"Probier das mal aus, das wird Dir bestimmt gefallen!" Mit den euphorischen Worten einer sehr lieben Freundin begann mein Tinder-Abenteuer. Schon am Abend gab ich meiner Neugier nach und die App landete auf meinem Handy. Dann der erste Schreck: Die Anmeldung funktioniert nur über Facebook. In Gedanken sehe ich mein Profil voller Online-Dating-Posts. Schlimm genug, dass Mark Zuckerberg und die NSA alles über mich wissen, aber mein Liebesleben muss ich nun wirklich nicht auch noch mit allen Facebook-Freunden teilen. Nachricht an meine Freundin: "Tinder will auf mein FB-Profil zugreifen!?" Antwort: "Keine Sorge. Die App zieht sich nur Fotos, Interessen und Deine Freundesliste. Auf Deinem Profil ist nichts von Tinder zu sehen."
Ich bin beruhigt - und ein paar Minuten später Mitglied bei Tinder. Und nun? Ich sage der App, dass ich an Männern interessiert bin, wie alt sie sein und in welchem Umkreis sie sich aufhalten sollen. Und schon erscheint der erste potenzielle Kandidat. Ein Wisch nach rechts bedeutet "hot", nach links "not". Nicht mein Typ. Ich ziehe sein Bild mit dem Finger nach links und es verschwindet mit einem "Nope".
Der Nächste, bitte! Es dauert nicht lange, bis ein Foto mein Interesse weckt (ich muss meiner Freundin recht geben - es sind hier wirklich verdammt viele gut aussehende Typen unterwegs). Ich tippe sein Bild an und bekomme weitere Fotos gezeigt. Außerdem kann ich sehen, ob wir gemeinsame Interessen oder Freunde haben. Ich wische nach rechts: "Liked"!
Anders als bei den einschlägig bekannten Online-Singlebörsen kann ich einem Mann aber nur schreiben, wenn er mich auch geliked hat. Wenn das passiert, bekomme ich den Hinweis "It's a match! Du und xy steht aufeinander." Und genau das ist toll! Denn schon bei der ersten Nachricht weiß man, dass man sich optisch gut findet. Und vielleicht, ob man gemeinsame Freunde oder Interessen hat. Mehr aber auch nicht. Mag oberflächlich klingen. Aber sind wir mal ehrlich: Im realen Leben entscheidet doch auch erstmal das Äußere. Und mir persönlich ist es lieber, eine Person nach und nach kennenzulernen, als vorab ein Profil mit Antworten zu Fragen wie "Was halten Sie von Treue?", "Wie ist die Beziehung zu Ihren Eltern?" oder "Was sind Ihre erogenen Zonen?" zu studieren.
Entgegen gängiger Meinungen ist Tinder keine Plattform, auf der man sich zu schnellem Sex verabredet. Zwar kann man abends in der Bar oder im Club schauen, wer sich in der Nähe befindet, aber ohne ein "Like" des anderen ist eben keine Kontaktaufnahme und kein Verabreden möglich. Trotzdem hat Tinder, was übersetzt soviel wie Zündstoff heißt, in meinem Leben schon für ordentlich Aufregung gesorgt. Die Ausbeute nach zwei Monaten: 68 Matches. Ich hatte skurrile Chats, Verbindungen, bei denen schnell klar war, dass man sich optisch zwar interessant findet, ansonsten aber wohl nicht so auf einer Wellenlänge liegt, und auch ein paar Schreibereien, die Lust auf mehr machen. Und ja, auch im realen Leben gab es schon Begegnungen - die Details hierzu behalte ich aber für mich. Und selbst die langweiligen, seltsamen oder verrückten Chats sind immer noch besser, als alleine daheim vorm Fernseher zu sitzen.
Tinder macht Spaß, ist schnell und vor allem unverkrampft. Die App offeriert einem nicht Mr. Right per Fragenkatalog, sondern schafft unkompliziert die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen. Den weiteren Lauf der Dinge kann man ohnehin nicht beeinflussen - egal, ob man sich nun durch Zufall im Supermarkt begegnet ist oder bei Tinder dem Glück ein wenig auf die Sprünge geholfen hat.
Hier ein paar meiner verrücktesten Tinder-Erfahrungen:
L. finde ich richtig heiß. Wir matchen, ich schreibe ihm. Er antwortet, garniert mit drei grinsenden Smileys. Wir schreiben ein wenig hin und her und seine Nachrichten werden immer bunter: Sie stecken voller Emoticons. Am Ende schaffte er es sogar, ganze Sätze nur mit Bildchen zu schicken - ohne ein einziges Wort. Das mag eine Begabung sein, aber mir wird es zu bunt.
Fazit: Kein Happy End ?
Der Powerbutton meines Handys ist kaputt. Ich gehe in einen kleinen Reparaturshop und gebe mein Telefon in die vertrauenswürdigen Hände des türkischen Reparaturmannes. Eine Stunde später komme ich zurück. Er, umringt von fünf Freunden, sieht mich und brüllt durch den Laden: "Ey, ich bin auch bei Tinder. Brauchst Du nicht weiter zu suchen, nimmst Du einfach mich." Seine Freunde applaudieren, ich werde knallrot.
Fazit: Der nette Reparaturmann, der übrigens ungefähr zwei Köpfe kleiner ist als ich, war leider nicht ganz mein Typ. Aber sein Auftritt war grandios!
"Jetzt bekommst du mit Sicherheit die direkteste und bekloppteste Frage gestellt. Magst du Sperma? Ich brauch eine Frau, die keinen Tropfen verschwendet. Die es isst, trinkt und auch einfriert, um daran wie an einem Eis zu lutschen."
Ein paar Tage zuvor hat meine Freundin genau die gleiche Nachricht vom gleichen Typen bekommen. Entweder ist das sein Fetisch oder er hat eine seltsame Art von Humor.
Status: Muss ich an dieser Stelle wohl nicht weiter ausführen ...
C. steckt gerade mitten im Umzug - beruflich bedingt. Er schickt mir in diesem Zusammenhang den Link zu seiner Webseite, wo ich sehen kann, was er in Zukunft machen wird. Im Impressum steht sein voller Name. Wir schreiben uns sporadisch weiter. Er hat wegen des Umzugs gerade viel zu tun. Dann höre ich ein paar Wochen gar nichts vom ihm, bis er eines Abends plötzlich anruft. Ich bin verhindert und schreibe ihm später, ob er bewusst angerufen hat oder ob das ein Versehen war. Er hat mit Absicht angerufen. Finde ich super! Ich bin neugierig, will mehr von ihm wissen, mehr Bilder sehen und frage ihn, ob wir uns bei Facebook anfreunden wollen. Er zögert: "So einfach geht das nicht, mein Fräulein." Ich denke, er will spielen, sich interessant machen. Also frage ich weiter. Dann muss er ganz plötzlich ins Bett. Ich beende den Chat mit "Gute Nacht, Herr F." - und gebe zu erkennen, dass ich seinen vollen Namen kenne und auch sein Facebook-Profil. Er reagiert nicht. Ganze zwei Wochen lang höre ich nichts von ihm, dann ruft er ohne Vorwarnung wieder an. Ich gehe nicht ran. Seitdem herrscht Funkstille.
Fazit: Freakiges Verhalten! Ich glaube, er hat was zu verbergen. Vielleicht rufe ich ihn in zwei Jahren mal an und frage nach?
Als S. und ich uns das erste Mal schreiben, ist er auf dem Weg ins Ausland. Ein Jobtermin. Ich frage ihn am nächsten Abend, ob er gut angekommen ist. Antwort: "Ja, nur ein wenig einsam hier." Ich: "Schade, dass Dein Termin Dich nicht nach Hamburg geführt hat. Dann könnten wir uns jetzt auf einen Drink treffen." Daraufhin schickt er mir ein Bild seines erigierten Penis' mit folgendem Text: "Er ist so hart und ich würde ihn Dir jetzt gerne so hart in den Mund rammen, dass Dir der Speichel an den Seiten rausläuft." Hossa! Wo ist der charmante Mann vom Vorabend hin? Ich antworte, dass mir das zu krass ist. Er entschuldigt sich und bittet mich, das Bild zu löschen. Da sei wohl was mit ihm durchgegangen. Ich sage: "Ist okay." Kurze Pause, dann schreibt er erneut: "Ich will Deine Nippel jetzt lecken, so dass sie richtig hart werden." Während ich noch überlege, wie ich im ihm deutlich machen kann, dass mir nicht nach Sexchat zumute ist, kommt er mir zuvor: "Du bist raus..."
Fazit: Tja, was soll ich sagen? Ich bin raus...
A. und ich schreiben ein wenig hin und her und wechseln dann zu Facebook. Sein Profil ist reine Selbstdarstellung. Stehe ich überhaupt nicht drauf. Dann die Nachricht: "Hmm, Du bist sehr lecker!" Es ist spät am Abend. Ich gehe schlafen. Am nächsten Morgen finde ich eine neue Nachricht: "Magst Du nicht lecker sein." Meine Antwort: "Nein!" Ich entferne ihn aus meiner Freundesliste. Er schreibt mich bei Tinder an: "Warum bist Du mir abhanden gekommen?" Ich: "Sorry, Deine Welt ist nicht so meine Welt!" Er: "Du musst einen gehörigen Ironie-Abschlag bei meinen Postings vornehmen." Ich ignoriere ihn. Er versucht, mich bei Xing zu adden, hat mir eine neue Facebook-Freundschaftsanfrage gesendet, mir bei Tinder seine Handynummer geschickt und mich zu einer "Bike-Tour" eingeladen.
Fazit: Was genau ist an einem "Nein!" eigentlich so schwer zu verstehen?