruchtig-animalisch, ein gewagter Mix. Das Deo war ein Renner - und wird heute neu auflegt. Von Gabriele Fritzsche in Pobershau im Erzgebirge. Sie besitzt eine Parfümerie, "war Musterschülerin in Chemie" und wollte eigentlich Design studieren. Nun bringt die 52-Jährige Kult-Düfte aus Sachsen wie "Action" oder "Casino de luxe" in Originalrezeptur heraus. "Made in Saxonia" steht drauf, nicht "in Germany". Sie sehen aus wie früher - und duften auch so. Bestellen kann man sie z. B. über Ossiladen.de . "Viele halten mich für verrückt", sagt Gabriele Fritzsche, "aber wir haben uns so klein gemacht, ich wollte mit den Düften unser Selbstbewusstsein zurückbringen. Ost, West, das sind für mich alles Himmelsrichtungen. Ich hätte das Gleiche für '4711' getan. "

Erfunden wurde "Action" wie fast alle DDR-Düfte im Chemiekombinat Miltitz bei Leipzig. Chefparfümeur war Günter Feustel, heute 82 und seit 2004 in Rente. "Casino de luxe" hat er komponiert, "Action", "Frische Brise" und "Badusan", das legendäre Schaumbad des Ostens. "Wie auch unsere Modebranche waren wir immer etwas hinterher", sagt er im MDR dem Dokumentarfilmer Wilhelm Domke-Schulz. "Wir mussten erst mal abwarten, was im Westen modern war." Oft bemühte man sich nicht einmal zu verbergen, dass man kopierte, Düfte und Verpackungsideen stahl - so wie bei Kerstin Zimmermanns kuriosem Flakon "Chanett". Von Weitem liest es sich wie der berühmteste Duft aller Zeiten.

Was Parfümeuren der DDR auf Messen und auch sonst an West-Düften in die Hände fiel, wurde analysiert und imitiert, so gut es ging. Aber anders als der Klassenfeind konnte Supernase Feustel nur mit 600 bis 700 Duftnoten arbeiten, gerade mal der Hälfte. Das paranoide SED-Regime, dessen Staatssicherheit sogar tausende Duftproben seiner Regimefeinde in Einweckgläsern sammelte, muss Mode und Kosmetik immer als Bedrohung empfunden haben. Führten sie ihm doch Tag für Tag vor, dass sich vieles steuern, planen, überwachen lässt - nur nicht der Geschmack.

Kerstin Zimmermann wird weiterhin kein Parfüm auflegen, dabei liebt sie Düfte: Blumen, Pferde, selbst Schmieröl. Und wie, fragen wir zum Schluss, riecht es ihrer Meinung nach in ihrem Museum? Sie lacht. "Ehrlich gesagt, wie die Handtasche einer alten Dame, in der viele Flakons ausgelaufen sind."

Text: Viola Keeve BRIGITTE 21/2014

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