USA Der letzte Wilde Westen

Wälder, Felsen, Wasser: der Dreiklang des US-Bundesstaats Washington – wie hier an den fast kreisrunden Reflection Lakes.
© Christina von Messling
Uralte Wälder mit gigantischen Bäumen und glasklaren Seen: Susanne Arndt war zum Wandern auf der Olympic-Halbinsel im Nordwesten der USA.

Sieht so aus, als wollten wir alle mal weg von allem. "Ich träume schon lange davon, eines Tages in diese uralten Wälder abzutauchen", sagt Donna, 77, eine drahtige Witwe aus Kalifornien. Und Susanna aus Texas ruft nach vorn: "Ich bin schon zum zweiten Mal dabei, weil ich hier RICHTIG gut abschalten kann!" Unsere Guides Darrek (Hugh-Grant-Charme) und Dan (Typ Hippie-Holzfäller) hatten gefragt, was uns denn in die nordwestlichste Ecke der USA verschlagen habe. Erst vorhin haben wir uns in Washingtons Hauptstadt Olympia getroffen, nun sitzen wir zu elft in einem Kleinbus mit einem Anhänger voller Zelte und Lebensmittel, um auf die Olympic-Halbinsel zu fahren. Alle haben eine sechstägige Trekking-Tour gebucht.

Ich bin streng genommen hier, weil ich den letzten Wilden Westen erleben will: Der pazifische Nordwesten war zwar schon früh von europäischen Seefahrern entdeckt worden, wurde aber als letzte Region der USA kartografiert. Die Wälder waren undurchdringlich – und sind es teils heute noch.

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Zwischen himmelstürmenden Zedern und Douglasien fühlte sich unsere Autorin irgendwie behütet.
© Christina von Messling

Anders als die Eroberer aus der Alten Welt haben wir das Glück, am Eingang des Olympic-Nationalparks Wander- und Campingplatzkarten ausgehändigt zu bekommen. Wir machen uns auf in die Wildnis und schlagen unter uralten Douglasien und Zedern unsere Zelte auf. Zwischen den Baumriesen fühle ich mich klein wie ein Troll, wie Kirchenfenster dämpfen sie das Licht, wie Kirchenmauern die Geräusche: das Schwingen der Krähe, das Klappern des Kochgeschirrs. Darrek und Dan sind schon dabei, meisterhafte Steaks und Tortillas fürs Dinner zu brutzeln.

In der Stille des Waldes

Am Lake Crescent nächtigte US-Präsident Franklin Roosevelt, bevor er 1938 den Olympic-Nationalpark gründete.
© Christina von Messling

Am Lagerfeuer nach dem Essen werden wir schnell warm, auch miteinander, und bevor wir in die Zelte krabbeln, müssen wir alles Essbare und sogar Zahnpasta und Seife im Anhänger verschließen, um keine Bären anzulocken. "Gibt es hier eigentlich noch Pumas?", frage ich Dan, der am nahen Hood Canal wohnt. "Die haben zwar meine Gänse gefressen", sagt er grinsend, "aber keine Sorge – für Menschen sind die ungefährlich." Trotzdem kriecht mir im Zelt die Stille des Waldes unter die Haut, und als Doug im Nachbarzelt beginnt zu schnarchen, freue ich mich zum ersten Mal in meinem Leben über Schlafgeräusche.

Die gigantischen, reglosen Bäume zeigen sich am Morgen ungerührt von den winzigen Menschlein, die noch müde am Kaffee nippen und darüber hinwegkommen müssen, dass es hier ernsthaft keine Duschen gibt. Dafür hüpft ein tintenblauer Diademhäher vorbei und nickt grüßend mit dem federbekrönten Köpfchen. Wer braucht da noch Badezimmerkomfort?

Unsere Wanderungen zu Wasserfällen und Pazifik sind Waldbaden at its best. Die Bartflechten und weichen Nadeln der Hemlocktannen filtern das Morgenlicht so hübsch, dass wir über Wurzeln stolpern, weil wir dauernd hochgucken. Die glasklaren Flüsse kommen von den Gletschern der Olympic Mountains, der Sauerstoff von den Bäumen, es herrscht unverschmutzte Kühle. Und dann noch dieser Tannenduft, der an Thymian erinnert. Immer wieder bleiben wir stehen und beten die Wolkenkratzerbäume mit unseren Smartphones an. Darrek verrät, wie wir sie aufs Bild kriegen: "Panoramafunktion einstellen und das Handy laaaangsam nach oben bewegen!"

Auf dem Weg zum Shi-Shi Beach kauern wir mit unseren Kameras vor Bananenschnecken, Stinkkohl und Austernpilzen. Irgendwann liegt dann der Pazifik vor uns, grau und wild. Ein Schwarm Pelikane surft die Wellen, aus denen baumbestandene Felsen ragen, und als ich mich am Strand umdrehe, sehe ich, was schon die ersten europäischen Seefahrer erblickt haben mussten: eine Wand aus Wald. Ich lege mich in den Sand, bis Ellen aus dem Wasser kommt und sich zu mir setzt. "Huch, deine Augen sind so rot", stelle ich fest. Sie schaut mich an: "Ich wollte die Reise mit meinem Mann machen, aber der ist vor zwei Jahren gestorben." Erst jetzt sehe ich, dass sie weint. Alle hier haben ihre Schicksale und feiern das Leben trotzdem. Je länger wir zusammen wandern, desto mehr verschmelzen wir zu einer temporären Familie, schenken uns Zuwendung und Blasenpflaster, je nachdem, was nottut. 

Wildnis kann nicht nur einschüchternd, sie kann auch zart

Nach drei Tagen tauchen wir auf aus dem Wald und fahren zum Mount Rainier südöstlich von Seattle. Der 4392 Meter hohe Vulkan gehört zum Pazifischen Feuerring, der sich bis runter nach Kalifornien zieht. Eine Autolawine schiebt uns durch einen Vorort von Tacoma, als der Berg sich wie aus dem Nichts materialisiert, ein einzelner weißer Riese auf dem platten Land. Der schlafende Vulkan gilt als gefährlich, doch er spendet auch Leben: Seine gut 20 Gletscher speisen zahllose Flüsse, erzählt Dan – nicht umsonst hätten Indigene ihn "Brust der milchweißen Wasser" genannt. Für sie war der Berg eine Göttin, und die scheint jetzt eher missbilligend auf Menschen wie uns zu blicken, die sich an der Tanke mit "Pepsi" und Marshmallows eindecken.

Kaltes Wasser: Die Comet Falls sind beim Campen am Mount Rainier die einzige Dusche weit und breit.
© Christina von Messling

Wir fahren hoch in den Mount-Rainier-Nationalpark, bauen unsere Zelte im Wald auf und stehen schließlich auf gut 1600 Meter Höhe im Paradise Valley vor einer Wandertafel, die von den "Paradise Trails" durchzogen ist. Die klingenden Namen versprechen nicht zu viel: Der mit Eis bedeckte Vulkankegel ragt riesenhaft aus dunklen Nadelwäldern in den blauen Himmel, darunter zartgrüne Huckleberry-Felder und blühende Bergwiesen. Blumen haben hier oben nur wenig Zeit zu blühen und tun es umso entschiedener: rote Castilleja, lila Weidenröschen, gelbes Pfeilkraut, die weiße Kuhschelle, Bergmoor-Enzian. Wildnis kann nicht nur einschüchternd, sie kann auch zart.

Was wir wirklich brauchen …

An der Hurriane Ridge im Olympic-Nationalpark sieht man bis zum Horizont nur Berge und Himmel.
© Christina von Messling

Durch die Wiesen wandern wir zum Panorama Point, wo kühle Winde zu uns hinüberwehen. Sie kommen vom Nisqually-Gletscher, aus dem sich donnernd Wasserfälle lösen. Am letzten Morgen steigen wir dann von unten an einem der Gletscherflüsse zu den Comet Falls auf. Der Himmel ist blitzblank, die Pikas, putzige Pfeifhasen, huschen piepend durchs Geröll, und als meine Mitreisenden stehen bleiben, um Lachsbeeren zu pflücken, laufe ich weiter und erreiche als Erste das Ende des Regenbogens: Er entsteht dort, wo das Wasser auf dem Fels zerstäubt, die Gischt verpasst mir eine eisige Dusche – meine erste seit Tagen und, wie ich finde, ein angemessenes Finale für meine Reise in die Wildnis. 

Habt ihr mir was Leckeres mitgebracht?, scheint das Murmeltier zu fragen.
© Christina von Messling

Auf der Rückfahrt nach Olympia fragt Darrek: "Und, worauf freut ihr euch am meisten in der Zivilisation?" Und alle so: "DUSCHEN!" Aber wir sind auch traurig, dass der Abschied naht. Der letzte Wilde Westen hat uns gezeigt, wie wenig wir brauchen: Gefährtinnen und Gefährten – und eine gelegentliche Dusche.

USA: Unsere Reisetipps für den Wilden Westen

Die Trekking-Tour

Die sechstägige Trekking-Reise "Pacific Nothwest Basecamp Tour" startet in Olympia, mit drei Campingnächten im Olympic-Nationalpark und zwei im Mount-Rainier-Nationalpark. Die täglichen Wanderungen sind mit durchschnittlicher Fitness gut zu bewältigen. Ca. 2070 Euro ohne Anreise, inkl. Guides, Campingausrüstung, Essen, Transfers und Gebühren (wildlandtrekking.com).

Hinkommen

Bis Seattle fliegen, ab dort geht es weiter mit dem Zug (amtrakcascades.com/olympialacey, ca. 22 Euro) oder dem Airport Shuttle (premierairportshuttle.com, ca. 85 Euro) nach Olympia. Hier wird man von "Wildland Trekking" abgeholt.

Übernachten

Paradise Inn. 1917 auf 1600 Metern erbaut, ist die Berg-Lodge ein Klassiker der Nationalpark-Architektur. Mit Café, Restaurant und Shop. DZ ohne Bad ab 180 Euro (Ashford, 52807 Paradise Rd E, Tel. 855/245 12 93, (mtrainierguestservices.com).

Double Tree by Hilton Hotel Olympia. Wer bei "Wildland Trekking" eine Tour gebucht hat, erhält bei dem zentral gelegenen Hotel zehn Prozent Rabatt. DZ/F ab 170 Euro (Olympia, 415 Capitol Way N, Tel. 360/570 05 55, hilton.com).

Genießen

Chelsea Farms Oyster Bar. Frische Austern zu fantastischen Weinen, ca. 34 Euro (Olympia, 222 Capitol Way N, Tel. 360/915 77 84, chelseafarms.net).

"The Bread Peddler" ist ein schönes Frühstückscafé mit gutem Kaffee und französischen Spezialitäten, am Wochenende gibt’s American Breakfast (ab 16 Euro; Olympia, 222 Capitol Way N, breadpeddler.com).
© Christina von Messling

The Wildberry Restaurant. Essen bei dem Star der Bergsteiger-Szene: Niemand hat den Mount Everest so schnell bestiegen wie Lhakpa Gelu. Yak-Burger ca. 17 Euro (Ashford, 37718 State Route 706 E, Tel. 360/569 22 77, rainierwildberry.com).

Erleben

Makah Museum. Das Dorf Ozette der auf der Olympic-Halbinsel ansässigen Makah wurde bei einem Erdbeben verschüttet. Heute sind die bis zu 2000 Jahre alten Artefakte hier zu bewundern (Neah Bay, Olympic-Halbinsel, 1880 Bayview Ave, makahmuseum.com).

Mit dem Kanu auf dem Lake Crescent zu paddeln ist die pure Freude. Ab 40 Euro (olympicnationalparks.com).
© Christina von Messling

Einkaufen

Ember Goods. Hier gibt es schöne Trekking-Accessoires: Rucksäcke, Sonnenhüte und biologisch abbaubare Zedernseife (Olympia, 422 Washington St SE, embergoods.com).

Telefon

Die Vorwahl für USA ist 001.

Brigitte

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