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Update um 17 Uhr: Bundesanwalt Herbert Diemer hat am Nachmittag begonnen, die 500-seitige Anklageschrift gegen Beate Zschäpe und die vier weiteren mutmaßlichen Terrorhelfer der NSU zu verlesen. Zuvor hatte das Gericht den Antrag der Verteidigung zurückgewiesen, das Verfahren auszusetzen und in einen größeren Saal zu verlegen.
Mit der Verlesung wurde auch ein Antrag von Angehörigen des ermordeten Halit Yozgat erfüllt, der am Morgen für die erste Unterbrechung gesorgt hatte: NSU-Verteidiger Olaf Klemke sagte, dass dieser Antrag "Schwachsinn" wäre, mit dem die Verteidung unter Druck gesetzt werden solle. Nach diesem Streit unterbrach das Gericht die Verhandlung für eine kurze Beratung. Nach der Pause folgte der nächste Antrag der Verteidigung: Zschäpes Anwalt Wolfgan Heer forderte einen neuen Verhandlungssaal. "Es geht darum, dass aus unserer Sicht hier in diesem Sitzungssaal nicht weiter verhandelt werden kann", so seine Stellungnahme. Grund für den Antrag ist, dass die beschränkte Kapazität des derzeitigen Saales seiner Ansicht nach den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt. Auch ordnungsgemäße Zeugenvernehmungen seien nicht möglich, da die meisten Beteiligten die Zeugen nur von hinten sehen könnten. Das Gericht lehnte diesen Antrag dann aber ab. "Strafverfahren finden in, aber nicht für die Öffentlichkeit statt" sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und schloss damit aus, dass die Verhandlung woanders weitergeführt werde.
Video: NSU-Prozess geht schleppend weiter
Gegen 8.30 Uhr traf Beate Zschäpe gemeinsam mit dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben im gepanzerten Fahrzeug im Oberlandesgericht ein. Kurz vor 10 Uhr betrat sie den Saal. Den anwesenden Fotografen drehte sie erneut den Rücken zu.
Kurz darauf warnte die Deutsche Polizeigewerkschaft davor, falsche Erwartungen an diesen Prozess stellen, die "zu schlimmen Enttäuschungen" führen würden. Der Nachweis von "individuellen Tatbeteiligungen und schuldhaftem Handeln" sei schon schwierig genug und dürfe nicht zusätzlich durch die erhöhten Erwartungen belastet werden, so der Bundesvorsitzende Rainer Wendt.
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NSU-Prozess: Zehn Fragen zum Thema
Neun Menschen wurden zwischen 2000 und 2007 ermordet, weil sie nicht in das rassistische Weltbild der rechtsextremen Täter passten: acht Türken und ein Grieche. Auch eine junge Polizistin wurde getötet. Die Täter: die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Die beiden Männer begingen Selbstmord, als die Polizei ihnen auf die Spur kam. Daraufhin steckte Beate Zschäpe den gemeinsamen konspirativen Unterschlupf in Brand und stellte sich der Polizei. Nun steht sie als Hauptangeklagte vor Gericht. Die Ankläger gehen davon aus, dass Zschäpe die Morde mit geplant hat. Angeklagt sind auch Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).
Die Taten wurden in verschiedenen Bundesländern begangen – ausgetauscht haben sich die Sicherheitsbehörden zu diesen Fällen kaum. Die Staatsanwälte gingen nicht von einem rechtsradikalen Hintergrund aus, die Polizisten ließen wichtige Hinweise unbeachtet, die Verfassungsschützer machten unfassbar viele Fehler – und alle arbeiteten aneinander vorbei. So konnte das Zwickauer Trio jahrelang morden. Darum stehen nun indirekt auch der Staat und seine Sicherheitsbehörden vor Gericht. Es wird viel zu klären sein: Inzwischen füllen die Fahndungsergebnisse rund 1000 Aktenordner.
Die Familien der Ermordeten mussten jahrelang mit der Trauer leben und mit dem ohnmächtigen Gefühl, einen nahen Menschen durch sinnlose Gewalt verloren zu haben. Hinzu kam auch noch der belastende Verdacht, dass die Opfer als Drogendealer, Waffenhändler oder Geldwäscher in kriminelle Organisationen verwickelt waren. In der Öffentlichkeit wurde von „Döner-Morden“, also von Milieu-Kriminalität gesprochen. Entsprechend groß sind nun die Erwartungen der Angehörigen an den Prozess. Sie wollen Recht, aber auch Gerechtigkeit. Strafen für die Täter. Aber sie erhoffen auch Antworten auf ihre Fragen: Wie genau kam mein Vater oder Bruder ums Leben? Warum haben die Mörder das getan? Und warum haben die Behörden so versagt?
Sie selbst nannten sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), bekannt wurden sie auch als Zwickauer Trio: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Zschäpe war zuerst die Freundin von Mundlos, wechselte dann zu Böhnhardt. Der Freundschaft tat das offenbar keinen Abbruch, sie lebten jahrelang zu dritt im Untergrund. Es gab offenbar keine große Organisation im Hintergrund, aber Unterstützer. Neonazis, die Wohnungen anmieteten, Geld oder Waffen beschafften. Vier Angeklagte stehen nun neben Beate Zschäpe vor Gericht, einer von ihnen sitzt in Haft.
Das fragt sich die ganze Welt. Viele Experten waren von Anfang an unglücklich über die Entscheidung für den relativ kleinen Gerichtssaal. So hat auch Anja Sturm, die Anwältin von Beate Zschäpe, schon vor Monaten eindringlich auf das Problem hingewiesen. Vorsitzender Richter ist Manfred Götzl, er gilt als stur und selbstbewusst – und als einer, der für die Medien nicht viel übrig hat. Nach der ersten Verteilung der Plätze wurde prompt vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) geklagt, weil türkische Medien überhaupt nicht vertreten waren. Das BVG machte den salomonischen Vorschlag, drei zusätzliche Stühle für türkische Medien aufzustellen. Das Gericht entschied sich gegen diesen einfachen Weg – und für das schwer verständliche Losverfahren.
Mit Nazi-Schmähungen lässt sich noch immer weltweit Aufmerksamkeit erregen, so wird zum Beispiel Angela Merkel immer wieder für ihre europäische Finanzpolitik mit Hitlerbärtchen gezeigt. Im Fall des NSU-Prozesses sind die Vorwürfe deprimierender, denn die Frage, warum die sonst so gut organisierten Deutschen den Rechtsterroristen jahrelang nicht auf die Spur kamen, ist ja berechtigt. Und der Verdacht, da könnten auch Mitarbeiter aus den Sicherheitsbehörden die Rechtsterroristen geschützt haben, liegt nahe. Und dass es nun nicht mal gelungen ist, den Prozess ordentlich zu organisieren, irritiert natürlich Beobachter aus anderen Ländern.
Immens. Mehrere Drohungen für Anschläge und Morde gingen bei den Behörden ein, hunderte Justizwachtmeister und bewaffnete Polizisten sind im Einsatz. Prozessbeteiligte werden streng kontrolliert, das Gericht und das Gelände scharf bewacht.
Zschäpe ist unter anderem wegen zehnfachen Mordes angeklagt, ihr droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Sie ist die einzige, die erzählen könnte, was wirklich geschehen ist. Doch ihre Anwälte haben ihr verboten zu reden. Schweigen ist ihr Recht als Angeklagte, sie muss nicht an ihrer eigenen Verurteilung mitwirken – auch wenn das vor allem für die Hinterbliebenen der Opfer schwer zu ertragen sein wird.
Weil Zschäpe auch mit keinem Gutachter reden will, hat der erfahrene Psychiater Henning Saß sich aus den Akten ein Bild von ihr gemacht. Er hat darin keine Hinweise „für wesentliche Gesundheitsstörungen“ gefunden. Zwar gebe es Anhaltspunkte für eine „schwierige Kindheit“ – Zschäpe war früh von ihrer Mutter zur Großmutter gegeben worden, mit zwei Jahren erhielt sie schon den dritten Nachnamen –, aber sie sei „voll schuldfähig“. Er beschreibt sie als kontaktfreudig und selbstbewusst, sie scheine „unter den vorwiegend männlichen Kameraden durchaus gleichberechtigt und akzeptiert gewesen zu sein“. Die Rollenaufteilung im Untergrund müsse allerdings vor Gericht geklärt werden.
In Strafprozessen gilt nur, was beweisbar ist. Dass die Rechtsextremistin direkt an den Taten beteiligt war, muss noch im Detail bewiesen werden. Was war ihre Rolle? War sie eine Komplizin? Plante sie die Taten und die Logistik? Lässt sich das anhand von unzähligen Indizien und Zeugenaussagen beweisen? Darum geht es in dem Prozess. Eines jedenfalls ist gewiss: Es wird lange dauern, bis es zu einem Urteil kommt. Weil das Beweismaterial so umfangreich ist, rechnen Experten damit, dass der Prozess Jahre dauern wird.