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Dr. Pimple Popper & Co.: Warum Hautunreinheiten jetzt Internet-Stars sind 💁🏼

Frau mit Pickel im Gesicht
© Shutterstock/George Rudy
Das öffentliche Beseitigen von Mitessern und Co. ist gesellschaftsfähig geworden - in jeder Pore lauert ein Internet-Star mit Videopräsenz. Für sensible Naturen und schwache Nerven sind diese Filme nichts.

Pimplepoppen? Habe ich richtig gehört, Dr. Martina Hund hat mir einen Termin zum Pimplepoppen vorgeschlagen? Ich wollte eigentlich in der Praxis vorstellig werden, damit meine Haut gründlich bis in die letzte Pore von Talg und sonstigen Verstopfungen gereinigt wird. Selber an sich herumdrücken soll man ja nicht. Aber ob pimplegepoppt werden eine adäquate Alternative ist?

Ich schweige das Telefon skeptisch an. "Sagt dir wohl nichts?", fragt meine Der­matologin am anderen Ende amüsiert. "Ist total hip. Google mal!" Das mache ich und finde eine Lady, die sich "Dr. Pimple Popper" nennt, was so viel wie "Dr. Pickelöffner" heißt, im richtigen Leben Dr. Sarah Lee, Hautärztin aus Kalifornien. Ihre Spezialität: das Beseitigen von Haut­unerfreulichkeiten. Was auch immer sich in den Poren ihrer Patienten angesammelt hat: Dr. Lee nimmt sich aller Inhalte an - ihr Youtube-­Kanal ist voller Filmchen mit Druck-­Erzeugnissen organischer Art.

Titel wie "Die Mitesser-Goldmine" verdeutlichen, wohin die Reise geht.

Rund zwei Millionen Abonnenten begeistern sich für Werke wie "Einer kam sauber raus", "Die Rückkehr der Po­-Zyste" oder "Die Mitesser-­Goldmine". Ernsthaft. Es existieren über 200 solcher Splatter­-Movies, bei denen Talg und anderer Körperschmodder zäh heraus­ wurstelt - oder eruptiv gegen Mundschutz und Schutzbrille spritzt. Bei allem, was da hochkommt, kann es einem wirklich hochkommen. Findet auch Kirstine Fratz, Mitinhaberin der Trend­-Agentur "Zeitgeist", an die ich eine Mail mit Bitte um Einschätzung des Pimple-­Pop­-Phänomens geschickt habe. Samt Youtube-­Link. Die Hamburger Kulturwissenschaftlerin ist ebenso angewi­dert, überrascht und interessiert wie ich. "Habe mir die Videos durch gespreizte Finger angeschaut wie einen Horrorfilm", schreibt sie und wagt eine erste Diagnose: "Pimplepopping ist eine direkte und vollständige Beseitigung von etwas, das weg muss, und damit irgendwie befriedigend."

Ein Beispiel-Video seht ihr hier:

Tatsächlich führen viele Wege nach "Pore frei!"

Kirstine Fratz will diese These näher mit ihren Studenten analysieren; sie ist als Dozentin an der Hamburger Design Factory engagiert, Fachgebiet "Trend Research". Und Trend ist das Thema alle­ mal - dazu absolut massentauglich. Jeder kann mitreden, ­machen, ­filmen. Nicht nur theoretisch, wie mir Dr. Hund in ihrer Berliner Praxis erklärt: "Unsere Poren sind wie kleine Röhren, die bis in die Unterhaut reichen, von innen mit Oberhaut ausgekleidet. So wie die Haut an der Oberfläche abschilfert, so schilfert sie auch in den Poren ab. Bestenfalls kommen die abgestorbenen Zellen an die Oberfläche, schlimmstenfalls verstopfen sie den Kanal. Wird dann viel Talg produziert, entsteht ein Pfropf aus Zellresten und Talg, sichtbar als Mitesser." Die seien nicht krankhaft, stellt sie klar. "Aber durchs Ausreinigen strahlt die Haut mehr. Zudem können sich in einer verstopften Pore Bakterien vermehren. Sie ernähren sich von Talg und Hautschüppchen und scheiden saure Verdauungsprodukte aus - auch um Entzündungen und Pickelbildung vorzubeugen, sollten Mitesser behandelt werden."

Verstehe. Es wäre wirklich zu unbefriedigend, die Dinger einfach in Ruhe zu lassen. Ich erfahre weiter, dass es geschlossene und offene Mitesser gibt. Die geschlossenen zeigen sich als kleines weißes Kügelchen, sichtbar, wenn man die Haut leicht auseinanderzieht, und lassen sich nicht ohne Weiteres entfernen, da sie von Haut bedeckt sind. Die offenen erkennt man am dunklen Kopf - sie kommen leichter raus. Und spektakulärer, wie wir dank "Dr. Pimple Popper"-Filmen wissen. Zu Hause kann man das mit allerlei Hilfsmitteln forcieren, darunter elektrische oder mechanische Minisauger, die per Vakuum die Poren zur Freigabe zwingen; Masken, die auf dem Gesicht trocknen und beim Abziehen den Dreck aus den Poren mitnehmen sollen; Strips mit demselben Effekt zum Aufkleben und Abziehen. Originell finde ich einen sich selbst erwärmenden Balsam aus Korea, der die Haut weich machen und sie nach dem Verdrücken mit Ei-Extrakt beruhigen soll. Was das auch immer bringen mag.

Fett weg! Wer Pickel ausdrückt, muss auf Hygiene achten. Sonst kann sich die Haut entzünden.


Eher traditionell, aber nicht minder populär: das Gesicht über einem Dampfbad soften und dann professionelles Werkzeug ansetzen - Mitesser-Extraktoren aus Metall gibt es in vielen Online-Shops und Parfümerien schon für wenige Euro. An dieser Stelle runzelt Dermatologin Hund die Stirn und blickt streng über die randlose Brille. "Hmm. So ein Vorgehen hört der Hautarzt ungern. Danach kann es zu Narben, bleibenden Quetschmarken, Pigmentverschiebungen und Entzündungen kommen, das passiert sogar sehr oft", sagt sie. "Grundsätzlich sollte man oberhalb der Lippe nie im Gesicht herumquetschen. Es besteht das Risiko einer bakteriellen Infektion, die über Nerven-, Lymph- und Blutgefäße bis ins Hirn vordringen kann."
Oh! My! God! Wie man im Mutterland der Pimplepopper jetzt kreischen würde. Das sind ja krasse Aussichten: Pflegefall durch Pflegeanfall! "So weit kommt es eher sehr selten", beruhigt die Fachfrau, deren Pflicht und Anliegen es nun mal ist, bei jeder Behandlung stets auf alle erdenklichen Risiken hinzuweisen. "Aber wenn Furunkel in der oberen Gesichtshälfte auftreten, ist das ein Befund zur stationären Aufnahme für intravenöse Antibiotika und Anti-Thrombose-Therapie“.

Auch Dermatologen können dem Reinemachen etwas abgewinnen

Okay, verstanden. So weit lassen wir es natürlich gar nicht erst kommen - und wehren den Anfängen. Wie am besten, Frau Doktor? "Mit fruchtsäure- oder retinolhaltigen Pflegeserien, sie unterstützen die Haut bei der Abschilferung; Durch das Freiräumen der Poren kann der Talg abfließen. Vorbeugen lässt sich auch mit Peelings, aber bitte nicht, wenn Pickelchen da sind! Deren Bakterien verteilen sich durch das Reiben erst recht. Dann besser erst Rücksprache mit dem Hautarzt halten." In schweren Fällen verschreibe sie "Isotretinoin"-Tabletten, sagt Dr. Hund. Der Vitamin-A-Abkömmling schilfere Hautzellen massiv ab und verringere gleichzeitig die Talgproduktion - und das nachhaltig nach Absetzen der Therapie. Ansonsten müsse man dranbleiben, denn: "Die Pore geht ja durchs Ausdrücken nicht weg, und die Haut erneuert sich rund um die Uhr. Es sammeln sich also wieder abgestorbene Schüppchen, sie treffen auf Talg, und es geht wieder von vorn los." Als sie mich verabschiedet, gesteht sie mit einem Schmunzeln: "Es ist übrigens auch für Dermatologen befriedigend, Poren sauber zu machen - man sieht sofort Ergebnisse, konnte ohne langwierige Therapie etwas erledigen."

Auf Ekel folgt Erlösung - alles wieder gut.

Ah! Das deckt sich mit der ersten Einschätzung von Trend-Expertin Kirstine Fratz. Sie hat inzwischen noch weitere Gedanken parat. "Ich persönlich habe mich gefragt, ob nicht das Ausmaß von Ekel, das wir bei diesen Bildern empfinden, signifikant dafür ist, dass wir heute kaum noch etwas Ekeliges sehen? Unsere Wahrnehmung ist daran nicht mehr gewöhnt, sie wird herausgefordert, und das Gefühl genießen wir irgendwie", schreibt sie in einer Mail nach der Session mit ihren Studenten - an der alle großen Spaß hatten.

Das Fazit: "Beim Anschauen dieser Videos gibt es eine große emotionale Schleife: erst Ekel, dann intensives Nicht-Hinschauen-Können und dann die Erlösung - alles ist wieder in Ordnung. Der Weg dahin ist direkt und nachvollziehbar, das ist wohltuend in einer komplexen Welt, in der Ursache und Wirkung so vielschichtig geworden sind." Es einfach mal gut sein lassen: Das also steckt also hinter dem Phänomen Pimplepoppen. Geschichten mit garantiertem Happy End! Ansehen werde ich mir das nicht, ansonsten bin ich dabei.

BRIGITTE 22/17

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