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Ein Jahr ist nicht genug "Ich trauere - und ich nehme mir die Zeit, die ich brauche"

Trauer: Frau vor dunklem Lorbeer
© nataliaderiabina / Adobe Stock
Was passiert, wenn man einen geliebten Menschen verliert? BRIGITTE.de-Leserin Katharina hat es erlebt. Und möchte anderen Mut machen.

Sein Tod traf mich unvorbereitet

Niemand bereitet einen auf dieses Gefühl vor. Dieses Gefühl von Ohnmacht, der Drang zu schreien, der Drang, seinen Kopf ganz fest gegen etwas zu knallen, wegzulaufen. Diese Übelkeit, diese Hitze und Kälte, die einen gleichzeitig durchlaufen.

Ich kannte es nicht, und es hat mich von einem Moment auf den anderen eiskalt erwischt. Mein Papa war tot. Von jetzt auf gleich war einer der wichtigsten Bezugspersonen in meinem Leben nicht mehr da.

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich an dem Tag eine Prüfung hatte, und auf dem Weg nach Hause noch schnell eine Überweisung auf der Bank tätigen wollte.

Man hatte mich fünf Mal versucht zu erreichen. Ich bin nicht rangegangen, wollte das erst fertig machen. Dann habe ich doch abgenommen. Ich hörte nur lautes Weinen. Ich fragte, was los ist, und plötzlich kam die Panik. Meine Gedanken spielten verrückt, ich malte mir aus, was so schlimm sein konnte. Dann die Worte: "Wo bist du? Setz dich hin… Papa ist gestorben". Dann sackte ich in der Bank zusammen, schrie und fühlte nichts und doch so viel zugleich.

Ich lebte Hunderte Kilometer von meinen Eltern entfernt. Ich fuhr heim, mehrmals musste ich mich unterwegs übergeben. Dann musste ich zu Hause zusehen, wie alles zerbricht, wie meine Familie ein Stück weit zerfällt. Das war das Schlimmste.

Er war der lebensfrohste Mensch, den ich kannte

Bei der Planung der Beerdigung war ich wie in einem Tunnel. Ich hab nichts gespürt. Ich konnte nicht weinen. Teilweise musste ich sogar lachen, weil es so absurd war. Einer der lebensfrohsten Menschen, die ich kenne, kam plötzlich nicht mehr ins Wohnzimmer und freute sich, dass ich wieder da war. Nein, wir standen an seinem Sarg, weinten, schluchzten ihn an, er solle die Augen aufmachen und sagen, dass das alles nur ein Scherz ist. Alle aufmuntern mit seinen Späßen, das konnte er doch so gut.

Dann der Tag der Beerdigung. Hunderte von Menschen, die sich verabschieden wollten. Erst da realisierte ich, was passiert ist, und ich fing erbärmlich an zu weinen und zu flehen, dass das alles bitte aufhört.

Ein Trauerjahr ist genug? Nicht immer

Es ist jetzt über ein Jahr her, und ich beschäftige mich immer noch mit dem Wieso. Warum so früh? Warum passiert uns das? Fragen über Fragen, die fast täglich in meinem Kopf schwirren. Der Alltag ist wieder da, und jeder verlangt, dass man wieder so funktioniert wie vorher. Dass man seine Launen im Griff hat. Dass es weiter geht.

Doch geht das so einfach? Nein. Und das muss es auch nicht. Ich habe Monate gebraucht, um zu akzeptieren, dass es nie wieder so sein wird wie vorher.

Katharina, das unbeschwerte Mädchen, existiert nicht mehr. Das zu akzeptieren mag für andere nicht verständlich oder akzeptabel sein - doch wirklich schwierig ist es für mich selbst. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass das alles nur ein Albtraum war, etwas, das rückgängig gemacht werden kann. Doch das kann es nicht.

Ich kann meine Gefühle nicht kontrollieren, aber ich nehme sie an

Niemand kann diese schlimmen Gedanken und Erinnerungen aus mir verbannen. Ich kann meine Gefühle nicht kontrollieren. Ich habe gute Tage, an denen die Gedanken nicht so extrem sind. Dann will ich raus, genießen, einfach leben. Ich stelle mir Papa vor, was er jetzt tun würde.

Doch es gibt auch die Tage, an denen alles in mir schwankt. Alles droht, zusammenzubrechen. Ich will mich verkriechen. Schlafen, vielleicht eine Serien schauen oder nichts tun. Diese „Zustände“ können Tage oder Wochen dauern.

Nein, ich habe keine Depressionen, ich trauere. Auf meine eigene Art und Weise. Ich nehme die Gedanken an, akzeptiere meine Gefühle und versuche, eine Lösung dafür zu finden.

Wenn ich Leute höre, die mir sagen wollen, dass das nicht normal ist, würde ich am liebsten sagen: Hey, sei froh, dass du noch nicht durch sowas durch musstest. Sonst wüsstest du, dass ein Jahr nicht reicht, um das zu verarbeiten. Aber heute scheint es ein Tabu zu sein, Trauer zuzulassen.

Ich bin nicht depressiv. Ich trauere, und ich nehme mir die Zeit, die es braucht. Solange man grundlegende Dinge wie Essen, Schlafen und Arbeiten einigermaßen hinbekommt, geht das in Ordnung. Und so schlimm der ganze Schmerz auch ist, glaube ich, dass er ein Neuanfang sein kann.

Trauer bedeutet auch Neuanfang

Ich wusste bisher nicht, wie weit meine emotionale Grenze geht, wie viel Schmerz ich ertragen kann. Ich fühle seitdem viel intensiver. Ich nehme Schmerz und Trauer, auch die anderer Menschen, viel deutlicher wahr. Ich weiß, dass tröstende Worte manchmal nicht helfen und Ratschläge schon gar nicht. Manchmal braucht man nur eine Schulter zum Weinen.

Ich kann andere Menschen jetzt viel besser einschätzen und spüre, wenn es jemanden nicht gut geht. Ich nehme auch meine Umgebung intensiver wahr. Ich spüre intensiver das Glück. Ich fühle, wie kostbar das Leben ist, sehe Farben deutlicher, kleine Momente bekommen plötzlich eine große Bedeutung. Wie eine kleine Sprachnotiz, ein kleiner handgeschriebener Zettel, ein Lied.

Ich weiß jetzt, dass Trauer und Glück ganz eng beieinander liegen. Man sagt das immer, aber ich musste es schmerzlich erfahren. Doch gerade dieser Schmerz lässt einen die kleinen Dinge wieder bewusster wahrnehmen, und ich finde, das ist eine Art Neubeginn. Ein tröstlicher Effekt trotz all der dunklen Tage, die so immer heller werden.

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