"Cremen Sie nur auf die Haut, was Sie auch essen könnten", sagt Dr. Anthony Alkaitis, Wissenschaftler in Los Angeles und Gründer einer kleinen Bio-Kosmetikmarke, die unter Stars und Profi-Visagisten zum heißen Tipp geworden ist. Anfangs wollte der Chemiker und Pflanzenexperte nur seiner Frau beweisen, dass es wirksame Kosmetik ohne synthetische Zutaten, Konservierungsstoffe oder Mineralöle geben kann, und fing an, Rezepturen zu entwickeln. Doch es dauerte nicht lange, da wurde daraus eine professionelle Sache, und nun gehören Cremes, Lotions, Masken und vieles mehr zu seiner Marke "Dr. Alkaitis". Produkte, die wir - rein theoretisch - auch aus dem Tiegel wie ein Dessert löffeln können. Seine konsequente Ansage sollte zwar nicht gleich befolgt werden, doch Dr. Alkaitis bringt einen Trend genau auf den Punkt: Zusammen mit dem allgemein wachsenden Bedürfnis, auf Ernährung zu achten, Bio einzukaufen und auf IndustrieLebensmittel mit verstecktem Zucker, Geschmacksverstärkern oder chemischen Farb- und Konservierungsstoffen zu verzichten, wächst auch das Interesse an den Inhaltsstoffen in Kosmetik - wie die aktuellen Diskussionen über Aluminium in Deos oder hormonell wirksame Stoffe in Cremes zeigen.
So wie Bio-Lebensmittel sich von der Nische in die Supermarktregale verbreitet haben, wird auch der Markt der Naturkosmetik größer. 2013 ist er im Vergleich zum Vorjahr um 12 Prozent gewachsen. Insgesamt rund 920 Millionen Euro hat das Segment erwirtschaftet, rund sieben Prozent vom Gesamtumsatz der Beauty-Branche. Die Apothekerin und Pflanzenexpertin Christina Kraus erlebt den Naturboom jeden Tag. Ihr Online-Shop Greenglam läuft so gut, dass die in Augsburg lebende Schwedin gleich noch eine Boutique für Natur-Beauty eröffnete. "Erst beschäftigen die Leute sich damit, was sie essen, dann damit, was sie auf die Haut auftragen", bestätigt sie. Dabei gehören schon lange nicht mehr nur die sogenannten "Lohas" (engl. "Lifestyle of Health and Sustainability", Leute, die einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil pflegen) zu den Kunden. Inzwischen wird in jedem fünften Haushalt beim Einkauf zu grüner Pflege gegriffen, sagt Elfriede Dambacher, die Herausgeberin des NaturkosmetikBranchenreports. Doch der Trend hat auch eine verwirrende Seite. Viele Anbieter, die keine echte Naturkosmetik herstellen, vermarkten ihre Produkte mit freien Formulierungen wie zum Beispiel "inspiriert von der Natur". "Die Kundin kann beim ersten Blick auf die Verpackung leider nicht den Unterschied erkennen", sagt Julie Tyrell, EU-Beauftragte in Brüssel für das Naturkosmetik-Siegel Natrue.
Tyrell bekommt durch ihre Arbeit hautnah mit, wie hart umkämpft der Markt ist. "Viele Firmen wollen ein Stück vom Kuchen. Das Problem ist, dass es international keine einheitliche Definition für Naturkosmetik gibt. Viele Tuben und Tiegel mit einem Blümchen auf der Verpackung sind allenfalls naturnah, aber keine reine Natur- oder Bio-Kosmetik", weiß die Expertin. Solche Produkte erfüllen die Kriterien der bekannten Gütesiegel wie Natrue, Ecocert oder BDIH nicht. Julie Tyrell sitzt in einer internationalen Kommission, die an einem Report für die Regelung und Eingrenzung von irreführenden Werbeversprechen arbeitet. Doch vorerst hilft beim Kauf nur, auf die Gütesiegel zu achten. Weil es hier um Werte wie Vertrauen, Nachhaltigkeit und Transparenz geht, fangen nun größere Hersteller an, das Thema ernst zu nehmen und echte Naturkosmetik zu entwickeln und zertifizieren zu lassen, wie zum Beispiel Douglas mit seiner neuen Linie "Naturals". Die Naturkosmetik-Hersteller zeigen sich selbstbewusst. "Wir können sehr viel, so ist die neue Haltung", sagt Christina Kraus, "ob für die Haut, die Haare oder das Make-up."
"Die Kundin, die Natur-Beauty vor 20 oder 30 Jahren entdeckt hat, ist mit uns älter geworden und hat höhere Ansprüche", sagt Klara Ahlers, Geschäftsführerin von Laverana. "Pflege für die Haut ab 45 oder 50 Jahre wird immer wichtiger." Viele pflanzliche Extrakte, zum Beispiel aus Granatapfel, Rosenblüten, Sanddornbeeren oder Aprikosen, schützen die Haut gegen zellschädliche freie Radikale, weil ihre Flavonoide und Vitamine eine antioxidative Wirkung haben.
Das milde Bio-Shampoo genügt vielen Kundinnen nicht mehr. "Haare sind ein großes Thema in unserer Forschung und Entwicklung", sagt Klara Ahlers. "Die Haarpflege hat bislang etwa 12 bis 16 Prozent Marktanteil bei den NaturkosmetikHerstellern. Das ist ausbaufähig." Neues gibt es für mehr Volumen und Glanz. Spezialprodukte wie Fluids, Spülungen oder Kuren sollen angegriffene Spitzen reparieren, dünnes Haar voller erscheinen lassen und stumpfes wieder zum Leuchten bringen - ohne Silikone, die sich als künstlicher Glanzverstärker wie ein Film über die Haare legen und sie versiegeln, oder PEGEmulgatoren, welche die Haut durchlässiger für Schadstoffe machen können.
Auch die dekorative Kosmetik steht in vielen Labors zunehmend im Fokus und wird immer weiter ausgebaut. "Wir arbeiten vor allem an der Verbesserung von Texturen", verrät Klara Ahlers. Und Christina Kraus kann nur bestätigen: "Teintkorrigierende BB- oder CCCreams gehören bei vielen Herstellern schon lange zum Angebot." Nun kommen auch federleichte Mousse-Cremes hinzu, die Bürstchen der Mascaras werden optimiert, und die Farbpaletten der Make-ups strahlen mehr und mehr.
Ob Weleda, Dr. Hauschka, Annemarie Börlind oder manche Nischen-BeautyFirmen: "Hinter vielen Marken stecken leidenschaftliche Gründer mit viel Wissen und Erfahrung, die sich lange mit Pflanzenwirkstoffen beschäftigt haben, bevor sie in die Produktentwicklung gegangen sind", schwärmt Christina Kraus. Dazu gehört auch die Engländerin Margo Marrone: Sie hat viele Jahre Pharmazie studiert und eine Homöopathie-Ausbildung gemacht, bevor sie "The Organic Pharmacy" gründete. Oder Dr. Alkaitis, der auf eine langjährige Karriere als Chemiker zurückblickt und zum Beispiel auch an der Forschung von mehreren mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Projekten beteiligt war.
Naturkosmetik ist nur was für Stricksockenträger und riecht komisch - dieses Vorurteil ist lange überholt. Und nicht nur das: Hochwertige Marken wie das Schweizer Unternehmen Annané oder Grown Alchemist aus Australien haben die Edelkaufhäuser erobert. Duftliebhaber überzeugt Olivia Giacobetti, Kreativ-Direktorin beim Parfümhaus Lubin, mit ihrer eigenen Bio-Parfümlinie "Honoré des Prés". Der österreichische Friseur Hannes Trummer entwickelte mit der Chemikerin und Aroma-Therapeutin Doris Brandhuber eine HaarpflegeLinie, die aus zertifizierten organischen Pflanzenstoffen besteht und wunderbar duftet. Die amerikanische Make-up-Linie von Ilia Beauty schaffte es bis ins Regal des Pariser Kult-Kaufhauses Colette (auch online erhältlich).
Nicht nur beim Thema Ernährung zeigt sich seit Längerem der Trend, gänzlich auf Produkte mit tierischen Erzeugnissen zu verzichten - auch in der Kosmetik wächst das Interesse an veganen Produkten. Dabei spielen vor allem ethische Gründe eine Rolle. Die Hersteller reagieren prompt mit neuen Produkten, die ganz ohne Honig, Bienenwachs, Milchproteine oder andere tierische Zutaten auskommen. Auf der Website Kosmetik-vegan.de findet man eine Übersicht veganer Produkte, vom Nagellack bis zur Zahncreme.