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Ukraine-Krieg "Wir werden das Monster aufhalten"

Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Dina Wonh
Dina Wonh aus dem Gebiet Tschernihiw ist TV-Moderatorin und Journalistin. Sie verließ Tschernihiw am 15. März 2022. Heute ist sie Soldatin.
© Anastasia Potapova
In unserer fünfteiligen Serie zum russischen Angriffskrieg kommen fünf Ukrainerinnen zu Wort. Heute: Dina Wonh, 30, die allen sagt, die im Frieden leben: Schätzt, was ihr habt.

Am 24. Februar hatte ich Covid. Es war der fünfte Tag meiner Krankheit, ich war schwach, schlief viel und tief. Kein Wunder, dass ich die Luftalarmsirenen und Explosionen nicht hörte. Eine Freundin weckte mich mit den Worten: "Bei uns hat der Krieg angefangen." Dass der Krieg zu uns kommen würde, war mir schon lange klar. Schon seit 2014 wissen viele Menschen, dass das, was andere Länder den Konflikt in der Ostukraine nannten, Krieg in Reinform war. Und es nur eine Frage der Zeit war, bis er sich weiter ausbreiten würde. 2022 häuften sich die Medienberichte über eine möglicherweise bevorstehende umfassende Invasion. Im Februar nahmen die Anzahl und die Dringlichkeit solcher Berichte weiter zu. Es war offensichtlich, dass wir gewarnt wurden. Aber niemand hatte erwartet, dass es so schrecklich werden würde. Denn man versteht erst dann, was Krieg bedeutet, wenn man ihm selbst begegnet, von Angesicht zu Angesicht.

Krieg – das ist der ständige Lärm von Artilleriebeschuss; das ist das Geräusch vorbeifliegender Flugzeuge, das viele Menschen fast bis zum Herzstillstand zusammenschrecken lässt; das sind Suizide aus Angst; das ist Tod aufgrund fehlender medizinischer Versorgung – weil die Ärzte wegen des Beschusses einfach nicht kommen konnten und Krankenhäuser vom Feind zerstört wurden; das ist Tod durch eine Granate, Bombe oder Kugel. Krieg ist Hunger, weil es in den Geschäften praktisch nichts zu kaufen gab; das ist ständiger Durst und Schmutz am eigenen Körper, weil die Russen in Tschernihiw die Wasserversorgung beschädigt hatten, sodass die Menschen ernsthaft nachdenken mussten, was jetzt wichtiger ist: einen Schluck zu trinken und den Durst zu stillen oder sich die Hände zu waschen.Krieg – das sind verlassene und verängstigte Tiere. Hungrig und unglücklich. Krieg – das ist der Geruch verwesender Leichen, denn die Leichenhallen hatten keinen Strom, und es war nicht immer möglich, die Menschen zu begraben. Außerdem bombardierten die Russen sogar den Friedhof, weshalb Einwohner von Tschernihiw auch im Waldpark begraben wurden. Und viele Menschen konnten sich nicht richtig von ihren Angehörigen verabschieden. Krieg – das ist ständige Angst um die Liebsten, sodass man nahezu verrückt wird, wenn sie nicht ans Telefon gehen und nicht auf Nachrichten antworten.

(…)

PS: Krieg ist äußerst schrecklich, widerwärtig und schmutzig. Die Ukrainer haben diesen Krieg nicht begonnen, aber wir mussten ihn akzeptieren. Wir kämpfen für unsere Lieben, für unser Leben, für unser Recht, unabhängig und frei zu sein. Wir verteidigen unser Zuhause, alle so gut sie können.

Wenn Sie Krieg nur aus Nachrichten, Filmen, Büchern und anderen Publikationen kennen, gebe ich Ihnen einen Rat. Schätzen Sie alles, was Sie haben. Sagen Sie Ihren Lieben bei jeder Gelegenheit, wie sehr Sie sie lieben und schätzen.

Nehmen Sie sich Zeit für einen Kaffee mit Freunden. Reisen Sie. Haben Sie keine Angst, Ihre Träume zu verwirklichen. Denn irgendwann kann alles vorbei sein. Irgendjemand könnte beschließen, dass Sie zu gut leben und davor "gerettet" werden müssen.

Die Ukraine kämpft verzweifelt gegen diesen Jemand. Und ich glaube daran, dass wir siegen werden. Ich glaube, dass wir das riesige Monster aufhalten werden, das nur Tod, Zerstörung und Böses bringt.

Schließlich verstehen wir nur allzu gut, welche Bedeutung der Frieden hat.

Und um welchen Preis dieser Frieden errungen wird.

Dina trat vor etwa einem Jahr der Armee bei und kämpft seitdem im Osten desLandes. Ihre Panzerbrigade hat die Region Tschernihiw von den russischen Invasoren befreit. Sie schreibt Aurélie Bros, die diese Briefe gesammelt hat, jede Woche, um ihr mitzuteilen, wie es ihr geht. In den Schrecken des Krieges ist eine tiefe Freundschaft entstanden. "Dass ich meine Lieben so gut wie möglich beschütze, gibt mir Mut", sagt Dina. "Ich bin voll und ganz auf den Sieg konzentriert."

Das Buch

Buchcover
© PR

Aurélie Bros war nach Kriegsbeginn für ein Hilfsprojekt, mit dem ukrainischen Journalist:innen unterstützt werden, in der Ukraine. Sie bat 38 Frauen, in Briefen von ihrem Alltag ohne Frieden und Sicherheit zu erzählen. Fünf davon geben wir in diesem Dossier in gekürzter Form wieder. Die Fotos machten die Ukrainerinnen Daria Biliak, Kristina Parioti und Anastasia Potapova, die nun in Deutschland leben. Aurélie Bros (Hg.): "Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis. Briefe von Frauen aus der Ukraine an die freie Welt" (491 S., 30 Euro,Elisabeth Sandmann Verlag)

Brigitte

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