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Leben mit Trisomie 21 "Meine Tochter ist mehr als das Down-Syndrom"

Leben mit Trisomie 21
Starke Frauen: Tilda (5) und Lara Mars
© privat
Die kleine Tochter von Lara Mars hat Trisomie 21. Hier erzählt die Mama, wie wunderbar ihr gemeinsames Leben ist.

"Habt ihr das vorher gewusst?“

Immer wieder frage ich mich, was genau an der Antwort auf diese Frage für mein Gegenüber so wichtig ist. Will der:die andere mich für meinen Mut loben, weil ich mich bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden habe? Oder abfällig seufzen, weil ich es getan habe, und dabei denken: "So was muss doch heutzutage nicht mehr sein"? Oder mich bemitleiden, weil ich es nicht wusste? Herausfinden, wie sicher die Pränataltests wirklich sind? Oder ist es einfach nur die Unsicherheit, weil man nicht weiß, was man sonst fragen soll? So oder so – ich bin die Frage wirklich leid.

Was macht es für einen Unterschied?

Meine Tochter (5) ist hier. Sie ist wundervoll. Sie ist nicht das Down-Syndrom. Sie ist eine neugierige, sehr witzige und extrem soziale kleine Person, die Haarekämmen so richtig doof findet. Sie liebt Brezeln und Nudeln mit Tomatensauce und schaut gerne Fernsehen. Ja, sie hat das Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt. Sie hat 47 Chromosomen, weil ihr 21. Chromosom drei Mal da ist. Neurotypische Menschen haben es nur zwei Mal und somit insgesamt nur 46 Chromosomen.

Und ja, das hat Einfluss auf ihr Leben und auch auf das Leben ihrer Eltern, aber für uns ist das alles völlig normal. Es ist normal, dass wir zu Therapien fahren, uns teils mit Gebärden verständigen und mehr Arzttermine haben als die meisten anderen Kinder in Tildas Kita-Gruppe. All das ändert nichts daran, dass wir uns ein Leben ohne unsere wunderbare Tochter gar nicht mehr vorstellen könnten.

Ich hätte gerne gewusst, wie schön es wird

Als wir nach ihrer Geburt die Diagnose erhielten, hätte ich gern in diese Zukunft geblickt. Hätte gerne gesehen, wie wunderbar unser Leben sein wird. Hätte gern all die stigmatisierenden Bilder von denen verdrängen lassen, die sich in den vergangenen viereinhalb Jahren für immer in meinem Kopf verankert haben.

Zu Anfang dachte ich, ich wäre damit völlig allein auf der Welt. Ich saß manchmal im Wohnzimmer, blickte in die Nacht hinaus und wünschte mir, dass keine andere Frau sich so allein fühlen muss wie ich. Auch als ich damals nach der Geburt allein im Krankenhauszimmer lag, mein Kind auf der Intensivstation, mein Mann zu Hause – da hätte ich mir jemanden an meiner Seite gewünscht. Eine andere Frau, eine Mutter wie mich, die weiß, wie sich das anfühlt. Die meine Gedanken, Gefühle und meine Trauer versteht.

Wir wachsen in das hinein, was uns gegeben wird

Heute weiß ich, dass es vielen Frauen ähnlich geht. Das Heft "Von Mutter zu Mutter" gibt heute einigen von ihnen etwas Halt, wenn die Welt kurz bodenlos wird. Dieses Heft habe ich im Jahr 2020 mit der Hilfe von sechs anderen Müttern auf den Weg gebracht. Darin sind Briefe von Müttern und auch von Vätern an ihr eigenes Ich, als sie die Diagnose erhielten. Geschrieben mit dem Wissen von Monaten oder Jahren später. Mit dem Wissen, wie es wirklich wird: Es wird gut! Anders als gedacht, aber gut!

2022 habe ich mit meiner Geschäftspartnerin Tanja das gemeinnützige Unternehmen "lavanja" gegründet, das niedrigschwellig Wissen zum Thema und Vernetzung anbietet. Im selben Jahr erschien mein Buch "Ein wunderbar anderes Leben“, in dem 22 Eltern mit ihren Geschichten zu Wort kommen. Es war ein Jahr voller "Trau dichs" und Klippensprünge in unbekannte Gewässer. Aber so hat es mir meine Tochter beigebracht: Wir wachsen in das hinein, was uns gegeben wird. Es gibt keine Gewissheiten, aber jede Menge Chancen, die das Leben uns schenkt und die wir ergreifen können.

Das Bild auf Tildas Geburtskarte zeigt ein kaum drei Kilo schweres kleines Mädchen in einem viel zu großen Shirt. Auf ihrem Shirt steht: "I will change the world". Oh yeah, Baby, das tust du. Das tun wir. Und ich kann dir nicht sagen, wie stolz ich darauf bin, deine Mutter zu sein und gemeinsam mit dir durch dieses wunderbar andere Leben zu gehen.

Leben mit Trisomie 21: "Meine Tochter ist mehr als das Down-Syndrom"
© mvg Verlag

Die Autorin: Lara Mars, Marketing-Managerin in Teilzeit, wird 2018 Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom. 2020 startet sie das Projekt "Von Mutter zu Mutter“. Gemeinsam mit Tanja Thalwitzer gründet sie 2022 das gemeinnützige Unternehmen lavanja, das Familien von Kindern mit Behinderung unterstützt, und veröffentlicht das Buch "Ein wunderbar anderes Leben – Wie meine Tochter mit Down-Syndrom meinen Blick auf die Welt verändert" (mvg Verlag, 18 Euro). Sie lebt mit Mann und Kind im Rheinland.

Brigitte

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