Kulturelle Aneignung und Rassismus Ravensburger zieht Winnetou-Buch zurück – das steckt hinter der Kritik

Nicolas König und Alexander Klaws bei einer Aufführung von "Der Ölprinz" bei den Karl-May-Festspielen 2022 im Freilichttheater am Kalkberg.
© gbrci / FuturexImage / imago images
Nach scharfer Kritik hat der Verlag Ravensburger das Buch "Der junge Häuptling Winnetou" zum gleichnamigen Kinofilm zurückgezogen. Die Kritik: Die Geschichte um Winnetou zeigt rassistische Stereotype. Insgesamt wird die Frage aufgeworfen, warum die Geschichten von Karl May noch immer Stoff für neue Filme, Festspiele und Theater bieten. Wir zeigen euch die Hintergründe.

"Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch 'Der junge Häuptling Winnetou' verfolgt und wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen", steht jetzt im abgeänderten Post von Ravensburger auf Instagram, der eigentlich das neue Buch bewerben sollte.

Ravensburger erntet Kritik zum neuen Buch "Der junge Häuptling Winnetou"

Doch statt Begeisterung gab es scharfe Kritik. Eine Nutzerin schreibt: "do better Ravensburger", eine andere: "Bitte überdenkt noch mal, ob dieses Buch wirklich auf dem Markt sein sollte und ob Kinder wirklich dadurch mitgeprägt werden sollen". Die Hauptkritikpunkte: Das Buch und auch der Film reproduzieren rassistische Stereotype und und kulturelle Aneignung.

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Ravensburger reagiert auf die Kommentare: "Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich."

Das Problem: Karl Mays Darstellungen reproduzieren rassistische Stereotype

Doch worum geht es jetzt genau? Im Film wie im Buch geht es um Winnetou, den Sohn des Häuptlings Intschu-tschuna im Alter von 12 Jahren. Es wird eine Abenteuerreise erzählt, ganz im Stile der alten Winnetou-Filme aus den 1960er-Jahren. Das Problem ist zum einen die Darstellung indigener Völker aus Amerika, zum anderen die Nutzung des Wortes Indianer und weiter die Tatsache, dass mit dem Vermarkten dieser Geschichten Geld aus anderen Kulturen geschlagen wird – ohne sich um Aufklärung zu bemühen.

Durch das Wort Indianer und die Darstellungen im Film wird die eigentliche Kolonialzeit, zu der diese Abenteuer spielen, verharmlost. Die Menschen der indigenen Völker wurden damals von den Weißen nicht als vollwertige Menschen angesehen. Womit sie sich das Recht zuschrieben, ihnen das Land zu nehmen und den Anspruch auf Ressourcen zu erheben.

Die Weißen stahlen nicht nur Land, sondern begingen Genozide, um ihren Herrschaftsanspruch noch zu untermauern. Und genau diese Idee der Herabstufung einer gesamten Bevölkerungsgruppe ist in dem Wort Indianer verankert, weshalb es heute von vielen bereits gemieden wird. Mehrheitlich genutzt werden die Begriffe: indigene Bevölkerung oder Native Americans.

Sich als "Indianer" zu verkleiden ist rassistisch und respektlos

Doch nicht nur das Wort ist kritisch zu betrachten auch die Darstellung der Native Americans mit der "typischen" Bekleidung und Federschmuck. Zum einen stimmen die Darstellungen nicht mit der Realität überein, zum anderen ist es anmaßend, sich ein klischeehaftes "Indianer-Kostüm" überzustülpen und sich damit als eine unterdrückte Bevölkerungsgruppe zu verkleiden, die nur aufgrund des immerwährenden Herrschaftsanspruchs der Weißen als minderwertig galt und ermordet wurde.

Denn Fakt ist: Bei den Karl May Darstellungen verschmilzt in dem Wort Indianer, die einst sehr diverse Bevölkerungsgruppe der Native Americans und es bleiben lediglich rassistische Stereotype, die ein falsches Bild der Realität schaffen. Rot geschminkte Gesichter, erfundene Tänze, all das ist rassistisch und respektlos.

Kritik am Film kommt auch von Seiten der FBW-Jury

Während einige Kindergärten und Schulen mittlerweile darauf achten, dass kein Kind als Indianer verkleidet ist, werden die Karl-May-Abenteuer auf Freilichtbühnen und im Kino weiterhin reproduziert – und es wird viel Geld mit ihnen gemacht. Das passt nicht zusammen. Selbst die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) war bei dem Film "Der junge Häuptling Winnetou" uneinig. Einige Jury-Mitglieder waren der Meinung, dass heute nicht mehr die Zeit sei, einen Kinder- und Jugendfilm im Geist der mythisch aufgeladenen und sehr klischeehaft darstellenden Karl May-"Folklore" zu realisieren, so die "Augsburger Allgemeine".

Doch genau dieser Punkt muss noch einmal genauer betrachtet werden. Denn: Karl May hat seine Abenteuer-Romane in den 1890er-Jahren geschrieben – das erste Winnetou-Buch kam 1893 auf dem Markt. May hat seine Abenteuer am Schreibtisch erfunden, ohne auch nur einmal in Amerika oder im Orient gewesen zu sein, wo andere seiner Bücher spielten. Mays Bücher sind also eher als Märchen oder Fiktion zu lesen, als ein ausgedachtes „Indianerland“, wie er es selbst nannte.

Karl May: Zwischen Realität und Fiktion

Das Problem ist jedoch, dass eine Darstellung ohne die Erläuterung, dass es sich um Fiktion handelt, für viele Menschen und vor allem Kinder zur Realität wird. Denn bei Mays Erzählungen geht es eben nicht um klar ersichtlich fantastische Drachen und Zauberer, sondern um an die Realität angelehnte Gegebenheiten. Für viele ist die romantisierte Darstellung der indigenen Bevölkerung daher Realität – von Morden und Landraub ist da weniger die Rede. 

Erstmals gibt es jetzt aber eine Änderung im Programmheft in Bischofswerda. Es erscheint ein kleiner Text zum Thema Wahrheit und Fiktion bei Karl May. Problematische Worte sollen aus den Textbüchern verschwinden und pseudo-indigene Tänze ebenso, so "Die Zeit".

Die Mehrheit der FBW-Jury kam schlussendlich zu dem Ergebnis, dass es allseits bekannt sei, dass Karl May seine Erzählungen aus seiner Fantasie geschrieben habe. Insgesamt sehe auch die Mehrheit der Jury den Film als gelungen an. Ravensburger hingegen verspricht: "Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!"

Verwendete Quellen: mdr.de, instagram.com, augsburger-allgemeine.de, kino.de, zeit.de, lesering.de

Brigitte

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