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"Moment mal, seit wann duzen wir uns?"

Ist sie spießig, von gestern oder einfach nur ein Fan des respektvoll distanzierten "Sie"? Das fragt sich Sabine Krone in der Leserkolumne "Stimmen" - seit sie immer öfter von Verkäufern, Kellnern und Internetseiten geduzt wird.
Sabine Krone, 54, Markenzeichen Naturkrause, wollte sich bei Brigitte schon immer mal melden: für eine Vorher/Nachher-Beratung. Jetzt kommt es eben anders, statt Outfit nun die Stimme, denn sie findet: "Das will jetzt mal gesagt werden".
Sabine Krone, 54, Markenzeichen Naturkrause, wollte sich bei Brigitte schon immer mal melden: für eine Vorher/Nachher-Beratung. Jetzt kommt es eben anders, statt Outfit nun die Stimme, denn sie findet: "Das will jetzt mal gesagt werden".
© privat

An Ikea hatte ich mich ja schon gewöhnt. Irgendwann war es so, dass das "Du" einfach da war, obwohl ich nicht zu der Altersgruppe derer gehöre, die in den bunten Bällen spielend diese Möbelwelt erlebt. Ich gehöre zu denen, die keine Ikea-Familykarte haben, deren EC-Karte dennoch durchaus gern genommen wird, am Ende eines langen Kaufverführungsweges. Was wäre, wenn mich meine Bank auch duzen würde? Wäre sie dann meine Familie? Meine Freundin? Würde mich der Geldautomat dann fragen: "Hej Sabine, wie viel willst du denn heute schon wieder von mir?" Das will ich an der Ikea- Kasse nicht zu Ende denken. Ich mag ja die Schweden und finde es dort auch passend, wenn ich geduzt werde. Genauer: In Schweden passt es, hier passt es mir nicht. Aber ich habe mich hier daran zu gewöhnen, was die Marketingprofis einer weltweit agierenden Marke uns so aufdrücken.

Ich verdränge mein Unbehagen, bis ich auf der Webseite von NOLTE-Küchen einen Prospekt anfordern möchte. "Was können wir für dich tun?" fragen sie. Mensch, NOLTE, altes, ostwestfälisches und damit konservatives Unternehmen und sie duzen mich! Ok, ich bin gebürtige Ostwestfälin, sollte das Internet ihnen das bereits zugespielt haben und gehöre ich damit quasi zur Familie? Oder gehört Nolte mittlerweile zu Ikea und ich habe es nicht mitbekommen? Ich will das nicht ausschließen, ich gebe zu, ich bin verwirrt. Leider bestelle ich nur den Prospekt und stelle nicht zugleich die Frage: "Seit wann duzen wir uns?" Es beginnt, mich zu beschäftigen ... und es gibt bald die Gelegenheit für mehr:

Ich stehe am Frankfurter Hauptbahnhof und mir ist nach Bagel und Espresso vor Abfahrt meines Zuges. "Was darf ich für dich tun?" Ich sehe diesen ausgesprochen freundlichen Menschen hinter der Theke das erste Mal in meinem Leben. Ich bin mir da ganz sicher. Die zirka 80-jährige Dame neben mir blickt ebenfalls irritiert. Ihr Quasi-Enkel von Coffee Fellows blickt sie strahlend an: "Darf ich dir noch etwas anderes bringen?" Sie schüttelt nur noch mit dem Kopf, vermutlich schiebt sie das, was sie zu hören schien, auf einen Defekt ihres Hörgeräts und wird sich bald an ihren Hörgeräteakustiker wenden, der sie schon lange Jahre kennt und der sie weiterhin respektvoll siezt. Sollte auch ich mich etwa einfach nur verhört haben, auch meine Ohren haben so ihre Eigenarten... Also frage ich jetzt nach: "Haben Sie mich eben geduzt?" Also, wenn ich das nicht möchte, dann solle ich es sagen, aber alle Angestellten seien vertraglich verpflichtet, die Kunden zu duzen. Das sei Firmenphilosophie. Die Bedienung ist weiterhin sehr nett und verbindlich, ich bedanke mich, ohne eine Entscheidung für oder gegen das "Du" herbei zu führen.

Nachdenklich steige ich in den Zug. Bin ich altmodisch, konservativ, verkrampft, will ich Respekt, womöglich vor dem Alter, meinem Alter? Ich gehöre zu den Babyboomern, die wurden schon in der Oberstufe von ihren Lehrern gesiezt. Nun ja, auch nicht immer passend, ich erinnere mich an meinen Französischlehrer und seinen ohnmächtigen, aber stilistisch sauberen Ausruf: "Sabine, bei Ihnen piept's wohl!". Was stört mich bloß? Ich bin doch des Englischen mächtig, Weltsprache, in der es nur das "you" gibt. Bin ich etwa zu deutsch, nicht globalisiert genug, als kinderlose Frau ohne festen Bezug zu einer jüngeren Du-Generation, die die Gegenwart und Zukunft prägt, habe ich bei der letzten Rechtschreibreform vielleicht das aussterbende "Sie" verpasst? Oder habe ich nur den Anspruch auf eine gepflegte Form der Kommunikation, bei der wir alle eben nicht so einfach über einen Kamm geschoren werden?

Hej, darf ich mal deinen Fahrschein sehen? Jetzt habe ich aber geträumt. Ja, was wäre, wenn auch die Bahn ihre Firmenphilosophie verändert und alle Kunden in ihre Bahnfamilie integriert - und duzt? Diese Vision scheint mir abwegig. Nein, da sehe ich keine Kundenakzeptanz. Nein, dafür kann die Zeit noch nicht reif sein und ich schon lange nicht. Ich bin nun mal so, so ... altmodisch, empfindsam, schätze eine gewisse Distanz zu Menschen, die mir fremd sind und auch bleiben sollen. Die Zugfahrt geht für mich ohne verbale Überraschungen zu Ende.

Ein paar Tage später weiß ich mehr, das Bagel/Espresso-Marketing/PRTeam antwortet mir sehr informativ, einfühlsam und angemessen mit "Sie": "Hallo Frau Krone, es tut uns sehr leid, wenn Sie sich durch diese Form der Anrede gestört fühlen. Als Coffeeshop-Konzept nach englischamerikanischem Vorbild haben wir uns bewusst dafür entschieden, diese Form der Ansprache zu wählen. Die persönliche, direkte Ansprache mit 'Du' soll dem Kunden das Gefühl geben, bei Freunden zu sein bzw. sich wie zu Hause fühlen zu können. Sicherlich ist das ‚Duzen’ in unserem Sprachraum längst nicht so üblich und nicht von allen Kunden wird dies angenommen, jedoch haben wir die Rückmeldung, dass es vielen besonders gut gefällt mit 'Du' angesprochen zu werden." Ah ja, so ist das also. Ich hatte es ja schon geahnt. Es ist also ein gesellschaftliches Thema und ich gehöre zu einer Minderheit.

Ich merke, ich möchte sie einfach nicht aufgedrückt bekommen, diese sonst so freie Entscheidung über "Sie" oder "Du", über Abstand und Nähe. Nicht jede/jeder ist Familie oder Freund für mich. Und unsere Sprache hat doch diese wunderbare Differenzierungsmöglichkeit. Sollte ich da irgendeine Entwicklung, womöglich einen kompletten Kulturwandel total verschlafen haben? Dann wecken Sie mich bitte! Pardon, dann weck’ du mich bitte, ich will es wenigstens versuchen.

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