Die Pandemie laugt uns aus, wir haben keinen Bock mehr. Dauer-Homeoffice, Quarantänekinder, Kontaktbeschränkungen, Ansteckungsangst, Existenzsorgen, geschlossene Clubs, leere Kinos, einsame Abende, Überstunden, Dreifachbelastung, mangelnde Planbarkeit – die Liste der Pandemieprobleme ließe sich lange fortsetzen. Endlos muss sie den Menschen vorkommen, die das Virus besonders hart trifft: erschöpftes Krankenhauspersonal etwa oder diejenigen, die ihren Job verloren haben – oder sogar einen geliebten Menschen.
Die positiven Seiten der Pandemie
Aber wie alles im Leben hat auch die Pandemie ihre guten Seiten. Einigen hat sie Muße und Zeit verschafft, um durchzuatmen und innezuhalten. Sie konnten die Krise nutzen, um das Hamsterrad eines mörderisch vollgestopften Alltags zu verlassen oder zumindest ein, zwei Gänge runterzuschalten.
Das zeigen nicht nur unsere eigenen Erfahrungen, das zeigt auch die Untersuchung der Soziologin Barbara Rothmüller. Für ihre Studie "Aufblühen trotz Corona? Intimitätsgewinne und andere positive, unintendierte Nebeneffekte pandemiebedingter Gesellschaftsveränderungen" hat sie fast 11.000 Menschen gefragt, wie sich die Pandemie auf ihr Leben auswirkt. Es kamen überraschend viele positive Antworten. Im Interview mit dem "Spiegel" sagte Rothmüller:
Interessanterweise standen sich (...) negative wie positive Aspekte fast gleichwertig gegenüber, nur sind die positiven nicht so offen besprechbar während einer Krisenzeit.
Die Pandemie erlaubt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren
Vor allem enge Beziehungen hätten häufig von den Kontaktbeschränkungen in der Pandemie profitiert – Paarbeziehungen und gute Freundschaften seien teilweise intensiver geworden. Viele hätten sich auf die wichtigsten Menschen in ihrem Leben besonnen und gleichzeitig unbedeutendere Bekanntschaften auslaufen lassen. Dass Kontakte verloren gegangen sind, habe nicht alle gestört.
Auch einige Eltern gaben an, froh zu sein, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können – besonders Väter erlebten ihre Kinder jetzt häufiger im Alltag als vor der Pandemie.
Corona wurde außerdem dazu genutzt, sich sozialem Druck zu entziehen. Manche seien froh gewesen, nicht auf jede Party rennen zu müssen. Vor allem junge Menschen hätten angegeben, dass sie nicht mehr das Gefühl hätten, etwas zu verpassen. Viele von ihnen fänden es auch gut, nicht mehr so viel Energie in ihr Aussehen zu investieren und in Jogginghosen auf dem Sofa chillen zu können. Klar sei aber auch, so Rothmüller:
Es ist ein Mindestmaß an Absicherung, Wohnqualität und guten, intimen Beziehungen nötig, damit die positiven Effekte zum Tragen kommen können.
Und wie sieht es bei uns aus? Hier erzählen Redakteurinnen, welche positiven Aspekte die Pandemie für sie hat:
Das hat sich für mich in der Pandemie verbessert
Vor der Pandemie hatte ich oft jeden Tag in der Woche was vor. Heute weiß ich, dass ich viel Zeit für mich brauche, um aufzutanken. Und ich habe die Erfahrung gemacht: Man muss sich nicht jede Woche sehen, um sich nahe zu sein. Ich versuche jetzt bewusst, mich nicht mehr so häufig zu verabreden, um dann die kostbare Zeit mit Freunden und Familie noch mehr zu genießen.
Ich habe angefangen, meine Bedürfnisse ernster zu nehmen, sie besser zu kommunizieren und mehr Zeit für mich einzufordern - und auch die Care-Arbeit in der Familie gerechter aufzuteilen. Jetzt funktioniert die gleichberechtigte Elternschaft bei uns viel besser als vorher.
Gutes Aussehen ist mir nicht mehr so wichtig, weil ich mich daran gewöhnt habe, so auszusehen wie ich eben aussehe. Ich genieße es, viel Zeit in bequemen Klamotten verbringen zu können und mich nicht mehr so häufig zu schminken und Kontaktlinsen zu tragen. Ob ich jemals wieder zu hohen Schuhen, nervenden BHs und beengenden Kleidern zurückfinde, die zwar gut aussehen, sich aber nicht gut anfühlen, steht in den Sternen.
Ich bemerke Züge an mir, die ich vorher so nicht kannte. Festzustellen, an manchen Situationen nichts ändern zu können (und zu müssen), entspannt mich und lässt mir Raum, mich um das zu kümmern, was ich konkret verändern kann und will. Ich lerne mich selbst neu kennen - auch durch den Mangel an Kontakten und Ereignissen.
Durch die Pandemie konnte ich mir endlich einen Herzenswunsch erfüllen: Mein erster eigener Hund! Durch ihn habe ich jeden Tag Bewegung – trotz Homeoffice –, bin viel mehr in der Natur und entfliehe der Stadthektik. Und es geht nichts über eine Kuscheleinheit, wenn der Alltagsstress mich mal wieder überrollt.
Wir haben viel mehr Zeit für wertvolle Paar- und Familienrituale. Egal, ob das gemeinsame Frühstück oder Abendessen, Vorlesen, Gesellschaftsspiele oder Spaziergänge und Filmabende: Seit der Pandemie haben wir für all diese Dinge nicht nur mehr Ruhe, wir durften manches auch nochmal ganz neu entdecken. Seien es bislang unerforschte Wege in der Umgebung oder liebe Menschen in der Nachbarschaft, für die es in der Vergangenheit meist nur ein flüchtiges "Hallo" gab. Und tatsächlich sprechen mein Partner und ich seither viel häufiger miteinander, weil es im neuen Alltag mehr gibt, was wir miteinander machen (müssen). Es tut uns gut, mehr gemeinsame Schnittstellen haben.
Ich ernähre mich gesünder. In der Kantine hat sich meine Auswahl oft auf Pommes oder Nudeln beschränkt. Jetzt bestimme ich mittags selbst, was ich esse, und abends habe ich mehr Zeit zum Kochen.
Ich habe wieder angefangen Tagebuch zu schreiben, weil ich durch das Homeoffice morgens mehr Zeit habe. Das hilft mir sehr, meine Gedanken zu sortieren und Sorgen und Ängste klar zu definieren.
Morgens ist es mir im Winter zu kalt und zu dunkel, um durch den Park zu joggen. Dank Pandemie und Homeoffice habe ich eine neue Laufroutine entwickelt und versuche, die Mittagspausen für meine kleine Sporteinheit zu nutzen. Das könnte ich nicht machen, wenn ich in der Redaktion arbeiten würde.
Ich habe Dinge in Angriff genommen, die tägliche Pflege brauchen. Das geht, weil ich jetzt quasi ständig Zuhause bin: Ich habe ein Hochbeet angelegt und angefangen, Griechisch zu lernen.
Früher war es unmöglich für mich, zu Hause zu arbeiten. Ich konnte mich nur schlecht konzentrieren und habe mich immer wieder mit Haushalt oder Snacken abgelenkt. Weil ich mich inzwischen so ans Homeoffice gewöhnt habe, klappt das Arbeiten jetzt prima und ich kann mich gut konzentrieren. Ein echtes Plus an Lebensqualität!