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Plastikmüll: Eine Müllabfuhr für die Meere

Jedes Jahr landen mehrere Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen. BRIGITTE-Autorin Christa Möller hat ein deutsches Projekt begleitet, das bereits viele Unterstützer gewonnen hat - auch aus der Kosmetikbranche.

Eine stürmische Nacht im April mit Orkanböen und meterhohen Wellen, weit draußen vor der Küste, irgendwo zwischen Seattle und San Francisco. Günther Bonin, IT-Spezialist und Segler aus Leidenschaft, war mit dem Boot eines Freundes unterwegs - keine gute Jahreszeit für diese Tour. "Gegen Morgen hatte sich der Sturm endlich gelegt", erzählt Bonin, "alles war wieder ruhig und friedlich. Grauwale kamen uns entgegen. Und wir segelten durch die Müllspur eines Frachters. Nichts Besonderes eigentlich, es schwammen so etwa zehn Plastiktüten mit Essensresten herum. Aber dieses Bild ließ mich nicht mehr los. Wie viele tausend Schiffe hatten heute Nacht ihren Müll ins Meer gekippt? Ich ging an Land und fing zu recherchieren an." Das war 2008.

Plastikmüll: Porträt von Günther Boning
Aktivist Günther Bonin hat den Katamaran für 600 000 Euro bauen lassen.
© Sonja Tobias

10 Jahre später ...

... steht der hochgewachsene Wahl-Münchner mit einem Sektglas in der Hand im "Maritimen Museum" von Hongkong vor etwa 100 geladenen Gästen aus Wirtschaft, Politik und von verschiedenen Umweltorganisationen. Neben ihm Gastgeber Stefan Mulder, Vice President und Entwicklungschef der Körperpflegemarke CD, sowie Schauspielerin Katja Riemann, Gesicht des Labels.

Plastikmüll: Katja Riemann und Dr. Rüdiger Stöhr
Schauspielerin Katja Riemann ist als CD-Marken-Botschafterin mit an Bord, der Biologe Dr. Rüdiger Stöhr gehört zum Team auf der "Seekuh".
© Sonja Tobias

Kennengelernt haben sich die beiden Männer, als Stefan Mulder auf der Suche nach Menschen war, die die Welt ein wenig besser machen: "Echte Helden", die er auf der CD-Homepage vorstellt. Günther Bonin faszinierte ihn sofort: „Er ist ein Macher und packt die Probleme einfach an. Er hatte aber keine öffentliche Wahrnehmung. Deshalb haben wir versucht, soweit es in unserer Macht steht, ihn in die Öffentlichkeit zu tragen.“ Seitdem sponsert die Firma Bonins Projekt - und hilft ihm auch mit diesem Empfang, weitere Unterstützer zu finden, die er dringend braucht

Mikroplastik in Kosmetik

Mikroplastik-Partikel werden vor allem in einigen Peelings und Waschgelen eingesetzt. "Der Anteil der Kosmetik am Gesamtaufkommen ist jedoch gering", sagt Verena Bax vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Das meiste produziere in Deutschland der Abrieb von Reifen. "Trotzdem landen laut neuer Hochrechnungen des Fraunhofer Instituts durch Beauty-Produkte jährlich 1608 Tonnen im deutschen Abwassersystem. Ins Meer gelangt davon nur ein sehr kleiner Teil.“ Um das zu vermeiden, hat sich die Industrie freiwillig dazu verpflichtet, auf abzuspülende Mikroplastik-Partikel in ihren Produkten zu verzichten und sich dafür bis 2020 Zeit gegeben. Laut Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) ist das Vorhaben größtenteils schon umgesetzt.

Naturkosmetikhersteller oder Firmen wie CD haben ohnehin nie Kunststoffpartikel verwendet. Doch auch Plastik in gelöster, gelartiger und flüssiger Form ist in der Kritik. Dieses sorgt bei Make-up etwa für gute Deckkraft. Der IKW sieht darin kein Problem, da diese Verbindungen auch überwiegend in Kläranlagen herausgefiltert würden und in Gewässern nicht nachgewiesen seien. Umweltverbände wie der Nabu und Greenpeace fordern trotzdem strengere Zulassungsregularien, da die Inhaltsstoffe schwer abbaubar seien und es noch keine Langzeitstudien über ihre Wirkung in Gewässern gäbe. Auch das Umweltbundesamt empfiehlt, dass Kosmetik so wenig schwer abbaubare Stoffe wie möglich enthalten sollte.

Bald mehr Plastikmüll als Fische?

Wie bedrohlich die Verschmutzung der Ozeane ist, hat Günther Bonin schon 2008, bei seiner ersten Recherche, erkannt. Und der Prozess schreitet fort: Über 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden weltweit pro Jahr produziert, bis zu 13 Millionen davon landen im Meer, wo Wind, Wellen, Salzwasser und Sonne ihn in immer kleinere Stücke zerlegen, die von Fischen und Seevögeln gefressen oder an ihre Jungen verfüttert werden. Viele Tiere verhungern, den Bauch prall gefüllt mit dem Abfall. Selbst das sogenannte Mikroplastik, Teilchen mit einem Durchmesser von unter fünf Millimetern, nehmen sie auf, da sie es mit Plankton verwechseln und aus dem Wasser filtern.

Am Ende kann es dann auf unseren Tellern landen - inklusive der darin enthaltenen Weichmacher und aller möglichen Giftstoffe, die Plastik wie ein Magnet anzieht. Der meiste Müll wird aus den Städten über die Flüsse in die Meere gebracht. Recycling-Raten sind bisher überall niedrig, selbst in der Europäischen Union nur bei etwa 30 Prozent. "Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoffe herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische“, warnte unlängst Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission.

Die "Seehkuh": Ein nach Plastikmüll-fischender Katamaran

2011 schließlich gründete Günther Bonin den Verein "One Earth - One Ocean", ließ seine IT-Firma sausen, suchte Sponsoren und stellte ein Expertenteam aus Meeresbiologen und Schiffskonstrukteuren zusammen, das für 600 000 Euro den Prototyp für einen plastikfischenden Katamaran entwickelte: die "Seekuh". Mit ihr will Bonin Plastik aus dem Meer holen, bevor es mikrofein auf den Boden sinkt, es sortieren und recyceln.

Plastikmüll: Die Seekuh
Die "Seekuh" kann mit ihrem Netz Plastik und anderen Müll in bis zu vier Meter Tiefe abfischen.
© Sonja Tobias

Die "Seekuh" lief 2016 aus der Lübecker Werft, um erste Erfahrungen auf der Ostsee zu sammeln. Während das bei San Francisco getestete Projekt "The Ocean Cleanup" des jungen Niederländers Boyan Slat den Müllteppich mithilfe eines 600 Meter langen schwimmenden Rohres aufsammelt, an dem eine Art Vorhang ins Wasser hängt, ist zwischen die beiden Rümpfe der "Seekuh" ein Netz gespannt, das Plastik bis in vier Meter Tiefe abfischen kann. Dabei fährt sie nur in Schrittgeschwindigkeit, damit Fische ausweichen können. Da der mit Abstand größte Plastikmüll-Hotspot aber in Asien liegt, wurde sie nach Hongkong verschifft und soll in den besonders verdreckten Hafenstädten für eine ganze "Seekuh"-Flotte werben.

Mit an Bord ist der Biologe Dr. Rüdiger Stöhr, einer der Mitarbeiter des Vereins. Er untersucht Mikroplastik aus der ganzen Welt und wird dafür von einer Reederei regelmäßig mit Wasserproben von genau festgelegten Routen versorgt. Konkrete Zahlen will er zwar erst nach weiteren Analysen nennen, aber er sieht bereits jetzt einen alarmierenden Anstieg der kleinen Partikel im Wasser. "Mit Kunststoff ist eine neue Qualität in die Welt gekommen, ein Material, das sich praktisch nicht abbaut“, erklärt Stöhr.

Strände frei von Plastikmüll mit "Beach Clean Up"

Plastikmüll: Beach Clean Up
Mimi Law beim "Beach Clean Up" auf Lantau, der größten Hongkong-Insel.
© Sonja Tobias

Die Wellen plätschern an den feinen Sand in der Bucht von Lantau, der größten der 263 Hongkong-Inseln. Ein Pfad führt am Meer entlang. Eigentlich ein idyllischer Platz, wäre da nicht der Flutsaum. Muschelschalen und leere Schneckengehäuse liegen hier, von Fischen angeknabberte Trinkhalme, dazu Feuerzeuge, Angelleinen, Eislöffel, Wasserflaschen, aufgerissene Ketchup-Tütchen, Spritzen und Plastikbruchstücke in allen Farben und Größen.

Plastikmüll: Porträt von Dana Winograd
Dana Winograd von "Plastic Free Seas" hat das Aufräumen organisiert.
© Sonja Tobias

Etwa 20 Frauen und Männer haben sich am Strand zum "Beach Clean Up" getroffen, veranstaltet von der Organisation "Plastic Free Seas". Sie kommen regelmäßig hierher, um Müll einzusammeln, mindestens einmal im Monat, bei Bedarf auch öfter. Günther Bonin hat einige von ihnen beim Empfang kennengelernt, weshalb er mit der "Seekuh" gekommen ist, um zu helfen. Netzwerken gehört zu seinem täglichen Geschäft. Außerdem ist die lokale Presse da - auch gute Taten brauchen Werbung.

Warum gerade in China so viel Plastikmüll im Meer landet

Dana Winograd, Director Operations der Charity-Organisation, verteilt Säcke und Baumwollhandschuhe. An normalen Tagen füllt die Gruppe bis zu 100 Säcke, nach dem letzten Taifun waren es über 900.

Plastikmüll: Angelschnüre
Angelschnüre aus Plastik landen als Unrat am Strand.
© Sonja Tobias

Aber Aufheben allein reicht nicht, sagt Dana, es kommt ja jeden Tag neues Plastik dazu. Jetzt organisiert sie Spenden-Aktionen, um Flyer und Info-Kurse anbieten zu können. Ihre Kollegin Mimi Law vermittelt ab sofort Schulkindern auf Kantonesisch einen umweltbewussteren Umgang mit Plastik. Warum landet gerade in China so viel Plastik im Meer? "Wir haben einen Wegwerf-Lifestyle", sagt Mimi. "In Hongkong arbeiten alle sehr viel und lange. Man trinkt Tea to go, kauft verpacktes Fast Food und Lunchboxen aus Plastik, ohne darüber nachzudenken." 

Auch der Tourismus hat seinen Anteil - und Südostasien bisher kein funktionierendes Abfallmanagement. Viele Menschen sind bitterarm und haben ganz andere Sorgen. Günther Bonin ist überzeugt: "Wenn wir Menschen Geld fürs Sammeln von Plastikmüll geben, ist das Problem bald gelöst - wir brauchen endlich einen Markt für Müll.“

Die maritime Müllabfuhr hat großes Zukunfts-Potenzial

An einigen Orten klappt das schon, in Kambodscha zum Beispiel gibt es ein Recyclingwerk, das für gesammeltes und vorsortiertes Plastik bezahlt. Schließlich ist es ein Wertstoff. Günther Bonins Vision: Ferngesteuerte Katamarane, ähnlich wie seine "Seekuh", sollen mithilfe von Wind- und Solarenergie die Küstenlinien reinigen. Sind die Netze voll, werden sie verschlossen und mit Bojen und Peilsendern versehen. Ihre Position wird an den "Seefarmer", einen umgebauten Fischkutter, übertragen, der die vollen Netze einsammelt und zum Recyclingschi , dem "Seeelefanten", bringt.

Plastikmüll: Seekuh
Die "Seekuh" und andere Projekte werden deshalb von CD unterstützt und unter "Echte Helden" auf www.cd-koerperpflege.de/das- reine-leben vorgestellt. CD hat ein eigenes "Reinheitsgebot", verzichtet auf Kunststoffpartikel sowie bei neuen Produkten auf Flüssigplastik.
© Sonja Tobias

Dort wird die Fracht dann sortiert und zu schwefelfreiem Heizöl verarbeitet. "Das ist eine ökonomische Nische, die maritime Müllabfuhr kann ein Milliardenmarkt werden", sagt Bonin. "Vor zehn Jahren haben mich die Leute noch ausgelacht, das war mir egal, ich wusste immer, dass das Thema kommen wird." Um mehr Schiffe bauen und Regierungen überzeugen zu können, braucht der Verein allerdings noch viel, viel mehr Mittel. "Aber Geldauftreiben“, sagt Günther Bonin lachend, "das kann ich."

CD Heldenreise - Die mobile Müllabfuhr:

Hier bekommt ihr noch mehr Einblicke in die Arbeit von One Earth – One Ocean e.V.:

Fallback-Bild
Plastikmüll: Rettungsreifen mit Schriftzug "Seekuh"
© Sonja Tobias

Wer an Günther Bonins Projekt spenden möchte: 
One Earth – One Ocean e. V. IBAN: DE47 7016 3370 0004 1108 70 Volksbank Raiffeisenbank FFB
BRIGITTE 22/2018

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