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Buch "Fuck Beauty": "Jede Frau hat das Recht, sich schön zu finden"

Buch "Fuck Beauty": "Jede Frau hat das Recht, sich schön zu finden"
© Pamela Rußmann
Nunu Kaller hat mit "Fuck Beauty" ein sehr kluges und spannendes Buch darüber geschrieben, wie sie gelernt hat sich selbst zu lieben. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
von Tina Epking

Dein Buch heißt "Fuck Beauty". Warum?

Mir geht es um die ganze Beauty-Industrie. Zum Beispiel das, was man auf Instagram sieht, Frauen, die kiloweise Make-up tragen, die Filter benutzen, die Fotos bearbeiten – und dass das als Ideal dargestellt wird. Es geht mit um die Veränderung der Bilder, dass wir das Echte nicht mehr sehen und so auch keine echte Schönheit mehr sehen können. 

Du selbst hast mit deinem Aussehen sehr lange gehadert. Warum?

Das Buch war für mich ein Weg, die unterschiedlichen Gründe dafür herzuleiten. Ich bin sehr groß, ich bin leicht übergewichtig – und zwar schon immer gewesen. Ich bin in meiner ganzen Art extrovertiert, eher laut. Ich habe mich immer als zu groß, zu laut, zu dick, zu plump, zu laut, zu hässlich empfunden. Natürlich hat das extrem viel damit zu tun, wie ich sozialisiert wurde. Zusätzlich ist das Bild, das von den Medien entworfen wird, ein sehr schwieriges, dem sehr viele Frauen nicht entsprechen können. Außerdem bin ich ein sehr großer Fan von Naomi Wolf, ihr Buch "Der Mythos Schönheit" sollte jede Frau gelesen haben.

Warum?

Sie seziert ganz klar, welchen Zusammenhang unsere Konsumgesellschaft mit einem niedrigen Selbstwert von Frauen zu tun hat. Sie nimmt Frauenmagazine auseinander, die grundsätzlich als Verkaufsmagazine erfunden worden. Es ging immer darum Frauen ein Leben vorzuführen, das sie noch nicht führen, das für sie aber erstrebenswert ist. Es ging in den 50er Jahren darum, vor allem Haushaltsgeräte zu präsentieren. Heute ist es Kosmetik. Jetzt wird uns erklärt, dass man keine Sommersprossen haben darf und sie unbedingt abdecken muss, ein Jahr später wird erklärt, dass man unbedingt Sommersprossen haben muss und einen Stift braucht, um sie aufzumalen. Hauptsache du empfindest den Makel, denn dann hast du den Drang ein Produkt zu kaufen, das diesen inneren Druck auflöst.

Du selbst sagst, dass es bei dir auf einmal Klick gemacht hat und du dich annehmen konntest. Was glaubst du, ist das Rezept?

Es gibt kein Geheimrezept. Jede Frau hat ihren Schlüsselmoment woanders. Deswegen habe ich das Buch geschrieben, wo ich versuche mehrere Perspektiven darzustellen. Es geht immer um das Recht, sich selbst schön zu finden. Da hat jede Frau ihre eigene Geschichte. Es kann im Kopf fünfmal angekommen sei, wenn es im Herzen nicht ankommt, dann funktioniert es auch nicht.

Du hast ein paar Experimente gemacht. Zum Beispiel bist du im bauchfreien Top und mit engem schwarzen Lederrock ausgegangen...

Für mich waren bauchfreie Crop Tops ein absolutes No-Go. Bauch und Oberschenkel waren für mich immer die absolute Problemzone. Dann habe ich mir gedacht, ich probier das einfach mal aus. Man sah nur 15 Zentimeter Bauch, aber ich habe mich wirklich beknackt gefühlt. Zumal wir noch in einem Club waren, in dem es Schwarzlicht gab und mein Bauch weiß leuchtete zwischen schwarzem Oberteil und schwarzem Rock. Aber letztendlich ist nichts passiert, niemand ist schreiend davongelaufen, es war einfach egal. Das war ein totaler Lerneffekt, zu merken, dass wir uns alle eh viel zu sehr um uns selbst drehen, als dass wir auf andere achten. Meine Freundin sagte sogar, Männer hätten mich bewundernd angeguckt. Wobei mich der männliche Blick weniger interessiert. Ehrlicher und wertvoller für mich sind Komplimente von Frauen.

Wie wichtig sind denn Komplimente überhaupt?

Blicke von außen und Komplimente können dir einen totalen Boost geben, und man sollte sich viel mehr Komplimente machen gegenseitig! Wir müssen aus dieser kommunikativen Negativspirale raus und uns vor allem in Zeiten all der Hater im Internet auch gegenseitig öfter sagen, was wir aneinander schön finden und mögen. Aber damit ich mich wirklich wohlfühle, muss der Gedanke, dass ich schön bin, aus mir selbst kommen. 

"Likes lösen einen Kick aus. Das ist gefährlich"

Was bedeutet für dich denn "echte Schönheit"?

Im Englischen ist das leichter zu erklären: "beautiful" ist ein Sonnenuntergang, eine schöner Moment, eine Pfingstrose. "Pretty" dagegen ist das, was die Gesellschaft verlangt, wie du auszusehen hast. Im Deutschen kann man das übersetzen "schön" und "hübsch". Soziale Medien zeigen vor allem eine bestimmte Schönheit, ich möchte mit meinem Instagram-Kanal da bewusst ein Gegenbeispiel darstellen. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Instagram...

Inwiefern?

Es ist der Kanal, mit dem man am meisten Menschen erreicht. Ich möchte viele Leute erreichen mit meinen Gedanken, um eine Gegenposition zu zeigen. Soziale Medien befeuern die Selfie-Kultur, die mich gerade ein bisschen wahnsinnig macht. Das führt zu unglaublich viel Selbstdarstellung- und inszenierung. Es gibt so viele Kanäle, in denen ich unendlich viele Bilder von nur einer Person sehe. Man postet ein Selfie, das bekommt viele Likes, und man fühlt sich bestätigt, weil viele Leute sagen, dass man schön ist. Likes lösen etwas aus, biochemisch gibt es dir einen Kick. Das wird zu einem Teufelskreis, davon wird man abhängig. Das ist gefährlich. Der Algorithmus von Instagram bevorzugt aber Bilder von Menschen, du kommst damit leichter durch und kannst somit für Reichweite sorgen. Deshalb poste ich auch immer wieder Selfies.

Sollten wir deswegen alle Instagram meiden?

Nein, müssen wir nicht. Instagram ist ansatzweise demokratisch, ich kann mir aussuchen, wem ich folgen möchte – ob ich denen folgen will, die lebende Litfaßsäulen sind und sich selbst zum Werbeobjekt machen oder den Menschen, deren Inhalte mich wirklich interessieren. Dazu gehört sehr viel Selbstkontrolle, bei jungen Leuten vielleicht sogar auch eine externe Kontrolle. Ein Tag ohne Social Media in der Woche ist auch extrem hilfreich.

"Mir ist es wichtig, dass Frauen sich selbst annehmen können"

Machst du das selber auch?

Ja, am Wochenende poste ich oft morgens ein Bild auf Instagram und gucke dann den ganzen Tag nicht mehr drauf. Wenn es mir nicht geht oder ich gestresst bin, schaue ich aber noch mehr drauf. Eigentlich voll doof, weil es mich ja noch mehr stresst (sie lacht). Es tut grundsätzlich gut mal abzuschalten, uns allen. 

Wie stehst du zur Body-Positivity Bewegung?

Als ich sie vor zwei Jahren entdeckt habe, war das für mich eine echte Offenbarung. Es war wirklich schön zu merken, dass es eine ganze internationale Bewegung gibt, die genau die Themenfelder und die Probleme anspricht, die ich mit mir hatte. Die sagt "Es bist nicht du, es ist die Gesellschaft". Ich finde alles toll, was in diese Richtung geht, ganz egal aus welchem Blickwinkel man das sieht. Mir ist es wichtig, dass Frauen sich selbst annehmen können, sich selbst lieben. Jede Frau hat das Recht, sich schön zu finden.

Warum glaubst du, dass es uns so wichtig ist schön zu sein?

Weil das jahrhundertelang unser einziger Wert war, weil es das war, was Frauen gesellschaftlich nach vorne gebracht hat. Es bricht zumindest in unseren Teilen der Welt sehr langsam auf, aber es hat immer noch eine zu große Wertigkeit. Viele Frauen hängen bewusst oder unbewusst auch noch sehr in den Strukturen des Patriachats fest, bei denen die Frau vor allem einen äußerlichen Wert hat. Dabei sind wir die Mehrheit, wir sind wir 51 Prozent in Deutschland, 51 Prozent in Österreich und 50,6 Prozent in der Schweiz. Wenn zwischen uns wirklich eine Solidarisierung stattfinden würde, dann würde sich sehr viel ändern. Aber natürlich muss jede für sich darauf kommen und für sich etwas ändern. Das ist der erste Schritt. Viele Frauen sehen nur sich selbst wahnsinnig selbstkritisch. Das ist wichtig für die Industrie. Der niedrige Selbstwert wirkt sich auf alle anderen Lebensbereiche auch aus. Wenn Frauen sich scheiße finden, kann man ihnen mehr Produkte verkaufen. Ich fände es so schön, wenn Frauen selbstsicherer wären, wenn sie wieder Komplimente annehmen und in den Spiegel gucken und sich gut finden würden. Männer sind da oft ganz anders. 

"Wir sollten einfach nicht so streng mit uns sein"

Was hilft, um diesen positiven Blick auf mich zu stärken?

Wir müssen rauskommen aus dieser Beautyspirale, weil es auch noch andere Dinge im Leben gibt. Wir sollten einfach nicht so streng mit uns sein, wir sollten uns wehren, wenn andere gemein sind oder uns auf unser Aussehen reduzieren. 

Was können wir unseren Töchtern mitgeben, damit sie nicht unsicher werden?

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man ihnen vermittelt, dass man sich selbst in seinem Körper wohlfühlt. Im Endeffekt glaube ich, dass glückliche Mütter glückliche Kinder haben. Aber ich bin selbst keine Mutter und erlaube mir da kein Urteil. Ich glaube, das Muttersein, eine unglaublich große Aufgabe ist. 

Buch "Fuck Beauty": "Jede Frau hat das Recht, sich schön zu finden"
© Bianca Kübler

Nunu Kaller ist 1981 in Österreich geboren und lebt in Wien. Sie hat Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte studiert. Nach dem Studium arbeitete sie zwei Jahre bei einer Tageszeitung im Onlineressort Politik, danach wechselte sie zu einer NGO. Mehr von ihr sehen und lesen kann man auf ihrem Instagram-Kanal. 2013 erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr erstes Buch "Ich kauf nix. Wie ich durch Shopping-­Diät glücklich wurde". 

"Fuck Beauty. Warum uns der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht und was wir dagegen tun können" ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 12,99 Euro.

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